Abhörskandal: Welche Snowden-Enthüllungen uns 2014 erwarten
Dank Edward Snowden wissen nun alle: Geheimdienste hören grundsätzlich jeden ab – auch Regierungschefs. Bisher sind erst ein Prozent der Snowden-Dokumente ausgewertet. Es sind 2014 weitere Enthüllungen zu erwarten - und die dürften anders als die in diesem Jahr aussehen.
Wer früher vor systematischer Überwachung warnte, galt schnell als Verschwörungstheoretiker. Dank der Enthüllungen von Edward Snowden ist jetzt klar: Geheimdienste haben nicht nur hier und da gezielt Daten Einzelner erhoben, sondern einfach alles abgespeichert, dessen sie habhaft werden konnten.
Unter der Prämisse, dass die Budgets der Dienste fast unbegrenzt sind, kann man sich fragen: Wo würde jemand Daten absaugen, um mit möglichst geringem Aufwand möglichst große Teile der Netze zu unterwandern? In Europa sind das die Unterseekabel in Großbritannien sowie die großen Internet-Knotenpunkte in London, Amsterdam und Frankfurt. Behauptungen, an diesen Stellen sei nicht abgehört worden – und zwar von jedem, der sich Zugang verschaffen konnte –, sind schlicht unglaubwürdig. Genau das tut aber der Generalbundesanwalt, der gar öffentlich einen Anfangsverdacht für Ermittlungen verneint.
Der Mann behauptet allen Ernstes, es gebe keine konkreten Anhaltspunkte dafür, die NSA oder das britische GCHQ hätten „den deutschen Telefon- und Internetverkehr systematisch überwacht“. Deutschland hat sich hinter einer Wolke aus Desinformationspolitik und Für-beendet-Erklärungen verschanzt, ist offensichtlich nicht an Aufklärung interessiert.
Weil kluge Menschen angefangen haben, ihre Daten zu verschlüsseln, reicht das Anzapfen der großen Knotenpunkte nicht aus. Die Geheimdienste brauchen auch Zugriff auf die Daten vor der Verschlüsselung beziehungsweise nach der Entschlüsselung. Den bekommen sie, indem sie über die gesetzlich vorgeschriebenen Hintertüren bei Hotmail und Co. Anfragen stellen, interne Datenleitungen von Google anzapfen, sich in Telekommunikationsfirmen reinhacken oder Trojaner installieren. Die NSA hat, das wissen wir jetzt, all dies getan.
Bei dem Entsetzen über die Geheimdienste wird gern übersehen, dass sie nicht immer Gesetze übertreten müssen, weil ihnen Rechtsnormen explizit entgegenkommen. Schnüffelschnittstellen für „Bedarfsträger“ – gängiges Beamtendeutsch für Polizei und Geheimdienste – sind sogar EU-weit vorgeschrieben. Die großen Telekommunikationsunternehmen sind oder waren entweder staatliche Monopole und noch immer unter staatlicher Kontrolle. Da ist nicht mit Gegenwehr zu rechnen, wenn der Staat anklopft und eine Kopie aller Daten verlangt.
Dass die NSA Staatschefs abhört, kann niemanden überraschen. Darin besteht die Kernaufgabe von Geheimdiensten. Es glaubt hoffentlich niemand, der BND ließe eine Gelegenheit verstreichen, Putins Telefon zu verwanzen. Und natürlich ist der Gedanke abwegig, Partner der USA seien von NSA-Aktivitäten ausgenommen. Fast jedes Land der Erde glaubt schließlich von sich, Partner der USA zu sein.
„Guardian“-Chef Alan Rusbridger hat kürzlich erklärt, bisher sei erst ein Prozent der Snowden-Dokumente verwertet worden. Was ist also 2014 zu erwarten?
Es gibt einige Länder, die noch auf ihren Snowden-Skandal warten. Der Frankfurter Internetknoten, genannt DE-CIX, stand bereits unter Verdacht, sein Amsterdamer Pendant noch nicht. Letztlich hat jedes Land, das sich Geheimdienste leistet, Dreck am Stecken. Es gäbe also genug Schmutzwäsche für jahrzehntelange Aufarbeitung.
Snowden und die CIA
Die spannendere Frage lautet aber, welche Snowden-Enthüllungen uns bis jetzt vorenthalten wurden. Er hat sowohl für die NSA als auch die CIA gearbeitet, aber die Enthüllungen betreffen bisher fast nur die NSA. Die rechtfertigt ihre Schnüffelei unter anderem damit, dass sie Zielkoordinaten für Drohnenschläge der CIA bereitstellt. Wieso haben wir denn darüber so wenig aus den Snowden-Unterlagen erfahren?
