Energiegipfel: Bund und Länder streiten über richtigen Weg für Energiewende
Bund und Länder debattierten im Kanzleramt über den Ausbau der erneuerbaren Energien. Wer vertrat welche Position und was kam dabei heraus?
Die Energiewende ist in Schwung gekommen. Ein Viertel des Stroms kommt schon aus Solaranlagen, Windrädern, Biomasseanlagen. Das Ziel der Bundesregierung ist es, bis 2020 auf einen Ökostrom-Anteil von bundesweit 40 Prozent zu kommen. Möglicherweise hat der Umbau der Energieversorgung in Deutschland sogar schon zu viel Schwung. Das fürchten zumindest jene, die im rapiden Ausbau der erneuerbaren Energien bereits ein Überkapazitätsproblem ausgemacht haben. Und die Politik hat derzeit auch ein Vermittlungsproblem: Der bisher nicht zuletzt durch eine umfangreiche Solarstromförderung vorangetriebene Umbau erweckt bei vielen Bürgern den Eindruck, zunehmend chaotisch zu verlaufen. Die Debatte um steigende Strompreise verstärkt dieses Gefühl. Ist das Management der Energiewende der Politik entglitten? Das war der Hintergrund, vor dem sich am Freitag Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Ministerpräsidenten der Länder in Berlin trafen. Das Ziel: mehr Koordinierung, mehr Planungssicherheit, ein besserer Überblick.
Was kam beim Energiegipfel heraus?
Die Beschlüsse gehen nicht ins Detail. Immerhin aber verständigten sich die Beteiligten, trotz aller Interessenunterschiede nun so gut wie möglich an einer gemeinsamen Lösung zu arbeiten. Hohe Versorgungssicherheit, wirksamer Klima- und Umweltschutz, preisgünstige Energie – dieser Dreiklang soll weiter gelten. Die „Erneuerbaren“ sollen weiter ausgebaut werden, das zugehörige Gesetz wird reformiert, nicht zuletzt, um die Kosten auf „ein vertretbares Maß“ zu begrenzen. Das Kernproblem aber ist wohl noch nicht überwunden: In der Energiepolitik herrscht zwischen Bund und Ländern und zwischen den Ländern eine Art „multiples Misstrauen“ – obwohl es gerade beim Netzausbau ohne enge Abstimmung gar nicht geht. Andererseits: Je mehr die Länder sich eigenständig versorgen wollen und können, umso geringer wird der Bedarf an überregionalen Leitungen.
Welche verschiedenen Interessen gibt es?
Grundsätzlich gilt: Die Länder verfolgen ihre eigenen Konzepte, je nach regionaler Ausgangslage und je nach regionaler Planung; der Bund wiederum will mehr lenken und steuern, damit die Energiewende in einem steuerbaren Rahmen verläuft – und den Steuerzahler nicht noch teurer kommt als ohnehin schon. Dass die Landesregierungen sich quasi egoistisch verhalten, die einen mehr, die anderen weniger, ist ihnen nicht zu verdenken. Sie wollen zunächst eine möglichst hohe Versorgungssicherheit und zudem die Chancen der Energiewende bestmöglich nutzen. Zumal Ökostrom ein zunehmend gewichtiger Wirtschaftsfaktor ist. Daher sehen alle darin eine riesige Möglichkeit, die eigene Region wirtschaftlich zu stärken. Das gilt nicht zuletzt für die eher strukturschwachen „Windländer“ an der Küste, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen. Sie setzen ganz auf die Windkraft, nicht zuletzt auf die Offshore-Anlagen. Nicht nur zur Eigenversorgung, sondern auch für den „Export“ in andere Bundesländer. Denn dort, in Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg oder Bayern, liegen die energieintensiven Industrien.
In diesen Ländern will man aber nicht vom Offshore-Strom abhängig sein, zumal der Netzausbau von Nord nach Süd erst in den Anfängen steckt und gerade die Leitungen zwischen den Windkraftanlagen im Meer und der Küste noch ein Investitionsproblem sind. Sondern man setzt stark auf Eigenversorgung. In NRW stehen viele Kohlekraftwerke, Baden-Württemberg will seine starke Abhängigkeit vom Atomstrom so weit wie möglich durch eigene neue Stromquellen reduzieren. Der Südwesten und Bayern mit ihrer wohlhabenden Bevölkerung haben weit überdurchschnittlich von der Solarförderung profitiert, was nicht nur die Dächer der Dörfer und Kleinstädte zeigen, sondern auch die wachsenden Großanlagen dort, wo früher Getreide wuchs oder Vieh weidete. Die Ausbauziele sind ganz unterschiedlich: Während Thüringen 40 Prozent anstrebt, nennt Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) eine Marke von 50 Prozent. Brandenburg liegt heute schon bei einem Anteil von 70 Prozent. Nimmt man die Länderpläne zusammen, kommen mehr als die vom Bund gewünschten 40 Prozent heraus. Da aber auch die „alte“ Energieerzeugung weiterläuft und zur Grundlastdeckung auch nötig ist, droht die befürchtete teure Überproduktion. Bayern exportiert heute schon subventionierten Ökostrom nach Österreich.
Auch parteipolitische Aspekte gehören zur Energiedebatte. Der nahende Bundestagswahlkampf spielt dabei eine Rolle. Die Grünen vor allem wollen keine Deckelung der Strommengen aus erneuerbaren Quellen. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann unterstrich seinen Willen, den Anteil von Wind im Energiemix seines Landes von derzeit einem auf zehn Prozent zu steigern – auch wenn der Südwesten weit weniger „windreich“ ist als der Norden. Die „Autarkiebemühungen“ der Südländer werden hingegen im Bund und den Nordländern kritisch gesehen.
Was ist, wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht?
Die Grundlastdeckung ist eines der größten Probleme der Energiewende. Je mehr Ökostrom produziert wird, umso geringer ist der Anreiz, Kohle- oder Gaskraftwerke zu betreiben oder zu bauen oder in Speicherkapazitäten zu investieren. Diese aber werden gebraucht, wenn es phasenweise zu wenig Sonnen- und Windenergie gibt. Bis zum Sommer 2013 soll es nun einen „ordnungspolitischen Rahmen“ für die Kraftwerke geben, um eine marktwirtschaftliche Lösung zur Sicherstellung ausreichender Reservekapazitäten zu bekommen. Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) will die beiden Systeme – erneuerbar und fossil – verzahnen, indem er subventionierte Ökostromproduzenten verpflichten will, eine vereinbarte Menge Strom zuverlässig zu liefern. Das dürfte nur gelingen, wenn diese Anbieter mit Kohle- und Gaskraftwerken Abnahmeverträge schließen, um im Fall des Ausbleibens von genügend Ökostrom dennoch liefern zu können.