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Ausschnitt aus der Sendung "Neo Magazin Royale" vom 31. März 2016.
© TSP
Update

Urteil vom Berliner Verwaltungsgericht: Böhmermann klagt erfolglos gegen Merkel

Die Kanzlerin muss ihre Kritik an Böhmermanns Schmähgedicht nicht zurücknehmen. Das entschied das Berliner Verwaltungsgericht.

Einen Gag gab es, wenn auch einen ziemlich schlechten. Ihre umstrittene Aussage im Telefonat mit dem türkischen Ministerpräsidenten könne die Bundeskanzlerin schon deshalb nicht wiederholen, weil es das Amt des türkischen Ministerpräsidenten heute gar nicht mehr gebe – das sei schließlich abgeschafft, argumentierte der Anwalt der Bundesregierung. Ansonsten blieb die Stimmung im Plenarsaal des Berliner Verwaltungsgerichts am Dienstag durchweg ernst, teilweise wurde heftig gestritten.

Am Ende unterlag Jan Böhmermann. Der Satiriker wollte der Bundeskanzlerin verbieten lassen, sein Erdogan-Schmähgedicht vom März 2016 noch einmal als „bewusst verletzend“ zu bezeichnen. Der Anwalt, von dem sich der 38-Jährige beim Termin vertreten ließ, machte der Bundesregierung schwere Vorwürfe: Merkel habe ihr Sachlichkeitsgebot und die Neutralitätspflicht verletzt, den Satiriker diskreditiert. Diese Diskreditierung dauere an, da Merkels Äußerung bis heute auf der Internetseite der Bundesregierung nachzulesen ist.

Das Gericht sah es anders: Ein Unterlassungsbegehren sei unzulässig, weil „eine Wiederholung der beanstandeten Erklärung nicht zu erwarten“ sei. Die Kanzlerin habe sich bereits von ihrer Äußerung distanziert, im Gerichtsverfahren zudem eine Wiederholung ausgeschlossen. Darüber hinaus sei die Äußerung nicht rechtswidrig gewesen und stelle „keine strafrechtliche Vorverurteilung“ dar, sondern ein „vertretbares Werturteil“.

Böhmermann wird bis heute bedroht

Böhmermanns Anwalt argumentierte am Dienstag, Merkel habe mit ihrer Aussage die Bedrohungslage des Satirikers verschärft. Denn zum Zeitpunkt von Merkels Äußerung wussten Sicherheitskreise bereits, dass Jan Böhmermann akut bedroht wurde: Mitglieder der erdoganhörigen, schwer gewalttätigen Rockergruppe „Osmanen Germania“ hatten verabredet, den Satiriker und seine Familie für dessen Gedicht zu „bestrafen“. Statt Solidarität mit Böhmermann zu bekunden, gab Merkels Sprecher jedoch die Einschätzung der Kanzlerin auf einer Pressekonferenz bekannt. Dadurch hätten sich jene, die den Satiriker angreifen wollten, bestärkt gefühlt. Das Gericht glaubt dies allerdings nicht: Mit der Erklärung seien „keine unangemessenen Nachteile für den Kläger“ einhergegangen.

Die Kanzlerin kannte den Beitrag gar nicht in Gänze

Merkel selbst hatte ihre Worte bereits nach zwei Wochen als „Fehler“ bezeichnet, über den sie sich „selbst ärgere“. Zudem musste sie nach einer Auskunftsklage des Tagesspiegels einräumen, das fragliche Segment von Böhmermanns Sendung gar nicht gesehen zu haben, sondern lediglich einen stark verkürzten, sinnentstellenden Zusammenschnitt auf der Onlineseite der „Bild“ – und so zu ihrem Urteil gelangt zu sein.

In diesem Zusammenschnitt fehlten sämtliche Passagen, in denen Böhmermann seinen Gedichtvortrag unterbrach und durch Zwischenfragen, Kommentare und Einwürfe deutlich machte, dass er sich die Beleidigungen aus dem Gedicht eben gerade nicht zu eigen machte – sondern, ganz im Gegenteil, anhand des Gedichts aufzeigen wollte, worin der Unterschied zwischen freier Meinungsäußerung und Schmähung besteht. Sinn und Botschaft der Sendung wurden durch den Zusammenschnitt entstellt, dieser diente der Kanzlerin aber als alleinige Informationsquelle.

Dementsprechend meldete sich Jan Böhmermann am Dienstag nach Verkündung des Urteils auf Twitter: „Humor bleibt in Deutschland ein allgemein und juristisch unsicheres, hochgefährliches Geschäft für engagierte Draufgängerinnen und zwielichtige Idealisten, die sich die Welt nicht von bild.de erklären lassen wollen.“

Gegen die heutige Entscheidung kann er Berufung beim Oberverwaltungsgericht einlegen. So oder so wird sich mindestens ein weiteres deutsches Gericht mit dem Schmähgedicht beschäftigen. Das Hamburger Landgericht hatte Böhmermann 2017 verboten, bestimmte „ehrverletzende“ Verse des Gedichts zu wiederholen. Das Oberlandesgericht bestätigte dies. Böhmermann sieht das Verbot als Beschneidung der Kunstfreiheit, will notfalls bis vors Bundesverfassungsgericht ziehen.

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