Trotz Folter und Willkür: Bundesregierung sieht Ägypten weiter als Stabilitätsgaranten
Während der Wirtschaftsminister in Ägypten für deutsche Unternehmen wirbt, gesteht die Regierung ein: Für Verträge mit Kairo sind Menschenrechte zweitrangig.
Trotz Folter und Willkür in Ägypten will die Bundesrepublik auch weiterhin Militär und Polizei des Landes ausrüsten und schulen. Ägypten haben einen "nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Stabilität in der Region", heißt es in der Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine Kleine Anfrage der FDP-Politikerin Gyde Jensen und ihrer Fraktion, die dem Tagesspiegel vorliegt: "Die Bundesregierung befürwortet daher eine Fortführung der Partnerschaft zu Ägypten, zu der auch eine Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich gehört."
Menschenrechte "in Einzelfällen vermittelt"
Gleichzeitig gesteht die schwarz-rote Koalition ein, dass sie weder weiß noch Vorsorge trifft, dass ägyptische Beamte vermitteltes Wissen nicht menschenrechtswidrig einsetzen: "Eine nachwirkende Kontrolle, wie durch Deutschland vermittelte fachliche Ausbildungsinhalte in den folgenden Jahrzehnten angewendet werden, ist weder vorgesehen noch möglich", heißt es in der Antwort, die zudem erkennen lässt, dass das Thema kein vorrangiges für die deutschen Partner ist: Konkrete Menschenrechtsinhalte würden "in Einzelfällen vermittelt, so sei während eines Besuchs zum Thema Innere Führung "intensiv über die deutsche Wehrdisziplinarordnung gesprochen" worden.
Außerdem hätten Angehörige der ägyptischen Streitkräfte bei allen längeren Aufenthalten in Deutschland die Möglichkeit zum "Erleben des deutschen Ansatzes von Rechtsstaatlichkeit und Umsetzung der Menschenrechte", heißt es weiter. Allerdings biete man dem Land "derzeit" keine Partnerschaft im Rahmen des Aufbauprogramms "Compact for Africa" an und auch Zusammenarbeit mit der Justiz des Landes - der die Bundesregierung attestiert, sie spiele oft die Rolle eines Korrektivs, sei stark und selbstbewusst - gebe es nur noch sporadisch.
Nach Foltermord ist ein Außenminister vom Präsidenten beeindruckt
Nach Auffassung von Menschenrechtsorganisationen ist die Lage unter Ägyptens Präsident Abdelfattah al-Sisi noch schlimmer, die Repression noch härter als unter dem früheren Machthaber Hosni Mubarak, dessen Gewaltherrschaft 2011 einen Aufstand im Land auslöste. Selbst EU-Bürger sind nicht mehr sicher. Vor drei Jahren verschwand der junge italienische Doktorand Giulio Regeni, wenige Tage später fand man ihn mit Spuren schwerster Folter tot in Kairo.
Trotz teils abstruser offizieller Erklärungen für seinen Tod und offensichtlicher Verwicklung der Sicherheitsbehörden gab es kaum Reaktionen der EU, der damalige Bundesaußenminister Sigmar Gabriel lobte Tage nach der Tat bei einem Besuch in Kairo al-Sisi als "beeindruckenden Präsidenten". Im vergangenen Dezember verschwanden zwei junge Deutsch-Ägypter wochenlang, die zu Verwandtenbesuchen nach Ägypten geflogen waren. Ägypten ist in den letzten Jahren für die europäischen Regierungen noch wichtiger als Türhüter gegen Flüchtlinge geworden.
Auch Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier betonte während seines Besuchs in Ägypten zu Beginn der Woche jetzt wieder die "Sicherheit und Stabilität" in Ägypten und gab sich überzeugt, "dass sich mit zunehmendem wirtschaftlichen Erfolg auch die demokratische Situation und die Situation der Menschenrechte stabilisieren wird".
Menschenrechtspolitikerin Jensen: Wertekompass justieren
Die FDP-Politikerin Gyde Jensen, die auch Vorsitzendes des Menschenrechtsausschusses ist, hält dagegen: "Der Wertekompass dieser Bundesregierung muss dringend neu justiert werden", sagte sie dem Tagesspiegel. Im Hinblick auf die angespannte Menschenrechtslage in Ägypten - mit Massenverurteilungen, Fällen von Zensur oder Berichten von Folter - erwarte sie von der Bundesregierung, Kooperationen mit Ländern wie Ägypten "stärker an die Einhaltung menschenrechtlicher Standards zu knüpfen und konkrete Regelwerke, die ein nachhaltiges Monitoring zulassen".
Klare Regeln seien "immer die erste Grundlage, die Bedingungen für Menschen zu verbessern", so Jensen. Es sei "einfach nur befremdlich, wie Wirtschaftsminister Altmaier den Umgang der Regierung Al-Sisi mit der Zivilgesellschaft ausdrücklich lobt - ohne auch nur ein kritisches Wort zu verlieren".