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Die einen erinnern, andere leugnen: Das Holocaust-Mahnmal in Berlin
© Christophe Gateau / dpa

Holocaustleugnung: Brauner Dreck ist eine Meinung, braunes Gift ist eine Gefahr

Das Verfassungsgericht zeigt die Unterschiede zwischen rechtsextremer Agitation und strafbarer Volksverhetzung auf - und erweist der Demokratie damit einen Dienst. Ein Kommentar.

Der durchschnittliche Neonazi weiß langsam auch nicht mehr genau, woran er da eigentlich ist. Ein rechtsextremer Aktivist, der auf seinen Netzkanälen Reden über die „Vier-Millionen-Lüge von Auschwitz“ verbreitet, wird vom Bundesverfassungsgericht freigesprochen. Eine Beschwerde der bald 90-jährigen Grande Dame der Holocaustleugnung in Deutschland, Ursula Haverbeck, wird dagegen in Karlsruhe abgeschmettert. Dabei waren beide zuvor wegen ein und desselben Gesetzes verurteilt worden: Paragraf 130 Absatz 3 Strafgesetzbuch, der als Volksverhetzung auch denjenigen bestraft, der NS-Verbrechen „billigt, leugnet oder verharmlost“.

Zwei Holocaustleugner, die eine bestraft, der andere nicht. Ungerecht? Jedenfalls könnte die Differenz jenen Kritikern Auftrieb geben, die argumentieren, dass Diskussionsbeiträge in historischen oder politischen Kontexten generell straflos sein sollten. Meinungsfreiheit pur also.

Propagandisten werden erzählen, die Juden seien freiwillig ins Gas gegangen

Juristisch gesehen eine wohl begründbare Perspektive. Leider zwingt sie in schlechte Gesellschaft. Die Profiteure wären randständige Propagandisten, die dann in Rundfunk, Fernsehen und Internet erzählen könnten, dass Juden in Auschwitz nur brav gearbeitet hätten und wenn, dann freiwillig ins Gas gegangen seien. Wie oft, wie lange will man das dann mitansehen?

Es ist eine der größten kulturellen Leistungen des demokratischen Rechtsstaats, dass er Unterschiede macht. Einzelfälle betrachtet. Abwägt. Vergleicht, ohne gleichzumachen, und gewichtet, ohne es sich leicht zu machen. Und das gilt eben auch bei Betrachtung seiner Gegner. Brauner Dreck ist brauner Dreck – aber möglicherweise keine braune Hetze.

Haverbeck adressiert ihre entsetzlichen Reden direkt an den Zentralrat

So liegen die Fälle hier. Beim Netzaktivisten findet sich ein krauses Geschwätz über „historische Wahrheiten“, eingekleidet in rhetorische Fragen und überfrachtet mit rechten Schlagworten: Hier wird ein brauner Brei angerührt. Haverbeck, die auch hochbetagt noch über die Gabe verfügt, fiesesten Judenhass in gestochen formulierte Sätze zu übertragen, adressiert ihre entsetzlichen Reden dagegen direkt an den Zentralrat der Juden. Das ist kein Brei mehr. Hier wird eine Front aufgezogen. Hier wird Gift gekocht.

Wir leben in einem freien Land - jeder darf alles hassen

So haben die Gerichte Unterschiede zu machen: Zwischen Meinung und Tatsachenbehauptung, zwischen der Eignung einer Aussage, den öffentlichen Frieden zu stören oder eben auch nicht. Und sie müssen diese Unterschiede darlegen und begründen. Das Bundesverfassungsgericht erinnert in seinen beiden Beschlüssen daran, dass sich die Qualität einer Demokratie gerade im Umgang mit ihren Gegnern erweist. Ein politisches Reizklima berechtigt nicht dazu, sie in einen Sack zu stecken und loszuprügeln. Wir leben in einem freien Land, in dem jeder alles hassen darf. Die Frage kann nur sein, wie er es zum Ausdruck bringt.

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