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Gefangenenaustausch im Nahen Osten: Bringt der Deal den Frieden?

Der Austausch des von der Hamas verschleppten Gilad Schalit gegen 1027 Palästinenser löst nicht die angestauten Probleme im Nahen Osten. Zumindest gibt es Hoffnung, dass in die festgefahrene politische Situation nun neue Bewegung kommt.

Wer ist der politische „Gewinner“ dieses Gefangenenaustauschs – die Israelis oder die Palästinenser?

Beide Seiten präsentieren sich als Gewinner – zu Recht. Der israelische Premier Benjamin Netanjahu hat die jüdische Bevölkerung hinter sich geeint in einer Zeit, in der Sozialproteste die tiefen Risse, die durch die israelische Gesellschaft gehen, offenbaren. Das überragende Thema dieser Proteste sind die soziale Ungerechtigkeit und Entsolidarisierung in der israelischen Gesellschaft – mit der Rückkehr des jungen Soldaten sind diese Gräben wenigstens kurzzeitig überbrückt. Außerdem wird Netanjahu nun zumindest als der Politiker in die Geschichtsbücher eingehen, der Gilad Schalit heimgebracht hat. Den Vorwurf, er habe dafür Gefangene freigelassen, die „Blut an den Händen“ hätten, scheint dagegen nur eine Minderheit zu erheben.

Auf palästinensischer Seite ist die islamistische Hamas der Sieger, weil sie geschafft hat, was Palästinenserpräsidenten mit Verhandlungen nicht geschafft haben: Mehr als 1000 politische und „Sicherheitsgefangene“ heimzuholen, unter denen sich knapp 300 Personen befinden, die in Israel zu lebenslanger Haft verurteilt waren. Allerdings musste Hamas große Abstriche machen: Die beiden Führungspersönlichkeiten Marwan Barghouti und Ahmed Saadat sind nicht unter den Freigelassenen. Außerdem dürfen Dutzende freigelassene Palästinenser nicht in ihre Heimat zurückkehren.

Einer gegen 1027 – was sagt diese Relation aus?

Diese Relation zeigt die Ungleichheit im Kräfteverhältnis zwischen Israel und den Palästinensern. Israel hielt etwa 6000 Palästinenser in seinen Gefängnissen fest, von denen allerdings nur ein Teil an Anschlägen auf Zivilisten in Israel beteiligt war. Denn die israelische Armee kann in die Westbank und den Gaza-Streifen einrücken und Menschen festnehmen. In dem Abkommen zum Gefangenenaustausch soll sich Israel auf Druck der Hamas verpflichtet haben, die Freigelassenen nicht gleich wieder aus Gaza oder der Westbank gewaltsam zurückzuholen.

Die palästinensische Seite, in diesem Fall die Hamas, hatte einen einzigen israelischen „Gefangenen“, den entführten Soldaten Schalit. Daher ist der Eindruck nicht falsch, dass ein Israeli mehr wert ist als ein Palästinenser – aber das ist nicht einfach eine Frage der moralischen Überlegenheit Israels, sondern auch ein Ergebnis des Ungleichgewichts der Kräfte in diesem Konflikt.

Ermuntert der Gefangenenaustausch die Hamas zu weiteren Entführungen? Lesen Sie weiter auf der nächsten Seite.

Ermuntert der Gefangenenaustausch die Hamas zu weiteren Entführungen?

Wahrscheinlich. Und das ist ja auch die Sorge israelischer Kritiker des Deals. Denn die Botschaft Israels lautet natürlich: Wenn ihr einen unserer Soldaten in eurer Gewalt habt, sind wir bereit, ziemlich weit auf eure Forderungen einzugehen. Bei friedlichen Verhandlungen ist das nicht der Fall – so empfinden das viele Palästinenser, die sich gut erinnern, wie Präsident Jassir Arafat nach der Unterzeichnung des Wye River Abkommens 1998 ausgetrickst worden war. Um daheim Rückhalt für seine Politik des Ausgleichs zu gewinnen, hatte Arafat durchgesetzt, dass 750 politische Gefangene freigelassen werden. Die palästinensische Seite ging davon aus, dass dies „Sicherheitsgefangene“ sein würden. Doch stattdessen ließ Israel hauptsächlich Autodiebe, Vergewaltiger, Verurteilte wegen illegalen Aufenthalts in Israel und andere einfache Kriminelle frei.

Allerdings wird sich die Hamas eine erneute Entführung – wenn sich denn dafür die Gelegenheit ergäbe – gut überlegen. Denn der Preis für die Entführung Schalits war für die Bewohner des Gaza-Streifens extrem hoch: Hunderte sind bei anschließenden israelischen Angriffen getötet worden und die jahrelange fast hermetische Abriegelung Gazas wurde auch mit der Entführung Schalits begründet.

Wird nun die Blockade des Gazastreifens gelockert?

Das ist die entscheidende Frage. Nach Angaben von Hamas war das Ende der Blockade, die bis jetzt den Wiederaufbau nach dem Gaza-Feldzug von 2009 verhindert hat, implizit Teil des Abkommens über den Gefangenenaustausch. Mahmud Zahar, einer der Hamas-Führer in Gaza, sagte der israelischen Tageszeitung Haaretz, Israel habe dem vor langer Zeit in Gesprächen mit Gerhard Konrad, dem deutschen Unterhändler vom Bundesnachrichtendienst, zugestimmt und dies sei noch immer Teil des Abkommens. Von offizieller israelischer Seite ist zu hören, dass über eine weitere Lockerung der Blockade nachgedacht werde, wenn keine weiteren Angriffe auf Israel vom Gazastreifen ausgingen. Der israelische Abgeordnete der Kadima-Partei, Nacham Shai, forderte bereits, die Beziehungen zur Hamas, die den Gazastreifen regiert, nach diesem Deal zu überdenken. „Die Blockade Gazas war diktiert durch Gilats Entführung und Gefangenschaft“, sagte Shai der Tageszeitung Haaretz.

Was bedeutet diese Aktion für den erhofften Friedensprozess im Nahen Osten?

Obwohl weltweit alle Politiker die Hoffnung aussprechen, dies möge neue Friedensverhandlungen beflügeln, gibt es dafür bisher kein Indiz. Denn es ist nicht die Hamas, die auf palästinensischer Seite die Verhandlungen führt, sondern der PLO-Vorsitzende Mahmud Abbas – der aber nicht in den Deal involviert war.

Der israelische Premier Benjamin Netanjahu hat in seiner Rede weiterhin Härte gegen den „Terrorismus“ angekündigt. In der Ansprache war kein versöhnliches Wort zu finden. In Israel wird zudem darüber spekuliert, ob die Genehmigung zum Bau weiterer Siedlungen auf palästinensischem Land pünktlich zum Gefangenaustausch ein Zugeständnis an Kritiker des Deals war. Das Haupthindernis für die Aufnahme von Friedensverhandlungen ist aber genau der andauernde Siedlungsbau. Versöhnliche Worte hingegen kamen von dem freigelassenen Gilad Schalit. Er sprach in seinem ersten Interview die Hoffnung aus, dass auch die restlichen palästinensischen Gefangenen freikommen und der jetzige Austausch zu Frieden zwischen beiden Völkern führen werde.

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