Poker um Griechenland: Blufft die Regierung in Athen mit der Pleite?
Die Verhandlungen mit Griechenland gehen an diesem Donnerstag in die entscheidende Phase. Die Partner zeigen sich kompromisslos. Wer wird gewinnen?
Beim Poker sind die Dinge klar. Entweder steigt man aus oder am Ende werden die Karten aufgedeckt. Im Fall Griechenlands lässt sich nicht klar sagen, wann das Finale in den Dauerverhandlungen zwischen den Geldgebern und der Regierung in Athen ansteht und die Karten offengelegt werden. Entscheidend ist das Datum des 30. Juni – an diesem Tag muss die Regierung in Athen 1,6 Milliarden Euro an den Internationalen Währungsfonds zurückzahlen. Ohne eine Vereinbarung mit den Gläubigern und die damit verbundenen Hilfszahlungen droht Griechenland die Pleite. Allerdings ist auch nicht auszuschließen, dass die Verhandlungen um Griechenland auch über den 30. Juni hinaus verlängert werden. Auf allen Seiten wird hoch gepokert.
Was steht auf dem Spiel?
Ermüdung und Frust bei den politischen Akteuren sind mit Händen zu greifen. "Ich wünsche niemandem", hat einer von ihnen dieser Tage in Brüssel gesagt, "dass er so viele Tage und Nächte mit dem Thema Griechenland verbringen muss, wie ich das in den letzten fünf Jahren getan habe." Und diese Arbeit zur finanziellen Stabilisierung des südosteuropäischen Landes, die in zwei Kreditprogrammen über rund 240 Milliarden Euro, einem Schuldenschnitt im Wert von etwa 100 Milliarden Euro und härtesten Haushaltseinschnitten mit hohen sozialen Kosten mündete, soll nun umsonst gewesen sein? Nun droht doch der Staatsbankrott. Am Monatsende muss Athen 1,6 Milliarden Euro an IWF zurückzahlen. Und selbst wenn sich der Betrag über die Beleihung der Rentenkasse oder einen Gaspipeline-Deal mit Russland noch fände, wird die Staatskasse spätestens im Juli oder August mit dann fälligen Rückzahlungen an die Europäische Zentralbank (EZB) von knapp sieben Milliarden überfordert. Mit den 7,2 Milliarden Euro, die im zweiten Hilfsprogramm noch verfügbar sind, kämen die Griechen über den Sommer – doch verfällt das Geld, wenn das Programm nicht über den 30. Juni hinaus zum dann dritten Mal verlängert oder zuvor eine Einigung über die Auszahlungsbedingungen erzielt wird.
Danach sieht es aber nicht aus. Für die Euro-Finanzministersitzung diesen Donnerstag in Luxemburg, die allgemein als letzte Möglichkeit für eine rechtzeitige Überweisung angesehen worden war, fehlt die Entscheidungsgrundlage. Die drei Institutionen IWF, EZB und EU-Kommission haben sich mit Athen im Vorfeld nicht auf ein gemeinsames Papier in Form eines sogenannten "staff level agreement" verständigt. Als "sehr klein" bezeichnete Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem die Einigungschancen. "Der Tagesordnungspunkt Griechenland wird kurz ausfallen", sagt ein mit der Vorbereitung vertrauter Beamter: "Die Minister werden nur in deutlichen Worten feststellen, dass der Ball nun ganz eindeutig im Feld der Griechen liegt."
Zu weit liegen die Positionen auseinander, zu undurchsichtig sind sie letztlich auch – trotz einer Reihe von Papieren und Zahlen, die in den vergangenen Monaten nach außen drangen. "In diesen Verhandlungen wird auf beiden Seiten mit Lügen und Falschinformationen gearbeitet", sagt ein ranghoher EU-Diplomat, der sein Namen auf keinen Fall in der Zeitung lesen will.
Was will Griechenland?
