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Emmanuel Macron (l), Präsident von Frankreich und Angela Merkel, Bundeskanzlerin von Deutschland, beim EU-Gipfel in Brüssel.
© dpa

EU-Gipfel zum Brexit: Brüssel fordert Boris Johnson heraus - er soll sich bewegen

Die EU triumphiert, dass Boris Johnson mit seinem Ultimatum nur geblufft hat und fordert ihn auf, Entgegenkommen zu zeigen. London ist sauer.

Mit einer gewissen Genugtuung reisten die Staats- und Regierungschefs nach Brüssel. An diesem Tag verstreicht wieder einmal ein Ultimatum, das der britische Regierungschef Boris Johnson Brüssel gesetzt hat. Wieder einmal hat er nur geblufft und wird dann doch nicht den Tisch verlassen, an dem über die künftigen Beziehungen zwischen der EU und dem Königreich verhandelt wird.

Im Streit über ein Brexit-Handelsabkommen der EU mit Großbritannien steht es trotzdem Spitz auf Knopf. Der EU-Gipfel erklärte am Donnerstag, es sei nun an London, „die nötigen Schritte zu tun, um ein Abkommen möglich zu machen“.

Man wolle weiter einen fairen Deal, aber nicht zu jedem Preis, sagte EU-Unterhändler Michel Barnier. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel äußerte sich genauso. Der britische Unterhändler David Frost reagierte enttäuscht und kündigte eine offizielle Erklärung für Freitag an. Dann könnte Premierminister Boris Johnson sagen, ob er die Verhandlungen abbricht.

Beide Seiten arbeiten seit Monaten an einem Handelspakt, der zum Jahresende Zölle und Handelshemmnisse verhindern soll. Doch ist man in entscheidenden Punkten von einer Lösung weit entfernt – obwohl Johnson der EU eine Frist zur Einigung bis 15. Oktober gesetzt hatte.

Barnier schlug Großbritannien am Donnerstagabend vor, die Verhandlungen in den nächsten zwei bis drei Wochen noch einmal zu intensivieren. Er wolle die kommende Woche komplett in London sein. Dann seien Verhandlungen in Brüssel vorgesehen.

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Britische Seite ist enttäuscht

Die Gipfelerklärung fordert aber Zugeständnisse aus London, vor allem bei den wichtigsten Knackpunkten Fischerei, Wettbewerbsbedingungen und Streitschlichtung. Vor allem Frankreich verlangt, dass EU-Fischer weiter in britischen Gewässern fangen dürfen. „Auf keinen Fall dürfen unsere Fischer die Opfer des Brexits sein“, sagte Präsident Emmanuel Macron.

Der britische Unterhändler Frost zeigte sich enttäuscht über die Gipfelerklärung und überrascht, dass darin nicht mehr die Rede von intensiven Bemühungen sei. Ebenfalls überraschend sei, dass nur Großbritannien sich bewegen solle. „Das ist ein ungewöhnlicher Ansatz in der Verhandlungsführung“, schrieb Frost auf Twitter.

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Merkel hatte zuvor gesagt: „Wir wollen ein Abkommen, aber nicht um jeden Preis.“ Man müsse zu einer fairen Vereinbarung kommen, von der beide Seiten profitieren könnten. „Es lohnt sich alle Mühe.“ EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen lobte, es sei schon viel gute Arbeit geleistet worden, doch seien eben noch entscheidende Punkte offen. Ratschef Charles Michel betonte, die EU sei hundertprozentig geschlossen und „extrem ruhig“.

Die Chancen, dass es doch noch zu einem Deal kommt, sollen in den vergangenen Tagen gestiegen sein. Bernd Lange (SPD), Chef des Handelsausschusses im Europa-Parlament, schätzt zu 40 Prozent, dass es noch zu einer Einigung in letzter Minute kommen kann. Beide Seiten müssten dafür ab Montag non-stop verhandeln, die erste Woche in London, die zweite in Brüssel.

Michel Barnier, Brexit-Chefunterhändler der EU.
Michel Barnier, Brexit-Chefunterhändler der EU.
© REUTERS

David McAllister (CDU), Chef des Auswärtigen Ausschusses, macht deutlich, wie hoch der Zeitdruck ist: „Ende Oktober müssen die fertigen Gesetzestexte da sein, andernfalls reicht die Zeit für das Parlament nicht mehr, in der letzten Sitzungswoche vor der Weihnachtspause noch grünes Licht zu geben.“

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Die EU bietet Johnson ein umfassendes Freihandelsabkommen an. Damit behielten die britischen Unternehmen ohne Zölle auf Dienstleistungen und Güter den vollen Zugang zum europäischen Markt. Allerdings stellt Brüssel London Bedingungen: Es müssten die gleichen Spielregeln auf beiden Seiten gelten, etwa bei Subventionen, Arbeitnehmerrechten, Steuern und Umweltauflagen.

Außerdem müsse klar sein, dass in Streitfällen eine Entscheidung vor dem höchsten europäischen Gericht, dem Europäischen Gerichtshof (EuGH), fällt. Zudem müssen EU-Fischer weiterhin einen Zugang zu den britischen Gewässern haben.

Die britische Seite ist nicht bereit, die Datenschutzgrundverordnung weiter als Basis anzuerkennen. Die britische Seite hätte gern den vollen Marktzugang bei Finanzdienstleistungen, will aber die Dienstleister unter britische Aufsicht stellen, was Brüssel strikt ablehnt.

Zum Klimaschutz keine Beschlüsse gefasst

Am ersten Gipfeltag beim Abendessen stand zudem der Klimaschutz auf der Tagesordnung. Beschlüsse werden nicht gefasst. Die Chefs wollen vielmehr eine Orientierungsdebatte führen und sich dann beim nächsten regulären Gipfel im Dezember festlegen.

Merkel wirbt darum, „dass die EU-Mitgliedstaaten das Ziel von 55 Prozent weniger Emissionen bis 2030 unterstützen“. Das Europa-Parlament hat sich gerade für 60 Prozent ausgesprochen. Nun müssen sich die Mitgliedstaaten als Co-Gesetzgeber positionieren und danach mit dem Parlament einigen.

Dabei schauen viele auf Polen. Der deutsche Nachbar hatte vergangenes Jahr als einziges Mitgliedsland nicht dafür gestimmt, die EU-Klimaneutralität im Jahr 2050 anzustreben. Und Polen könnte auch die Zielmarke von 55 Prozent für das Jahr 2030 blockieren. (mit dpa)

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