zum Hauptinhalt
Die deutsche Wirtschaft sucht dringend Fachkräfte.
© Peter Endig/dpa-Zentralbild/dpa

Positionen von Politik und Wirtschaft: Welche Vorstellungen es für ein Einwanderungsgesetz gibt

Deutschland fehlen Arbeitskräfte. Debattiert wird über ein Einwanderungsgesetz. Worum geht es?

In den Koalitionsverhandlungen war es vor allem die SPD, die für ein Einwanderungsgesetz kämpfte. Doch inzwischen hat auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) das Vorhaben zum „zentralen Projekt“ erklärt. Noch in diesem Jahr, so ist zumindest der Plan, soll das Kabinett einen Gesetzentwurf beschließen.

Was plant die Bundesregierung konkret?

Nach der Sommerpause wollen die zuständigen Minister (Arbeit, Innen, Wirtschaft) Eckpunkte für ein „Fachkräfteeinwanderungsgesetz“ vorlegen. Im Koalitionsvertrag haben SPD und Union grobe Umrisse skizziert: Die Zuwanderung soll sich am „Bedarf der Volkswirtschaft“ orientieren. Bei der Auswahl sollen Qualifikation, Alter und Sprachkenntnisse eine Rolle spielen sowie der Nachweis eines konkreten Arbeitsplatzes und die Sicherung des Lebensunterhalts.

Das Gesetz soll bestehende Regelungen zusammenfassen, aber auch neue Möglichkeiten zur Zuwanderung eröffnen, nicht nur für Hochschulabsolventen, sondern auch für Menschen mit abgeschlossener Berufsausbildung. Die konkrete Ausgestaltung ist noch offen, allerdings sieht es nicht danach aus, dass die Koalition das kanadische Punktesystem übernehmen wird, wo ein Arbeitsvertrag nicht Voraussetzung ist für die Einwanderung.

Welche Einwanderungsmöglichkeiten gibt es bisher – und wer kommt?

In den vergangenen Jahren kamen viele Arbeitskräfte aus anderen Ländern der Europäischen Union (EU) nach Deutschland, auch wegen der guten Lage am Arbeitsmarkt. Die Freizügigkeit innerhalb der EU ermöglicht es Arbeitnehmern, in einem Land ihrer Wahl einen Job anzunehmen.

Aber auch das Zuwanderungsrecht gegenüber sogenannten Drittstaaten wurde in der Vergangenheit liberalisiert. So gibt es beispielsweise seit 2012 die „Blaue Karte“ für hochqualifizierte Fachkräfte: Hochschulabsolventen können diese beantragen, wenn sie ein Arbeitsplatzangebot und ein Mindestgehalt nachweisen können. Bis Ende März wurde die Blaue Karte an rund 76.000 Personen ausgegeben – vor allem aus Indien, China und Russland, häufig in den „MINT“-Bereichen – Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik.

Im Aufenthaltsgesetz ist außerdem geregelt, dass Zuwanderer hier grundsätzlich einen Job annehmen können, wenn in diesem Bereich Mangel an Arbeitskräften herrscht. Die Bundesagentur für Arbeit (BA) führt seit einigen Jahren eine „Positivliste“, auf der aktuell 61 Berufe stehen. Fachkräftemangel herrscht demnach vor allem in einigen technischen Berufsfeldern, in Bauberufen und im Gesundheits- und Pflegebereich.

Doch auch wenn die rechtlichen Bestimmungen liberaler geworden sind, gibt es in der Praxis etliche Hürden, wie das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung in einer Studie feststellte. In den meisten Fällen sei immer noch ein Jobangebot Voraussetzung für die Erteilung eines Visums. „Die Arbeitsplatzsuche aus dem Ausland ist jedoch häufig kompliziert.“

Braucht Deutschland Zuwanderung?

