Handelsgespräche zwischen London und Washington: Whisky gegen Agrarprodukte
Boris Johnson will ein Freihandelsabkommen mit den USA abschließen. Laut einer britischen Ministeriumsanalyse hat eine solche Vereinbarung aber nur Symbolwert.
Mehr als 100 Beamte aus den USA und Großbritannien nehmen an den Gesprächen zum Abschluss eines bilateralen Freihandelsabkommens zwischen beiden Seiten teil, die am Dienstag begonnen haben. Die Gespräche mit Washington, die parallel zu den Verhandlungen mit der EU über einen Handelsvertrag stattfinden, stellen für London eine der wichtigsten Prioritäten dar.
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Die Gespräche zwischen der für den internationalen Handel zuständigen britische Ministerin Liz Truss und der US-Handelsminister Robert Lighthizer finden wegen der Corona-Pandemie nur virtuell statt. Das Vereinigte Königreich hofft, aus einem neuen Abkommen mit den USA Kapital zu schlagen, indem die Bedingungen für den Export von Autos, Keramik, Whisky und Käse verbessert werden. Unterdessen erklärte die US-Seite in ihren Zielvorgaben vom vergangenen Jahr, dass Washington vor allem den vollen Zugang für US-Agrarprodukte sowie eine Senkung der britischen Zölle für in den USA hergestellte Waren anstreben werde.
Ebenfalls ganz oben auf der Wunschliste der britischen Regierung unter Premierminister Boris Johnson stehen neben dem Handelsabkommen mit den USA auch Deals mit Australien, Neuseeland und Japan. Auf die USA, den größten einzelnen Handelspartner des Vereinigten Königreichs, entfielen 2018 fast 19 Prozent aller britischen Exporte sowie elf Prozent der Importe.
Wenig Fortschritt bei Verhandlungen mit der EU
Seit das Vereinigte Königreich die EU am 31. Januar offiziell verlassen hat, gestalten sich die Verhandlungen über ein Folgeabkommen mit Brüssel indes weiter schwierig. Es gibt nur noch wenig Verhandlungszeit vor einem entscheidenden Gipfel im Juni. Die britische Regierung hat bereits gedroht, die Gespräche abzubrechen, sollte beim Gipfeltreffen kein Fortschritt erkennbar sein.
Da die britische Führung darüber hinaus eisern an einem Ende der Übergangsphase im Dezember dieses Jahres festhält, wird immer wahrscheinlicher, dass das Vereinigte Königreich und die EU ab 2021 wieder zu WTO-Bedingungen Handel betreiben werden.
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Am Dienstag räumte der stellvertretende irische Premierminister Simon Coveney ein, dass die Gespräche mit London nicht gut vorankommen. Er zeigte sich besorgt, da „die Zeit drängt und es noch furchtbar viel zu tun gibt“.
Eine Analyse des britischen Ministeriums für internationalen Handel hat derweil ergeben, dass es bei einem Handelspakt zwischen den USA und dem Vereinigten Königreich wohl mehr um Symbolpolitik als um tatsächliche wirtschaftliche Vorteile geht. Die britische Wirtschaft würde demnach mit einem Abkommen in den kommenden 15 Jahren um 0,16 Prozent (das entspricht 3,4 Milliarden Pfund) wachsen – wenn alle Zölle abgeschafft würden.
Aktuell hat das Vereinigte Königreich einen jährlichen Handelsüberschuss von 45 Milliarden Pfund (rund 50 Milliarden Euro) gegenüber den USA.
US-Wahlen schränken Zeit für Verhandlungen ein
Die britische Führung strebt ein Abkommen mit den USA noch vor Ende 2020 an, also idealerweise zeitgleich mit einem EU-Deal. Allerdings dürfte auf der anderen Seite der Zeitrahmen noch etwas enger sein; schließlich stehen im November die Präsidentschafts- und Kongresswahl in den USA an.
[Erschienen bei EurActiv. Das europapolitische Onlinemagazin EurActiv und der Tagesspiegel kooperieren miteinander. Bearbeitet von Zoran Radosavljevic und Tim Steins. Übersetzung: Tim Steins]
Handelsexperten gehen davon aus, dass Johnson und US-Präsident Donald Trump zwar durchaus motiviert sind, rasch zu handeln und sich somit jeweils einen persönlichen politischen Sieg zu bescheren. Dass ein weitreichendes Handelsabkommen tatsächlich derart schnell zustande kommt, sei jedoch eher unwahrscheinlich.
Werden britische Standards heruntergesetzt?
Boris Johnson dürfte seinerseits – angesichts der klaren Tory-Mehrheit im Unterhaus – in nächster Zeit kaum Schwierigkeiten haben, einen Handelspakt mit den USA zu auszuhandeln und zu verabschieden.
Es gibt allerdings bereits zahlreiche Bedenken und Warnungen, Washington wolle sich um Zugang zu den Beschaffungsmärkten des britischen Gesundheitsdienstes National Health Service bemühen. Außerdem gilt als nahezu sicher, dass Washington darauf drängen wird, dass „Chlorhühnchen“ und hormonbehandeltes Rindfleisch aus den USA im Vereinigten Königreich verkauft werden dürfen.
Johnson hat diesbezüglich versprochen, „harte Verhandlungen“ zu führen. Auch Handelsministerin Truss hat erklärt, London werde seine Sicherheitsstandards für Lebensmittel nicht senken.
Sam Lowe, Handelsexperte am Centre for European Reform und Mitglied der Strategic Trade Advisory Group der britischen Regierung, stellte gegenüber EurActiv.com hingegen fest, es gebe nach wie vor viele Vertreter in der britischen Regierung, „die alles unterschreiben wollen, was auch immer die USA ihnen vorsetzen“. Und er glaubt: „Die USA neigen dazu – ebenso wie die EU – das zu bekommen, was sie wollen.“
Benjamin Fox