Energiewende und EEG-Reform: Brüssel bringt Berlin ins Schwitzen
Ein spätes Treffen der Koalitionsspitzen, eine gehetzte Angela Merkel, eine verärgerte Opposition. Am Dienstagabend berieten die Bundestagsausschüsse nach einem hektischen Tag noch das Erneuerbare-Energien-Gesetz.
- Dagmar Dehmer
- Lutz Haverkamp
Am Dienstagabend hat der Wirtschaftsausschuss dann doch noch über die endgültige Fassung des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes (EEG) beraten. Bis kurz vor 22 Uhr. Zeitgleich tagten der Rechts- und der Umweltausschuss. Davor lagen allerdings zwei hektische Tage. Denn am Sonntag kam der Staatssekretär im Wirtschaftsministerium Rainer Baake (Grüne) einmal mehr mit grundlegenden Einwänden der Europäischen Kommission gegen das EEG aus Brüssel zurück. Es ging dabei zum einen um den Eigenstrom. EU-Wettbewerbskommissar Joaquín Almunia hält es für eine Wettbewerbsverzerrung, wenn nur neue Kraftwerke zur Eigenstromversorgung mit der EEG-Umlage belastet werden.
Zudem gab Almunia seine mehrfach formulierten grundsätzlichen Bedenken zu Protokoll. Er kann nämlich nicht einsehen, warum Solaranlagen in Sizilien oder Offshore-Windparks vor der Küste Irlands ihren Strom nicht von den deutschen Stromkunden nach dem EEG vergüten lassen können, wenn sie Strom nach Deutschland exportieren. Im übrigen müsse Importstrom von der EEG-Umlage befreit werden. Denn die wirke wie ein Zoll, und der sei im EU-Binnenmarkt verboten.
Ein hektisches Spitzentreffen im Kanzleramt
Deshalb hatte es Angela Merkel am Montagabend auch eilig. Die CDU-Chefin und Bundeskanzlerin hatte sich nur ein paar Minuten Zeit genommen, um das Fest der Thüringischen Landesvertretung mit ihrer Anwesenheit zu beglücken. Sie habe noch eine Menge Arbeit vor sich, ließ sie die Anwesenden wissen. Smalltalk mit Parteifreundin und Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU) auf der Bühne über Thüringen im Allgemeinen und ihr Verhältnis zur Mode im Besonderen, eine schnelle Bratwurst - und weg war sie wieder.
Wegen der Intervention aus Brüssel mussten die Partei- und Fraktionschefs am Montagabend bei einem Spitzentreffen im Kanzleramt noch einmal Hand anlegen an den Entwurf für das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG). Bei der geplanten Umlage für Strom-Selbstversorger gibt es intern und mit der EU-Kommission Differenzen. Das Wirtschaftsministerium begründet die Abgabe damit, dass sie die Strompreisbelastungen der Bürger etwas dämpfen könne.
Kanzlerin Merkel, CSU-Chef Horst Seehofer, SPD-Chef Sigmar Gabriel sowie Unions-Fraktionschef Volker Kauder, sein SPD-Pendant Thomas Oppermann und CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt berieten dem Vernehmen nach, wie eine EU-konforme Lösung gefunden werden kann. Das Treffen dauerte rund zweieinhalb Stunden. Es war das erste dieser Art, denn bisher waren strittige Fragen nur von den drei Parteichefs beraten worden.
Nach dem Gespräch verließen die Spitzenpolitiker in ihren Limousinen ohne öffentliche Verlautbarung das Kanzleramt. Heute kommen die Koalitionsfraktionen zu Sondersitzungen zusammen, um einen möglichen EEG-Kompromiss zu billigen.
Viel herausgekommen ist nach Ansicht der Opposition nicht: "Sitze in einem Ausschuss der nichts beraten will weil Regierung nicht weiß was sie beantragen will", ätzte Katharina Dröge von den Grünen beim Kurznachrichtendienst Twitter. Und ihr Fraktionskollege Harald Ebner schreibt: "Chaostruppe #GroKo. Hat nix vorzulegen bei Sondersitzungen d Ausschüsse zum #EEG. #Agrarausschuss verzichtet komplett auf Votum. #Zirkus." Der Grünen-Fraktionsvize Oliver Krischer sagte: "Das ist eine Bankrotterklärung für das nach eigener Darstellung wichtigste Reformvorhaben der großen Koalition zur Energiewende."
