Drastische Anti-Corona-Maßnahmen: Bund und Länder schließen Geschäfte, Spielplätze und Sportstätten
Einen weitgehenden Shutdown für Deutschland haben Bund und Länder geschaffen. Drohen jetzt sogar Ausgangssperren und was würden sie bringen?
Angesichts weiter steigender Infektionszahlen mit dem Coronavirus und drastischer Maßnahmen etwa in Österreich und Frankreich hat die Bundesregierung am Montag noch einmal nachgelegt.
Der Kabinettsbeschluss empfiehlt den Ländern weitere Einschränkungen, das schärfste Schwert, die Ausgangssperre, wird (noch) nicht empfohlen. Es ist ein weitgehender „Shutdown“ des Landes.
Was kommt jetzt bundesweit?
Neben der Schließung von Bars, Clubs, Disco, Museen, Opern- und Konzerthäusern sollen Restaurants und Speisegaststätten nur noch maximal von 6 Uhr bis 18 Uhr geöffnet sein, die Zahl der Gäste reglementiert und große Abstände eingehalten werden, es sollen zum Beispiel Tische zwischen Gästen unbesetzt bleiben.
Zudem sollen Geschäfte des Einzelhandels, etwa für Kleidung, geschlossen bleiben. Auch der Sportbetrieb „auf und in allen öffentlichen und privaten Sportanlagen, Schwimm- und Spaßbädern, Fitnessstudios und ähnliche Einrichtungen“, soll für den Publikumsverkehr geschlossen werden.
Auch die Aktivitäten von Vereinen, Musikschulen, Volkshochschulen und anderen Bildungseinrichtungen sollen gestoppt werden. Zusammenkünfte in Kirchen, Moscheen, Synagogen und die Zusammenkünfte anderer Glaubensgemeinschaften sind verboten.
Auch alle Spielplätze sollen geschlossen werden. Übernachtungsangebote wie Hotelzimmer sollen nur noch zu „notwendigen und ausdrücklich nicht zu touristischen Zwecken genutzt werden können“.
In dem Beschluss der Bundesregierung wird aber zugleich betont: „Ausdrücklich NICHT geschlossen werden Einzelhandelsbetriebe für Lebens- und Futtermittel, Wochenmärkte, Lieferdienste, Apotheken, Sanitätshäuser, Drogerien, Tankstellen und Banken und Sparkassen, Poststellen, Waschsalons und der Großhandel.“ Vielmehr sollen für diese Bereiche die Sonntagsverkaufsverbote bis auf weiteres grundsätzlich ausgesetzt werden, um Gedränge zu vermeiden.
Die Regeln, auf die sich Bund und Länder geeinigt haben, sind rechtlich gesehen lediglich Richtlinien. Nun müssen Länder und Kommunen sie umsetzen. Wie schnell die Schließungen von Geschäften, Spielplätzen und ähnlichem vorgeschrieben sind, ist unklar. Sicher ist aber, dass es sehr schnell gehen soll.
Warum werden die Beschränkungen verschärft?
Weil die Fallzahlen auf über 6000 angestiegen sind. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder war am Montagmorgen vorgeprescht. Nachdem der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz de facto Ausgangsbeschränkungen verfügt hat und die Menschen nur noch mit sehr triftigem Grund ihr Haus oder ihre Wohnung verlassen sollen, verkündet Söder, dass auch auch Sportplätze und Spielplätze gesperrt werden sollen und Restaurants bereits um 15 Uhr zu schließen haben. Er hat den Katastrophenfall ausgerufen.
Zum Schutz der bayerischen Wirtschaft setzt Bayern zudem die Schuldenbremse außer Kraft und will als ersten Schritt zehn Milliarden Euro Soforthilfe bereitstellen. Diese von vielen nicht erwartete medizinische Krise droht zum ökonomischen Desaster werden, weil plötzlich der Binnenkonsum fast zum Erliegen kommt.
Weitere Auflage in Bayern – und eine Premiere: Bei den Stichwahlen der bayerischen Kommunalwahlen in knapp zwei Wochen soll es keine Wahllokale geben, sondern es kann nur per Briefwahl abgestimmt werden.
Was könnte noch kommen?
Das Recht auf Bewegungsfreiheit kann laut Artikel 11, Absatz 2 des Grundgesetzes nur eingeschränkt werden, wenn es eine drohende Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes gibt, aber auch „zur Bekämpfung von Seuchengefahr, Naturkatastrophen oder besonders schweren Unglücksfällen“.
Zudem wird eine Branche immer massiver getroffen: Neben dem Hotel- und Gaststättengewerbe bleiben immer mehr Flugzeuge am Boden. Die Landesregierung von Baden-Württemberg will den Betrieb an allen Flughäfen in dem Bundesland einstellen. Das könnte erst der Anfang sein.