Afghanistan ist ein vollständig abgehörtes Land. Wieso stellen sich dann zu oft Drohnenopfer als Teilnehmer einer Hochzeitsfeier heraus? Sind diese Art von Koordinaten vielleicht selbst mit der maximal erreichbaren Informationsdichte nicht zweifelsfrei bestimmbar? Können wir uns dann womöglich das Abhören gleich ganz sparen? Sicher befinden sich in den Snowden-Dokumenten Informationen, die genau diese Fragen klären könnten. Doch ich fürchte, dass wir davon auch 2014 nichts zu Gesicht kriegen werden. Nicht nach dem Exempel, das die USA diesen Sommer statuiert haben: Whistleblower Chelsea Manning wurde zu 35 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Das schreckt ab.
Leider zeigt die Presse vorauseilenden Patriotismus und bemüht sich, nichts zu veröffentlichen, das ihr später so ausgelegt werden könnte, als habe sie das Leben von Amerikanern gefährdet. Zu Recht, wenn man sich die Befragung des „Guardian“-Chefs anguckt. Der musste sich die Frage stellen lassen, ob er eigentlich sein Land liebe und ob er damals auch den Nazis die Entschlüsselung ihrer Chiffriermaschine Enigma verraten hätte.
Erwarten könnten uns 2014 die Inhalte der mitgehörten Telefonate von Staatschefs. Aber wahrscheinlich ist das nicht. Es hat auch vergleichsweise wenig Details über Cloud-Provider, also Anbieter von Online-Speicherplatz, gegeben. Branchen-Platzhirsch Amazon hat kürzlich einen Großauftrag der CIA eingeheimst.
Ist es ein Zufall, dass die CIA bei den Veröffentlichungen der Snowden-Dokumente im Vergleich zur NSA bisher so gut wegkommt? Oder werden wir hier Zeuge eines Grabenkrieges zwischen NSA und CIA? Wieso haben wir noch nichts über die vielen dunklen Ecken der CIA erfahren? Über Folterknäste, über das „Rendition“ genannte systematische Kidnapping von Terrorverdächtigen, über die nächste Version des Computerwurms Stuxnet oder Versuche der Wahlmanipulation, zum Beispiel in Venezuela? Wieso haben wir nichts darüber erfahren, wie der Infrastrukturaufbau in Afrika zu Hause als Entwicklungshilfe verkauft wird, aber am Ende der NSA Fernwartungszugriff auf die Kommunikationsstruktur anderer Länder ermöglicht?
Der größte Themenbereich, der bisher komplett ausgeblendet blieb, sind die Finanzmärkte. Die NSA hat ihre Datensammelwut in diesem Bereich damit begründet, es ginge um ein Frühwarnsystem gegen Finanzkrisen. Wie konnte die Hypothekenkrise dann so weit kommen, dass sie die Weltwirtschaft erschütterte?
Solange nur die bisherige Art von Enthüllungen herauskommt, bleibt die gesamte Affäre ein Sturm im Wasserglas. Für die Menschen bleibt die Erfahrung, von einem Geheimdienst auf der anderen Seite der Erde abgehört zu werden, zu abstrakt und unkonkret, als dass sich daraus Handlungsbedarf ergäbe. Frau Merkel hat das erkannt, sitzt die Affäre einfach aus und speist uns mit Floskeln ab.
Außerdem ist „Big Data“, das Sammeln riesiger Datenmengen, in der Gesellschaft viel zu sehr akzeptiert. Das reicht von der Gesundheitskarte über Vorratsdatenspeicherung, Fluggastdaten und Mautbrücken bis zur Online-Werbung. Eine Gesellschaft, die Big Data als Konzept duldet, hat die NSA verdient.
Das ist aus meiner Sicht alles sehr schade. Die Geheimdienste haben ja gerade deshalb solch eine Macht über die Politik, weil Politiker annehmen müssen, über jeden Einzelnen von ihnen existiere eine Akte, in der genug peinliche Details stehen, um eine Karriere vorzeitig zu beenden. Dank Snowden haben wir ja bereits erfahren, dass die NSA den Pornokonsum angeblicher Extremisten protokolliert hat, um diese damit unglaubwürdig machen zu können. Es gibt keinen Grund, anzunehmen, dass solche Methoden nicht auch gegen Politiker eingesetzt werden.
Der Autor ist IT-Sicherheitsexperte, Mitglied des Chaos Computer Clubs und Betreiber von „Fefes Blog“.
Felix von Leitner