Entgegen dem Koalitionsvertrag: Bundesjustizminister Heiko Maas stoppt Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung
Der SPD-Politiker und neue Bundesjustizminister Heiko Maas riskiert einen Konflikt mit der Union: Maas will die umstrittene Vorratsdatenspeicherung vorerst nicht einführen sondern das Urteil der EU abwarten. Dabei hatten CDU, CSU und SPD im Koalitionsvertrag vereinbart, die EU-Richtlinie umzusetzen.
Der neue Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) will die umstrittene Vorratsdatenspeicherung vorerst nicht einführen. „Ich lege keinen Gesetzentwurf vor, bevor der Europäische Gerichtshof endgültig geurteilt hat, ob die Richtlinie die Rechte der EU-Bürger verletzt oder nicht“, sagte Maas im Interview mit dem „Spiegel“.
Der SPD-Politiker riskiert damit einen Konflikt mit der Union. Im Koalitionsvertrag hatten CDU, CSU und SPD vereinbart, die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung umzusetzen, auch um die Verhängung von Zwangsgeldern gegen Deutschland zu vermeiden. Maas sagte, er halte es für „sehr wahrscheinlich“, dass der Europäische Gerichtshof (EuGH) „eine tiefgreifende Veränderung“ der Richtlinie fordern werde. Es sei „nicht völlig ausgeschlossen“, dass die Richter sie vollständig kassieren würden.
Was die Union von Maas' Ankündigung hält
Durch ein solches Urteil würde die „Geschäftsgrundlage“ für den Koalitionsvertrag komplett entfallen, argumentiert der Jurist. „Dann müssten wir über die Vorratsdatenspeicherung ganz neu reden. Bis dahin liegt das Instrument für mich auf Eis.“
Seit Jahren sorgt die Vorratsdatenspeicherung für Streit. Seit 2006 müssen die EU-Staaten dafür sorgen, dass Telekommunikationsfirmen ohne Anfangsverdacht oder konkrete Gefahr Verbindungsdaten von Privatleuten bei Telefonaten und E-Mails sammeln. In Deutschland wurde ein entsprechendes Gesetz von 2008 für verfassungswidrig erklärt, eine Neufassung wurde von der schwarz-gelben Bundesregierung wegen des Widerstands der FDP nicht verabschiedet.
In den kommenden Monaten wird ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs zu dem Thema erwartet. In einem Gutachten war der EuGH-Generalanwalt im Dezember zum Schluss gekommen, dass die bisherige Regelung gegen europäisches Recht verstößt.
Der CSU-Innenexperte Hans-Peter Uhl erinnerte den Justizminister an die getroffenen Verabredungen mit der Union. „Wenn Herr Maas vom Koalitionsvertrag abrücken will, muss er das im Koalitionsausschuss anmelden“, forderte Uhl. „Der Kompromiss mit der SPD bestand darin, dass wir die europarechtlich vorgeschriebene Mindestspeicherdauer von einem halben Jahr einführen, uns aber auf EU-Ebene dafür einsetzen, diese Frist auf drei Monate zu verkürzen.“ Der CSU-Politiker verwies darauf, dass die Mindestspeicherpflicht dem Grunde nach verfassungsgemäß sei. „Die Abrufbarkeit der Daten durch den Staat muss beschränkt werden auf schwere Fälle der Kriminalität, etwa Tötungsdelikte oder Fälle von Kinderschändung“, sagte Uhl. Wenn der Staat die Provider zum Speichern der Daten verpflichte, müsse er außerdem dafür sorgen, dass sie dort nicht in falsche Hände gerieten.
„Gift für unseren freiheitlichen Rechtsstaat“
Die Opposition hingegen begrüßte, dass Maas inzwischen Zweifel an der Einführung der Vorratsdatenspeicherung habe. „Dieses Instrument anlassloser Massenspeicherung der Kommunikationsdaten aller Bürger ist gerade vor dem Hintergrund der NSA-Affäre Gift für unseren freiheitlichen Rechtsstaat“, sagte Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz. Umso ärgerlicher sei es, dass die SPD einen Koalitionsvertrag unterschrieben habe, der in dieser bürgerrechtlichen Schlüsselfrage die absolut falsche Antwort gebe. „Wir werden den Minister jedenfalls unterstützen, wenn er sich hier gegen den Koalitionsvertrag stellt.“
Linken-Fraktionsvize Jan Korte sprach von einem „Schritt in die richtige Richtung“. Er forderte die Bundesregierung auf, nicht abzuwarten, wie die Gerichte entschieden. „Deutschland sollte sich in Europa an die Spitze stellen und versuchen, die Vorratsdatenspeicherung in all ihren Facetten zu beerdigen.“
Cordula Eubel