Befreiung aus kurdischen Gefangenenlagern: Bundesregierung holt zehn IS-Frauen und 27 Kinder zurück
Außenministerin Baerbock organisiert große Rückholaktion aus Syrien. Vier IS-Frauen werden gleich am Frankfurter Flughafen festgenommen.
Sie waren bei der Terrormiliz "Islamischer Staat" und gerieten in Gefangenschaft, jetzt war die Rückkehr nach Deutschland möglich. Die Bundesregierung hat zehn deutsche Frauen und ihre insgesamt 27 Kinder aus einem Gefangenenlager kurdischer Milizen in Syrien herausgeholt.
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock sprach am Donnerstag von einer "äußerst schwierigen Aktion", die Frauen und die Kinder aus dem Lager Roj in Nordostsyrien zu befreien. Es war die fünfte und bislang größte Rückholaktion der Bundesregierung für deutsche Staatsangehörige, die beim IS waren und von kurdischen Kämpfern festgesetzt wurden.
Beteiligt an der Rückholaktion waren mehrere Beamte des Bundeskriminalamts. Vier Frauen aus Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt, Bayern und Hessen kommen allerdings von einer Haft in die nächste.
Die Bundesanwaltschaft ließ die deutschen Staatsangehörigen Nadine K. (36), Gülseren T. (23), Emilie R. (24) und die Deutschmarokkanerin Fatiha B. (29) am Donnerstag bei der Einreise auf dem Frankfurter Flughafen festnehmen. Am Nachmittag setzte ein Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof die Haftbefehle gegen die Frauen in Vollzug.
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Für die Bundesregierung stand das Schicksal der Kinder im Vordergrund. "Die 27 Kinder sind letztlich Opfer des IS und sie haben ein Recht auf eine bessere Zukunft fernab einer tödlichen Ideologie und auf ein Leben in Sicherheit, wie wir es auch unseren eigenen Kindern wünschen", sagte Baerbock.
Nun sei der Großteil der Kinder, deren Mütter zur Rückkehr nach Deutschland bereit war, in Sicherheit gebracht worden. Es gebe jetzt "nur noch wenige, besonders gelagerte Fälle", in denen die Bundesregierung sich um individuelle Lösungen bemühe.
Die Ministerin betonte allerdings, die Mütter hätten sich für ihre Zeit beim IS zu verantworten. Das gilt nicht nur für die vier Frauen, die jetzt festgenommen wurden. Gegen die weiteren sechs Mütter ermitteln die Generalstaatsanwaltschaften mehrerer Bundesländer. Diese Frauen stammen aus Hessen, Nordrhein-Westfalen, Bremen und Mecklenburg-Vorpommern.
Verschleppte Jesidin wurde als Sklavin sexuell missbraucht
Der härteste Fall ist offenbar der von Nadine K. Sie folgte im Dezember 2014 ihrem Mann, der bereits zum IS gereist war. Das Paar lebte von 2015 an in der von der Terrormiliz eroberten irakischen Großstadt Mossul. Die Kinder seien "im Sinne der IS-Ideologie" erzogen worden, sagt die Bundesanwaltschaft.
In dem Haus, dessen Bewohner der IS vertrieben hatte, sollen Nadine K. und ihr Mann große Mengen Sprengstoff und Waffen gelagert haben. Das Gebäude diente offenbar auch als Anlaufstelle für alleinstehende Frauen, die sich der Terrormiliz angeschlossen hatten.
Vom Sommer 2015 bis Frühjahr 2016 sollen Nadine K. und der Mann eine Jesidin als Sklavin gehalten haben. Der Mann soll mit Wissen von Nadine K. die Jesidin sexuell missbraucht haben. Die Sklavin musste zudem im Haushalt arbeiten und die Kinder versorgen. Der IS hatte 2014 bei seinem Feldzug in Syrien und Irak tausende Jesiden getötet und viele Frauen und Kinder verschleppt.
Nadine K. wurde 2019 von kurdischen Milizen festgenommen. Die Bundesanwaltschaft wirft der Frau nicht nur die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vor, sondern auch Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Beihilfe zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen, Menschenhandel und Verstöße gegen das Waffenrecht.
Terrormiliz IS gewährte eine "Alimentation"
Gülseren T. soll ebenfalls 2014 zum IS gereist sein, allerdings nach Syrien. Sie heiratete einen IS-Kämpfer. Die Frau soll ihm seine Betätigung für die Terrormiliz ermöglicht haben, in dem sie sich um den Haushalt kümmerte und die Kinder betreute. Die Familie bekam nach Erkenntnissen der Bundesanwaltschaft eine "Alimentation", dazu zählte die Zuweisung einer Wohnung.
Auch Emilie R. soll sich 2014 in Syrien dem IS angeschlossen haben. Die Bundesanwaltschaft wirft ihr ebenfalls vor, für ihren Mann, einen Kämpfer des IS, den Haushalt geführt und sich um die Kinder gekümmert zu haben.
Emilie R. soll zudem von November 2015 an eigenständig im Internet für den IS geworben haben. Sie habe sich bemüht, "Mädchen und Frauen aus Deutschland zu einer Ausreise nach Syrien zu bewegen", sagt die Bundesanwaltschaft. Emilie R. soll auch Ratschläge gegeben haben, wie "eine Heirat mit einem IS-Kämpfer zu bewerkstelligen sei".
Die vierte Festgenommene, Fatiha B., soll bereits 2013 mit ihrem Mann nach Syrien gekommen sein. Das Paar soll sich zuerst der Terrororganisation Jabhat al-Nusra angeschlossen haben, einem Ableger von Al Qaida.
Im November 2014 sollen Fatiha B. und der Mann Mitglieder des IS geworden sein. Auch Fatiha B. soll den Mann unterstützt haben, indem sie den Haushalt führte und das gemeinsame Kind betreute.
Gülseren T., Emilie R. und Fatiha B. wurden wie Nadine K. im Frühjahr 2019 von kurdischen Milizen festgesetzt. Seitdem lebten sie in Gefangenenlagern im Nordosten Syriens. Auch die weiteren sechs Frauen, die nach der Einreise in Frankfurt auf freiem Fuß blieben, sollen vor allem ihre Männer darin unterstützt haben, sich für den IS zu betätigen.
Eine der Frauen soll bereits 2017 aus dem Herrschaftsgebiet der Terrormiliz geflohen sein, nachdem der IS ihren Mann hingerichtet hatte. Die Frau wurde ebenfalls von kurdischen Milizen aufgegriffen und befand sich mit ihren drei Kindern fünf Jahre lang in Gefangenenlagern.