Machtwechsel in Großbritannien: Brexit-Wortführer Boris Johnson wird neuer Außenminister
Er war das Gesicht der Brexit-Kampagne. Nun hat die neue britische Premierministerin Theresa May Boris Johnson überraschend zum Außenminister ernannt. Verhandeln über den EU-Austritt wird er aber nicht.
In der neuen britischen Regierung übernimmt der Brexit-Wortführer Boris Johnson das Amt des Außenministers. Darüber hinaus setzte die neue Premierministerin Theresa May am Mittwochabend den EU-Austrittsbefürworter David Davis als "Brexit-Minister" ein. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker forderte May auf, sie solle den EU-Austritt schnell offiziell machen.
"Nach dem Referendum steht uns eine Zeit großen nationalen Wandels bevor", sagte May kurz nach ihrer Ernennung am Amtssitz in der Londoner Downing Street. "Da wir Großbritannien sind, weiß ich, dass wir dieser Herausforderung gewachsen sein werden", sagte die 59-Jährige.
Sie ernannte überraschend den früheren Londoner Bürgermeister Johnson zum Außenminister. Dieser hatte sich, obwohl sein Lager das Referendum über den EU-Austritt gewann, kurz darauf weitgehend aus der Öffentlichkeit zurückgezogen und mitgeteilt, dass er nicht für den Posten des Regierungschefs zur Verfügung stehe.
Wie neutralisiert man einen begnadeten Populisten, politischen Konkurrenten und damit potentiellen Störenfried, also einen wie Boris Johnson? Indem man ihn einbindet. Und zwar in ein sehr hohes, sehr verantwortungsvolles Amt, das sich vor allem dadurch auszeichnet, dass man als Amtsinhaber den geringstmöglichen Einfluss hat auf innen- bzw. wirtschaftspolitische Entscheidungen. Chapeau, Frau Premierministerin!
schreibt NutzerIn soldier
Ex-Europaminister Davis wurde zum Staatssekretär für den Austritt aus der Europäischen Union ernannt. Damit ist er der britische Chefunterhändler in den Verhandlungen mit Brüssel. Auch Davis zählt zu den prominenten Vertretern des "Leave"-Lagers, die vor dem Referendum am 23. Juni für ein Ausscheiden des Königreichs aus der EU geworben hatten.
May war am Mittwoch als Nachfolgerin von Premierminister David Cameron ernannt worden. Ihrer Regierung kommt es nun zu, die Bedingungen für Großbritanniens Austritt aus der EU auszuhandeln. Cameron trat infolge des Mehrheitsvotums für den EU-Austritt an diesem Mittwoch zurück.
Der bisherige Außenminister Philip Hammond übernimmt in der neuen britischen Regierung das Amt des Finanzministers. Der bisherige Finanzminister George Osborne scheidet laut einer offiziellen Mitteilung aus der Regierung aus. Neue Innenministerin ist Amber Rudd, neuer Verteidigungsminister Michael Fallon, neuer Minister für internationalen Handel Liam Fox.
Nach dem EU-Austritt werde Großbritannien "in der Welt eine kühne, neue, positive Rolle" übernehmen, sagte May. Zugleich machte sie deutlich, dass sie sich für den Zusammenhalt des Königreiches einsetzen wolle. "Wir glauben an die Union, das wertvolle Band zwischen England, Schottland, Wales und Nordirland", sagte die neue Premierministerin. Das Land solle nicht "für einige, wenige Privilegierte, sondern für uns alle arbeiten".
Die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon erklärte, May habe gesagt, "Brexit heißt Brexit". Dies könne sie für England und Wales sagen, wo die Mehrheit für den EU-Austritt gestimmt habe, nicht aber für Schottland. "Für uns gilt: Bleiben heißt Bleiben."
Juncker erklärte via Twitter, das Brexit-Votum habe "eine neue Lage geschaffen, auf die das Vereinigte Königreich und die Europäischen Union bald reagieren müssen". Er könne es "kaum erwarten", mit May "eng zusammenzuarbeiten" und ihre Absichten in dieser Hinsicht zu erfahren. Auch EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) verband seine Glückwünsche an May mit der Forderung nach baldiger Klarheit. "Die Führungsfrage ist geregelt, nun erwarte ich, dass wir schnell arbeiten, um Gewissheit zu geben", erklärte Schulz.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) freut sich auf die Zusammenarbeit mit May. Sie werde bald mit ihr in Kontakt treten, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin. Auf die Frage, welche Erwartungen die Kanzlerin an die Verhandlungen von May mit der Europäischen Union über den Ausstieg Großbritanniens aus der EU habe, sagte er: „Nun wollen wir die britische Seite ihre Entscheidungen treffen lassen. Da gibt es heute keine neuen Erwartungen.“ Auch der russische Präsident Wladimir Putin gratulierte May. Putin habe in einem Telegramm seine Bereitschaft zu einem konstruktiven Dialog mit der Premierministerin betont, teilte der Kreml mit.
May ist die zweite Frau an der Spitze der britischen Regierung seit Margaret Thatcher. Jahrelang galt May als EU-Skeptikerin, schloss sich vor dem Referendum aber dem Lager der EU-Befürworter an. Nach dem Votum erklärte sie, sie wolle den Brexit zu einem "Erfolg" für Großbritannien machen. Wichtigste Aufgabe Mays wird es in den nächsten Monaten sein, den geplanten Austritt aus der Europäischen Union zu regeln. Ein genaues Datum für den Beginn der formellen Austrittsverhandlungen gab May bisher nicht an - Brüssel mahnt aber rasches Handeln an.
Zudem kommt es für die neue Premierministerin darauf an, negative wirtschaftliche Folgen des Brexit-Votums zu mildern. Bereits am Donnerstag dürfte die Bank of England die Leitzinsen senken, um so die lahmende Konjunktur anzukurbeln. Während die Konservativen ihre Brexit-Krise schneller als erwartet beilegten, geht der Aufruhr bei der Opposition weiter. Die Labour-Partei steuert auf eine Urwahl der Parteibasis um den Vorsitzendenposten zu. Der unter Druck stehende Vorsitzende Jeremy Corbyn dürfte dabei der Abgeordneten Angela Eagle gegenüberstehen. Kritiker werfen Corbyn vor, die Partei sei unter seiner Führung bei jüngsten Wahlen und beim EU-Referendum gescheitert. (AFP/dpa)