Fachkräfteeinwanderungsgesetz: Bleibt bloß, wo ihr seid!
Das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz ist geprägt vom Abwehrgedanken der CDU. Die SPD sollte sagen: Lieber kein Gesetz als ein schlechtes. Ein Gastbeitrag.
Das letzte Mal, als ein Berliner eCommerce-Unternehmen einen neuen Mitarbeiter suchte, war das Verhältnis ungefähr eins zu vier: Auf einen Inländer, eine Inländerin kamen vier Bewerbungen aus dem Ausland. Meist aus dem außereuropäischen Ausland. Nach IT-Expertinnen suchen, ist aktuell wie die Suche nach der berühmten Nadel im Heuhaufen. Allein bei den MINT-Berufen gibt es aktuell mit eine halbe Million offene Stellen. Demgegenüber kamen 2017 insgesamt gerade einmal 38.000 Fachkräfte aus dem Nicht-EU-Ausland nach Deutschland. Die Fachkräftelücke entwickelt sich allmählich zu einem Krater zwischen dem ständig wachsenden Bedarf und der fehlenden Einwanderung.
Die Große Koalition hatte sich deshalb im Koalitionsvertrag – zugegeben verkrampft – auf ein Fachkräfteeinwanderungsgesetz geeinigt. Es war ein bemerkenswerter Schritt. In hysterischen Zeiten, auf sachliche Analyse gründend, solch ein Vorhaben voranzutreiben, ist selbstbewusst, gerade gegenüber den rechten Schreihälsen. Es ist das vollständige Eingeständnis, dass unser Land Migration bitter nötig hat, schlichtweg ein Einwanderungsland ist. Deshalb verspricht der aktuelle Gesetzesentwurf auch neue Liberalisierungen im Migrationsrecht, die wie so oft in der Vergangenheit, vom Arbeitsministerium angetrieben sind: Zukünftig soll u.a. die Einreise zur Arbeitsplatzsuche möglich sein, und ausländische Qualifikationen sollen auch nachträglich in Deutschland anerkannt oder nachgeholt werden dürfen.
Das Gesetz will Verlässlichkeit für Geduldete - aber die gibt es nicht
Ursprünglich sollte mehr Transparenz und Ordnung in die Einwanderungsregelungen gebracht werden, um mehr Fachkräfte nach Deutschland zu locken. Mit dem aktuellen Entwurf klaffen jedoch Anspruch und Wirklichkeit weit auseinander. Zusätzlich unterstreicht der Vorschlag den ungebrochenen Willen der Union, das schon im Inland vorhandene Potenzial nicht nutzen und am liebsten abschieben zu wollen.
Nur zwei Details, mit denen Menschen auf Biegen und Brechen der Wechsel in einen legalen Status verwehrt werden soll: Die Koalition wollte „im Aufenthaltsrecht klare Kriterien für einen verlässlichen Status Geduldeter definieren“. Die Idee mündet nun in einer schmalen Beschäftigungsduldung für zwei Jahre, natürlich gespickt mit sehr hohen Hindernissen. Man fragt sich, welcher arbeitende Mensch, welcher Unternehmer eine Duldung – was nur die Aussetzung einer Abschiebung ist – für sich selbst als „verlässlich“ empfinden würde. Zweiter Brocken ist die versprochene Vereinheitlichung bei der sogenannten 3+2-Regelung zur Ausbildungsduldung. Man hatte erwartet, dass durch klarere Regelungen der restriktive bayrische Sonderweg gestoppt werden könnte. Während beispielsweise in Nordrhein-Westfalen konkrete Abschiebemaßnahmen bevorstehen müssen, um eine Duldung zu verweigern, reicht in Bayern schon ein einfacher Brief mit der Aufforderung, sich um einen Pass des Herkunftslandes zu bemühen. Nun soll jedoch für alle Bundesländer der strenge bayrische Standard gelten. Und noch ein bisschen schlimmer: Neue Hürden werden aufgebaut, wie eine Sechsmonatsfrist, in der erst einmal der Versuch der Abschiebung unternommen werden muss, bevor eine Ausbildungsduldung ausgesprochen werden darf. Das ist verrückt, da sollen Arbeitgeber und Azubi erst einmal sechs Monate warten, ob die Abschiebung nicht doch noch klappt, bevor die Ausbildung beginnt.
Ein Willkommen kommt nicht vor
Die Bundesregierung versucht mit dem Gesetz Menschen einzuladen, aber ohne auch nur einmal das Wort Willkommen in den Mund nehmen zu wollen. Ganz im Gegenteil, das Gesetz ist geprägt von der Angst und dem Generalverdacht, jeder Einwanderer könnte es nur auf die Sozialleistungen abgesehen haben. Zusätzlich wird die Bedeutung der Deutschkenntnisse so sehr erhöht, dass man sich fragt, ob die Gesetzestexter jemals ein Start Up von innen gesehen haben, wo Englisch teilweise einzige Verkehrssprache ist. Echt unsexy, so ein Einwanderungsland!
Der aktuelle Entwurf strahlt weder ein „Willkommen“ für Fachkräfte aus, noch will er das im Inland vorhandene Potenzial nutzen. Wenn auch nur eine Fachkraft mehr nach Deutschland kommen sollte, dann nicht wegen, sondern trotz diesem Gesetz. Es wäre ein Trotzdem-Gesetz. Spätestens an dieser Stelle muss die SPD sagen: lieber kein Gesetz als ein schlechtes Gesetz. Notfalls sollten die Verhandlungen in die Verlängerung gehen, damit das Gesetz jenseits der symbolischen Ebene auch Wirkung entfaltet. Und vielleicht erleben wir, dass die Weihnachtszeit dem einen oder anderen Menschenkind im Innenministerium das Herz ein wenig öffnet.
- Aziz Bozkurt ist Bundesvorsitzender der AG Migration und Vielfalt in der SPD
Aziz Bozkurt
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