Unstrittig war, dass Griechenland einen Etat braucht, aus dem – den Schuldendienst herausgerechnet – zumindest die laufenden Kosten gedeckt werden können. Dieser Primärüberschuss muss aber hoch sein, wenn der Schuldenberg von gut 170 Prozent der Wirtschaftsleistung abgetragen werden soll. Griechenlands alte Regierung und die Gläubiger legten ihn für 2015 daher bei drei Prozent und später bei dauerhaft 4,5 Prozent fest. Athens neuer Linkspremier Alexis Tsipras sieht in einem so hohen Sparniveau Gift für die ohnehin darbende Wirtschaft – und forderte anfangs 0,6 Prozent. Die Geldgeber kamen ihm deutlich entgegen, zuletzt einigte man sich auf ein Prozent in diesem, zwei im nächsten, drei im Jahr 2017 und 3,5 Prozent von 2018 an – eine Art Eingeständnis, dass der Sparkurs der vergangenen Jahre zu hart war.
Warum ist ein Kompromiss bisher nicht gelungen?
Gescheitert sind die Gespräche formal an der Uneinigkeit darüber, welche Spar- und Reformmaßnahmen zu den Haushaltszielen führen. Zwischen dem, was die Finanzinstitutionen gefordert, und dem was die Griechen angeboten haben, klaffte "eine fiskalische Lücke" von 1,2 bis 1,9 Milliarden Euro pro Jahr. Noch stärker als diese Zahlen unterscheiden sich jedoch die Angaben darüber, wer was gefordert haben soll. Beispiel Rentenreform: Während die EU-Kommission erklärt, sie verlange "ausdrücklich nicht, individuelle Rentenbezüge zu senken", sondern dringe mit EZB und IWF auf "eine effizientere Verwaltung durch eine Zusammenführung verschiedener Rentenprogramme", wirft Tsipras der Brüsseler Behörde genau das vor. Man könne nicht 1,8 Milliarden Euro bei der Rente sparen, da "zwei Drittel der Rentner in Griechenland Renten unter oder nahe der Armutsgrenze beziehen". Die Griechen bieten an, die Frühverrentung unattraktiver zu machen, was einem internen Papier zufolge aber nur ein Einsparvolumen von 71 Millionen Euro mit sich brächte.
Der zweite große Knackpunkt sind die geplanten Steuerreformen. Griechenland will mit höheren Unternehmenssteuern, einer Vermögenssteuer vor allem die reichen Oligarchen des Landes für die Krise zahlen lassen und damit etwa eine Milliarde Euro im Jahr mehr einnehmen. Die Mehrwertsteuerreform soll nach griechischen Berechnungen sogar 1,3 Milliarden Euro mehr einbringen – die Gläubiger sind jedoch der Meinung, dies reiche nicht, um die Haushaltsziele zu erreichen, und forderten zum Beispiel, auf Strom den vollen Mehrwertsteuersatz von 23 Prozent statt des ermäßigten von 13 Prozent zu erheben. Dies lehnt Tsipras mit Verweis auf die Zusatzbelastung für Privathaushalte ab. Es ist ein Glaubenskrieg um den richtigen Weg aus der Krise.
Wie gehen die Verhandlungspartner miteinander um?
Emotional gescheitert sind die Gespräche, weil sich Tsipras und Kommissionschef Jean-Claude Juncker, der sich als wohlwollender Vermittler zwischen Eurogruppe und Griechenland positioniert zu haben schien, nun gegenseitig die Schuld geben. Seine Delegation habe, so Tsipras unlängst, "gleichwertige Maßnahmen vorgeschlagen, die nicht jenen schaden würden, die schon stark von der Krise betroffen sind". Es sei "ziemlich merkwürdig", dass die Gläubiger "unsere alternativen Maßnahmen nicht akzeptieren". Dagegen heißt es in der Brüsseler Behörde, man habe solche Alternativvorschläge nie gesehen. Vielmehr habe Juncker doch einen "maßvollen Einschnitt" bei den Verteidigungsausgaben, relativ gesehen die zweithöchsten aller europäischen Nato-Staaten, als Alternative dargelegt. Das wiederum, so eine EU-Diplomatin, hätte die griechische Seite abgelehnt, die beim Militär bisher 200 Millionen sparen will. "Ich bin enttäuscht", soll Juncker am Mittwoch in der wöchentlichen Kommissionssitzung gesagt haben.
Wie geht es jetzt weiter?