Dem deutschen Arbeitsmarkt gehen jedes Jahr rund 300.000 Arbeitskräfte verloren. Das liegt daran, dass wegen der demografischen Entwicklung mehr Menschen in Rente gehen als Kinder nachkommen. In den vergangenen Jahren konnte das durch Zuwanderung teilweise ausgeglichen werden. Zum einen sorgte die Wirtschafts- und Finanzkrise dafür, dass auch mehr Südeuropäer nach Deutschland auswanderten. Aber auch der Zuzug von Flüchtlingen machte sich in den letzten Jahren bemerkbar.

Im Jahr 2017 kamen dem Ausländerzentralregister zufolge knapp 1,2 Millionen ausländische Staatsangehörige nach Deutschland, etwa die Hälfte von ihnen aus EU-Ländern. Da im gleichen Jahr mehr als 600.000 Menschen wegzogen, lag der Zuwanderungssaldo bei rund 500.000 Personen. In dieser Größenordnung bewegt sich die Zuwanderung nach Deutschland seit einigen Jahren – mit Ausnahme des Jahrs 2015, in dem auch wegen der Flüchtlinge unter dem Strich 1,2Millionen Menschen kamen.

Wie will Arbeitsminister Hubertus Heil Zuwanderung erleichtern?

Der SPD-Politiker schlägt ein befristetes Visum für die Arbeitssuche im Pflegebereich vor. „Ich kann mir vorstellen, dass Pflegekräfte aus dem Ausland für ein halbes Jahr nach Deutschland kommen und sich hier Arbeit suchen“, sagte Heil vor Kurzem. Bisher gibt es eine solche Möglichkeit nur für Akademiker – vorausgesetzt, sie können ihren Lebensunterhalt während der Jobsuche ohne Sozialleistungen bestreiten.

Die Arbeitgeberverbände unterstützen diese Idee und würden sie gerne grundsätzlich auf qualifizierte Fachkräfte ohne akademische Ausbildung ausweiten. Doch ob die Union das mitträgt, ist offen.

Noch nicht geklärt ist außerdem, wie die Koalition mit der Anerkennung von Abschlüssen umgehen will: Müssen diese tatsächlich in jedem Einzelfall im Heimatland der Fachkraft auf Gleichwertigkeit überprüft werden?

Was fordert die Wirtschaft?

Arbeitgeber, Handwerk und Handelskammern dringen vor allem darauf, die oftmals komplizierten Verfahren zu vereinfachen. Das betrifft beispielsweise die Anerkennung von Abschlüssen. So schlägt der Handwerksverband ZDH vor, Migrationsabkommen mit Ländern mit einem etwa vergleichbaren Ausbildungssystem zu schließen.

Dann könnte man zu einem rein formalen Einwanderungsverfahren übergehen: „Wer einen staatlich anerkannten Berufsabschluss im Heimatland nachweisen kann und mindestens zwei Jahre in dem Beruf gearbeitet hat, ein gewisses Sprachniveau und vor allem einen Arbeitsvertrag vorweisen kann, der darf einreisen“, regt ZDH-Präsident Hans Peter Wollseifer an. Nach einer gewissen Zeit sollte dann ein Anerkennungsverfahren in Deutschland durchlaufen werden.

Der Arbeitgeberverband BDA fordert, die Vergabe von Aufenthaltstiteln an ausländische Fachkräfte zu beschleunigen. Derzeit sind bundesweit 600 Ausländerbehörden dafür zuständig. Diese Aufgabe sollte in spezialisierten überregionalen Kompetenzzentren gebündelt werden, heißt es bei der BDA.

Die Arbeitgeber schlagen auch vor, die „Positivliste“ abzuschaffen, in der Fachkräfte-Engpässe definiert werden. Sie beklagen, dass zu viele Berufe nicht auf dieser Liste landen, obwohl Betriebe vergeblich nach Beschäftigten suchen. So fordert der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK), auch den Beruf des Kellners aufzunehmen. Viele Gastronomen sähen Fachkräftemangel als „größtes Geschäftsrisiko“.

Zur Startseite