Post-Brexit-Verhandlungen: Boris Johnson pokert wieder
Am Montag beginnt eine neue Runde in den EU-Gesprächen mit London. Boris Johnson lässt es dabei erneut auf eine Eskalation ankommen. Ein Kommentar.
Leider haben der britische Regierungschef Boris Johnson und seine Amtskollegen vom europäischen Kontinent derzeit Wichtigeres zu tun, als sich mit den wirtschaftlichen Details der Post-Brexit-Ära zu befassen. Gerade in Großbritannien, wo es mehr Corona-Tote zu beklagen gibt als in allen anderen Staaten in Europa, erfordert die Krise die volle Aufmerksamkeit der Regierung.
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Daran dürfte auch die Tatsache nichts ändern, dass sich die Unterhändler der EU und Großbritanniens ab diesem Montag wieder zu einer neuen virtuellen Verhandlungsrunde treffen. Nach dem Austritt der Briten aus der EU im Januar wäre es eigentlich im Sinne beider Seiten, möglichst schnell die Details einer Vereinbarung festzulegen, welche schädliche Zollschranken zum Jahresende verhindern würde. Dass aber die Gespräche kaum Fortschritte machen, liegt vor allem an Johnson.
Der britische Regierungschef spekuliert nämlich darauf, dass die Vertreter der 27 EU-Staaten umso größere Zugeständnisse machen werden, je näher das Jahresende und die Aussicht auf die drohenden wirtschaftlichen Verwerfungen angesichts eines fehlenden Handelsvertrages rückt.
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Die Fischereipolitik gehört zu Johnsons Trümpfen
Tatsächlich dürfte es wie bereits im vergangenen Jahr, als es bei den Brexit-Gesprächen um Dinge wie Grenzkontrollen auf der irischen Insel ging, auch diesmal wieder auf eine krisenhafte Zuspitzung hinauslaufen. Das wäre dann ein politischer Schauplatz, den die EU in Coronazeiten weniger denn je gebrauchen kann.
Erneut steht der Zusammenhalt der Gemeinschaft auf dem Spiel, doch der könnte möglicherweise diesmal noch schwieriger zu wahren sein als bisher. Denn Johnson hat durchaus die Möglichkeit, bei den Gesprächen über das Post-Brexit-Verhältnis die Interessen einzelner EU-Mitgliedstaaten gegeneinander auszuspielen. So müssen beispielsweise Frankreichs Fischer künftig um ihre Fanggründe vor der britischen Küste bangen, falls sich Johnson bei den Gesprächen über diesen Wirtschaftssektor querstellen sollte.
Bei nüchterner Betrachtung hätte Großbritannien unterm Strich wirtschaftlich allerdings mehr zu verlieren als die 27 EU-Staaten, falls die Gespräche komplett scheitern sollten. Auch der Handelsdeal mit US-Präsident Donald Trump, den Johnson parallel zu den EU-Verhandlungen vorantreiben will, ändert daran nichts Wesentliches. Es könnte nicht schaden, wenn der britische Premier eine Kosten-Nutzen-Rechnung aufstellt, bevor er sein Pokerspiel fortsetzt.