Ob Juncker folgende Einschätzung teilt, ist unklar, doch folgern immer mehr Beobachter aus den jüngsten Ereignissen, dass Tsipras gar keine Einigung will beziehungsweise einen Staatsbankrott willentlich herbeiführt. "Sobald Griechenland die ersten Zahlungen nicht mehr leisten kann, sitzen Deutschland und Frankreich automatisch am Tisch, um über einen Schuldenschnitt zu verhandeln", sagt ein Regierungsvertreter Belgiens in Anspielung darauf, dass allein die beiden größten Euroländer bei einem vollständigen Zahlungsstopp an die 160 Milliarden Euro verlieren.
Bisher hat die Eurogruppe gegen den Ratschlag des IWF einen weiteren Schuldenschnitt abgelehnt. Günstige Zinsen und späte Rückzahlungsfristen seien Entgegenkommen genug, hieß es. Athens Finanzminister Gianis Varoufakis hat oft genug betont, sein Land könne mit einem kleinen Primärüberschuss gut zurechtkommen – wenn die Schulden nicht wären. Nur deren radikaler Erlass also ermöglicht ihm und Tsipras, ihr Wahlversprechen – ein Ende des Spardiktats von außen – zu erfüllen. "Der Schuldenschnitt ist das, was Athen von Anfang an wollte", sagt der belgische Diplomat.
Ein anderer hochrangiger Beamter, der mit den Gesprächen vertraut ist, sieht ebenfalls eine Menge Anhaltspunkte dafür, dass es nicht um eine Gesprächslösung geht, sondern darum einen Schuldenerlass zu erzwingen. Varoufakis‘ offensive Erklärung etwa, keinen neuen Kompromissvorschlag vor dem Finanzministertreffen mehr zu machen. Oder die Ankündigung, die IWF-Zahlung möglicherweise nicht zu leisten. "Dass die griechische Notenbank nun die Gefahren eines Grexit in den schillerndsten Farben malt, ist auch kein Zufall", sagt er, "Tsipras weiß genau, dass Kanzlerin Merkel aus weltpolitischer Verantwortung heraus, Europa zusammenhalten muss und er viel günstigere Konditionen bekommen kann – ich würde das an seiner Stelle vermutlich genauso machen. "
Wie ist die Stimmungslage in Deutschland?
Bei der Sitzung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion am Dienstag ging es nur am Rande um Griechenland – statt dessen wurde rund zwei Stunden lang über die Fracking-Gasförderung diskutiert. Allerdings war die aus mehr als einem Dutzend Tagesordnungspunkten bestehende Agenda für die Fraktionssitzung so angelegt, dass für eine vertiefte Debatte von vornherein gar keine Zeit war. So blieb es dann im Wesentlichen dabei, dass Kanzlerin Angela Merkel (CDU) vor der Fraktion sagte, man müsse "Schritt für Schritt vorangehen". Die Kanzlerin erklärte weiter, dass es in den Verhandlungen mit Griechenland "nichts Neues" gebe, was Finanzminister Schäuble mit einem Kopfnicken bestätigte. Nachfragen gab es nicht.
Es wäre aber verfehlt, daraus den Schluss zu ziehen, dass es in der Union nicht brodelt. Schon als das bestehende Griechenland-Programm im vergangenen Februar um vier Monate verlängert wurde, stimmten 29 Unionsabgeordnete mit Nein. Rund 100 Unionsleute gaben seinerzeit persönliche Erklärungen ab, in denen zum Ausdruck brachten, dass sie nur mit großen Bauchschmerzen zustimmen. Seither ist die Bereitschaft nicht gewachsen, der vom Linksbündnis Syriza geführten Regierung in Athen entgegenzukommen – im Gegenteil. Dass es dennoch in der Unions-Fraktion am Dienstag so still blieb und Fraktionschef Volker Kauder (CDU) seinen Leuten sogar empfahl, sie sollten "alle ganz ruhig" schlafen, lässt daher einen Schluss zu: CDU und CSU – und an vorderster Stelle Merkel selbst – wollen in der europäischen Öffentlichkeit den Eindruck vermeiden, sie seien es gewesen, die den "Grexit" heraufbeschworen hätten.
Ein kleines Glossar zu den wichtigsten Begriffen in der Griechenlandkrise finden Sie hier.
Albrecht Meier, Christopher Ziedler