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Panzer der syrischen Armee im Osten des Landes.
© AFP

Syrien und der IS: Bodentruppen? Das ist unausweichlich!

Wie soll man auf den Terror des IS reagieren? Mit dem Einsatz von Bodentruppen? Ein Pro und Contra. Frank Jansen sagt Pro: über die härtestmögliche Maßnahme muss geredet werden. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Frank Jansen

Frankreichs Präsident Francois Hollande hat am Sonnabend gesagt: „Konfrontiert mit Krieg muss die Nation angemessene Maßnahmen ergreifen.“ Vermutlich wird kaum ein Regierungschef beim G-20-Gipfel oder sogar weltweit Hollande widersprechen. Auch wenn gar nicht klar ist, was denn nun angemessen sein soll. Angesichts der anhaltenden, hohen Gefahr von Anschlägen des IS erscheint allerdings unausweichlich, dass der Westen auch über die härtestmögliche Maßnahme zu reden hat: Eine Ausweitung des bislang weitgehend auf Luftschläge beschränkten militärischen Engagements der Amerikaner, Briten, Franzosen und weiteren Verbündeten im Irak und in Syrien – bis hin zu einem Einsatz von Bodentruppen. Das ist riskant, das ist unpopulär, das ist angstbesetzt, schon angesichts der Erfahrungen der Amerikaner und ihrer Alliierten im Irak, in Afghanistan, in Somalia. Doch eine angemessene Antwort auf den Krieg des „Islamischen Staates“ gegen den Westen wird früher oder später beinahe zwangsläufig lauten: Der Westen muss auch mit Infanteristen und Panzern und Artillerie einen Krieg gegen einen seiner grausamsten Feinde führen.

Der IS ist derzeit die wohl größte Bedrohung des Weltfriedens. Nicht erst seit den Anschlägen vom Freitag. Die Terrormiliz verübt genozidartige Greuel, sie unterwirft in den von ihr eroberten Gebieten die Bevölkerung einem brutalen Willkürregime, sie versklavt Frauen, sie schneidet Geiseln aus dem Westen und anderen Regionen der Welt den Kopf ab, sie hetzt im Internet und radikalisiert weltweit junge Muslime, die zu Dschihadisten mutieren, sie trägt den Terror immer stärker auch in andere Länder. Frankreich ist nur eines davon. Mutmaßlich Terroristen der IS-„Provinz“ Sinai haben wenige Tage vor dem Angriff in Paris mit einem Bombenanschlag den Absturz einer vollbesetzten russischen Passagiermaschine verursacht. Zuvor hatte vermutlich der IS bereits schwere Anschläge in der Türkei verübt. Doch die bisherige Reaktion der internationalen Staatengemeinschaft auf die vielen Verbrechen des IS wirkt halbherzig: Luftangriffe der Amerikaner (und ein wenig der Russen) ohne strategische Wirkung, logistische Unterstützung für kurdische Kämpfer, deren Radius und Fähigkeiten begrenzt sind, ansonsten viel Empörung ohne Effekt. Sind das angemessene Maßnahmen?

Geduldig auf weitere Anschläge warten?

Man könnte auch fragen: Wie lange will der Westen die Existenz der Terrorbrutstätte namens „Islamischer Staat“ noch hinnehmen? Soll geduldig auf weitere Anschläge wie in Paris gewartet werden? Der IS wird sich nicht mäßigen, vielmehr ist mit jedem gelungenen Angriff ein nächster und womöglich noch größerer mit noch mehr Opfern zu erwarten. Da können Amerikaner, Briten, Franzosen und Russen so viel bombardieren wie sie wollen. So lässt sich der Terror nicht eindämmen.

Und darum geht es. Um die Eindämmung des härtesten Akteurs im weltweiten Dschihadistennetz. Natürlich würde der islamistische Terror auch nach der Zerschlagung des IS nicht enden. Aber dem IS sein „Staatsgebiet“ wegzunehmen, seine Trainingslager, seine Verstecke, seine militärische Logistik, seine Ölfelder – das wäre ein schwerer Schlag. Dessen Notwendigkeit mit jedem weiteren Tag des IS-Terrors wächst.

Man braucht einen längeren Atem

Natürlich gibt es viele Argumente, die gegen den Einsatz von Bodentruppen des Westens in Irak und Syrien sprechen. Die Interventionen der USA und ihrer Verbündeten in Irak und Afghanistan gelten als gescheitert. Aber dann muss man auch fragen, warum. Es gibt viele Antworten, eine lautet: wer zum falschen Zeitpunkt geht, lädt seine Feinde ein, sich wieder breit zu machen. Hätte der Westen den Irak und Afghanistan nachhaltig stabilisieren wollen, sei es auch nur auf mäßigem Niveau, wäre ein Engagement mit ganz anderem Zeithorizont nötig gewesen. Es kann 20 Jahre und länger dauern, die Spanne einer ganzen Generation, bis der Schutz westlicher Militärpräsenz abgebaut werden kann, weil sich eine einheimische, halbwegs robuste politische Infrastruktur etabliert hat. In Bosnien, obwohl weit weniger gefährlich als Irak und Afghanistan, werden EU-Soldaten noch auf unabsehbare Zeit bleiben, obwohl der Bürgerkrieg seit 1995 zuende ist. Das ist langer Atem. Ohne geht es nicht.

Einheiten der USA, Frankreichs, Großbritanniens, arabischer Staaten, vielleicht auch der Türkei und, ja, auch der Bundesrepublik sollten den Spuk des „Islamischen Staates“ baldmöglich beenden. Dazu könnte, nein: müsste der Westen vermutlich auch einen Partner in Anspruch nehmen, der äußerst unangenehm erscheint, aber wohl unverzichtbar ist: Russland. Gemeinsam mit Putins Militär könnte der IS in die Zange genommen werden. Eine solche Strategie wäre verständlicherweise für jeden westlichen Demokraten schwer verdaulich, weil sie zwei Kriegsverbrecher einbezieht: Putin, der die Ukraine schwer beschädigt hat, und der von Russland geschützte Assad, der die eigene Bevölkerung mit Giftgas und Fassbomben meuchelt. Zu überlegen ist auch, wie man den Iran als mächtigen Akteur in der Region in diese Mission einbeziehen könnte. Sicher ist: Ohne eine Zerschlagung des IS ist weder die Eindämmung des islamistischen Terrors vorstellbar noch eine Perspektive auf eine zumindest langfristige Stabilisierung Syriens und des Irak.

Man könnte es auch so formulieren: Mit jedem weiteren Terrorangriff des IS in einer europäischen Metropole wird die Frage nach einem groß angelegten Militäreinsatz gegen das „Kalifat“ auf quälende Weise dringlicher. Und es muss eine Antwort her, die eine Aussicht bietet auf Zeiten mit deutlich weniger Terror.

Christoph von Marschall bezieht die Gegenposition. Er schreibt in seinem Contra-Text, dass oberstes Ziel sei, die offene Gesellschaft zu verteidigen. Lesen Sie seinen Beitrag hier.

Den Live-Ticker vom Montag zu den Anschlägen lesen Sie hier.

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