Der Vorsitzende des Wirtschaftsausschusses, Peter Ramsauer (CSU), sprach von einer „etwas unübersichtlichen Gesamtgefechtslage“.
Der Änderungsantrag ist 204 Seiten lang
Mittags stellten sich dann die Energieunterhändler der Regierungsfraktionen vor die Presse. Da hatten sie gerade einen 204-seitigen Änderungsantrag an die Fraktionen weitergeleitet, über den nachmittags die Fraktionen und am Abend schließlich die Ausschüsse beraten sollten, damit das Gesetz wie geplant am Freitag in zweiter und dritter Lesung im Bundestag und am 11. Juli im Bundesrat durchgewinkt werden kann.
In Sachen Eigenstrom sieht die Einigung der Koalitionäre nun so aus: Kleine Solaranlagen auf dem Dach bis zu einer Leistung von zehn Kilowatt bleiben von der EEG-Umlage befreit; alle neuen Eigenstromanlagen sollen mit 40 Prozent der EEG-Umlage belastet werden, aber erst 2017; davor gibt es einen gleitenden Übergang. 2015 werden 30, 2016 dann 35 Prozent und 2017 dann die vollen 40 Prozent fällig. Das gilt allerdings nur für erneuerbare Stromerzeugungsanlagen und Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen, in denen gleichzeitig Strom und Wärme produziert wird. Neue Kohle- oder Gaskraftwerke für den Eigenbedarf werden mit der vollen EEG-Umlage belastet.
Die bereits bestehenden Anlagen sollen bis Ende 2016 von der EEG-Umlage befreit bleiben. 2017 müsse das dann aber überprüft werden, verlangt die EU-Kommission. Der Industrie gefällt das nicht – sie fürchtet, dass die Unsicherheit der Wirtschaft schade. Die Pressemitteilungen der Wirtschaftsverbände waren noch vor Beginn der Fraktionssitzungen fertig und warnten vor einem Vertrauensverlust der Wirtschaft, wenn tatsächlich 2017 die Befreiung von der EEG-Umlage für den Eigenstrom überprüft werden sollte. Das ist allerdings die Vorgabe der EU. Ohne diesen Satz würde Almunia das deutsche EEG nicht passieren lassen - und dann könnte die energieintensive Industrie im kommenden Jahr keine Industrierabatte beantragen und müsste, wie der CDU-Politiker Michael Fuchs am Dienstag sagte, auch noch rückwirkend Rückstellungen für die Jahre 2012 bis 2014 bilden.
Die Einwände in Sachen Importstrom wollen die Koalitionäre vorläufig aussitzen. Hubertus Heil (SPD) sagte: "Wir haben dazu eine andere Rechtsauffassung." Und in Sachen Vergütung von ausländischem Strom aus erneuerbaren Energien wartet die Bundesregierung eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs ab. Dabei geht es um den Fall eines finnischen Windparkbetreibers, der seine Anlagen von Schweden gefördert wissen will. Der Generalstaatsanwalt hat empfohlen, dem Betreiber Recht zu geben, doch das Urteil steht noch aus.
Breiter Widerstand gegen Mindestabgabe
Gestritten wird seit Wochen und nach wie vor über die Regelungen zum Eigenverbrauch. Gegen den Plan, alle neuen Strom-Selbstversorger - vom Kohle- oder Gaskraftwerk bis zur kleinen Solaranlage - ab 2015 mit einer Mindestabgabe zu belegen, gibt es breiten Widerstand. Die Solarlobby hat eine Kampagne gegen die "Sonnensteuer" ausgerufen und will wegen der Ungleichbehandlung mit anderen Eigenverbrauchern gegen das EEG klagen.