Zudem werden in ganz Europa immer mehr Grenzen dicht gemacht. Der grenzüberschreitende Verkehr soll stark eingeschränkt werden, um die Ausbreitung einzudämmen, damit die Krankenhäuser noch genug Intensivbetten zur Behandlung von Covid-19 und aller anderer Patienten haben.
Viele Maßnahmen bleiben nun nicht mehr – außer Ausgangssperren. In Frankreich beklagt sich die Regierung darüber, dass viele Landsleute nicht den Aufrufen folgen, zu Hause zu bleiben. So könne der Virus-Ausbruch nicht eingedämmt werden, warnt der oberste Gesundheitsbeamte des Landes, Jerome Salomon.
Was sagen die Ärzte zur Corona-Lage?
Das Gesundheitswesen hat sich noch nicht auf die Lage einstellen können. Die Kliniken testen unter Hochdruck zahlreiche Verdachtsfälle auf das Virus, während nach Angaben einzelner Mitarbeiter auf ganzen Stationen bestimmte Schutzuntensilien fehlen sollen. Die Gesundheitsämter versuchen trotz unbesetzter Stellen die Maßnahmen zum Infektionsschutz durchzusetzen.
Die niedergelassenen Mediziner wiederum kritisieren die Bundesregierung: Wie die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Berlin am Montag mitteilte, konnten die 6500 Berliner Praxen nicht mit dringend benötigter Schutzausrüstung ausgestattet werden. „Die beim Bundesbeschaffungsamt durch die Bundesregierung bestellte Schutzausrüstung“ sei bundesweit nicht geliefert worden, schreibt die KV.
„Wir stehen jetzt vor einem riesigen Problem: Die niedergelassenen Ärzte, die sich, ihre Mitarbeiter und noch nicht infizierte Patienten schützen müssen, können die Regelversorgung ohne Schutzausrüstung nicht mehr aufrechterhalten.“
Die KV ist für die ambulante Versorgung zuständig, die Kliniken für die stationäre. Geschlossene Schulen, Kitas und Kultureinrichtungen führen bei den Blutspendediensten des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) für weniger Spendemöglichkeiten.
Damit Blutreserven nicht noch knapper werden, rief das DRK dazu auf, geeignete Räume für Spende-Aktionen zu melden. Allerdings gibt es auch weniger Spender, denn Infizierte scheiden aus.
Legt auch Berlin nach?
Berlin hat das öffentliche Leben im Zuge der Corona-Krise weitgehend heruntergefahren. Bars, Vereine, Schulen sind zu. Doch Ausgangssperren wie in Spanien und Italien soll es vorerst nicht geben. „In Berlin funktionieren die Strukturen zur Bewältigung der Krise“, sagt Innensenator Andreas Geisel (SPD).
Allerdings wird der rot-rot-grüne Senat am Dienstag folgendes beschließen, das erfuhr der Tagesspiegel aus Koalitionskreisen: Shopping-Malls, Restaurants (die bislang unter Auflagen öffnen durften) sollen ab 18 Uhr geschlossen, alle Kundgebungen mit mehr als 50 Teilnehmern auch unter freiem Himmel untersagt werden. Alle Verwaltungen fahren sukzessive ihre Arbeit runter. Im Roten Rathaus wurden die Abteilungsleiter gebeten, die Mitarbeiter ins Homeoffice zu delegieren.
Sogar die Senatsverwaltung für Gesundheit wird auf einen Notbetrieb heruntergefahren: „Alle Termine für die kommenden Wochen sind abgesagt, sofern diese nicht im Zusammenhang mit der Eindämmung der Corona-Pandemie stehen“, sagt eine Sprecherin von Senatorin Dilek Kalayci (SPD).
Was würden Ausgangssperren bringen?
Ob eine so drastische, in die individuellen Rechte eingreifende Maßnahme gerechtfertigt ist, lässt sich nicht eindeutig beantworten. Das hat den Grund, dass es kaum harte Evidenz dafür gibt, also aussagekräftige Studien oder über Modellrechnungen hinausgehende Informationen.
Was es gibt, sind historische Berichte. Dazu gehören Auswertungen von Informationen über teils weit, bis zur „Spanischen Grippe“ von 1918 zurückreichende Ausbrüche, aber auch die sehr frischen Erfahrungen aus der aktuellen Covid-19-Pandemie.
Angesichts von ganzen Abiturklassen, die sich ungerührt von den Nachrichten und geschlossener Schulen dennoch in Scharen zur „Mottowoche“ treffen, angesichts von Berlins Nachtschwärmern, die sich mangels Bars und Clubs dann eben beim Späti versammeln oder unbelehrbaren Konzertbetreibern wie etwa in Cardiff, wäre die Anordnung einer Ausgehsperre ein deutliches Signal an jeden einzelnen, diese Pandemie endlich ernst zu nehmen und verantwortungsbewusst gegenüber Risikogruppen zu handeln. Entscheidungsträger gehen ein hohes Risiko ein, gerade in demokratischen, freiheitlichen Gesellschaften, dieses Mittel einzusetzen.
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