Das Bundeswirtschaftsministerium geht trotz der von Brüssel geforderten Nachbesserungen davon aus, dass die Reform am Freitag wie geplant vom Bundestag verabschiedet werden kann. Der Gesetzentwurf sei europarechtskonform ausgestaltet und von Anfang an eng mit allen Beteiligten in Berlin, Brüssel und den Bundesländern abgestimmt worden, teilte eine Sprecherin des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie am Dienstag in Berlin mit. Die Abstimmung mit der EU-Kommission dauere an und verlaufe "sehr konstruktiv". "Wir sind zuversichtlich, dass der verabredete ambitionierte Zeitplan eingehalten werden kann, um eine rechtzeitige Zustimmung der EU-Kommission im Notifizierungsverfahren erreichen zu können", erklärte die Sprecherin weiter.
Die Zeit drängt, da das Gesetz eigentlich zum 1. August in Kraft treten muss: Denn sonst können Firmen mit hohem Verbrauch nicht mehr rechtzeitig Anträge für umfassende Rabatte bei den Ökostromförderkosten stellen. Dieser Punkt war im Frühjahr schon mit Brüssel gelöst worden - demnach wird das System umgestellt, aber das Entlastungsvolumen verbleibt bei rund fünf Milliarden.
Der Bundesrat soll am 11. Juli das Gesetz abschließend beraten. Es ist aber nicht zustimmungspflichtig, so dass die Länder es nur verzögern könnten. Aber wegen des Zeitdrucks bei den Industrierabatten will die Regierung dies unbedingt vermeiden. Und auch bei den Ländern gibt es wenig Interesse die Industrierabatte zu riskieren, obwohl die Koalitionsfraktionen nur wenige Länderwünsche und nahezu keine Vorschläge aus der zweitägigen Anhörung zum EEG aufgenommen haben.
Die Grünen forderten rasche Klarheit. Die Parlamentarische Geschäftsführerin Britta Haßelmann sagte, die große Koalition müsse den Fraktionen ein anständiges Beratungsverfahren zusichern. "Wer auf den letzten Drücker jetzt umfangreiche Änderungen einreichen will, muss dafür sorgen, dass diese auch ordentlich bearbeitet und von den Fraktionen beraten werden können. Alles andere ist eine Missachtung des Parlamentes." Zur Not werde man eine Verschiebung der Abstimmung beantragen. Das versuchten die Grünen am Dienstagabend schon einmal erfolglos im Wirtschaftsausschuss. Auch ihr Antrag wegen der bedeutsamen Änderungen im Gesetzestext eine weitere Anhörung zu ermöglichen, wurde abgelehnt.
"Das ist absolut chaotisch"
Die Linke wirft Union und SPD ein Durchpeitschen ihres umstrittenen Pakets für eine Ökostrom-Reform vor. "Das ist absolut chaotisch", sagte das Mitglied im Wirtschaftsausschuss des Bundestags, Eva Bulling-Schröter, am Dienstag der Deutschen Presse-Agentur am Rande von Beratungen über den Gesetzentwurf. Die neuen Änderungsanträge lägen noch nicht mal vor. Sie schlug vor, die für Freitag geplante Verabschiedung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes auf nach der Sommerpause zu verschieben und zunächst nur über die auf Druck der EU-Kommission geplante Reform der Industrierabatte abzustimmen. Bulling-Schröter kritisierte, die nun als Grund für Sondersitzungen von der Koalition angeführten Bedenken von EU-Wettbewerbskommissar Joaquín Almunia seien lange bekannt gewesen. Brüssel hat Probleme mit der geplanten unterschiedlichen Belastung von Anlagen der Industrie und kleinerer Unternehmen bei der Selbstversorgung mit Strom.
Am Abend zog die Linke geschlossen aus dem Wirtschaftsausschuss aus, um gegen das Verfahren zu protestieren.
Der stellvertretende SPD-Fraktionschef Hubertus Heil kritisierte die EU-Kommission, die kurzfristig neue Bedenken gegen die Reformpläne angemeldet hatte. "Unsere Freude über das Verhalten der europäischen Kommission in den letzten Tagen hält sich sehr in Grenzen." Heil rief die Opposition von Grünen und Linkspartei auf, am Freitag bei der abschließenden Beratung im Bundestag keine Aufruhr zu veranstalten. Man könne über die Sache streiten, "aber nicht ein Verfahren Skandalisieren, was parlamentarisch sauber ist". (mit dpa)