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Am Freitag äußerte sich US-Präsident Joe Biden bereits zum zweiten Mal in dieser Woche aus dem Weißen Haus heraus zu Afghanistan.
© Ken Cedeno/REUTERS

Afghanistan-Krise belastet US-Präsidenten: Biden verspricht allen Amerikanern sichere Heimkehr

US-Präsident Biden steht wegen des Chaos in Afghanistan unter immensem Druck - innen- und außenpolitisch. Am Freitag trat er erneut im Weißen Haus auf.

Im Weißen Haus läuft derzeit wenig nach Plan. US-Präsident Joe Biden, in der Afghanistan-Krise weiter schwer unter Druck, trat am frühen Freitagnachmittag (Ortszeit) erneut vor die Hauptstadtpresse, ein weiterer Termin, der spontan angekündigt wurde. Eigentlich wollte er zu diesem Zeitpunkt bereits auf dem Weg nach Wilmington sein, wo er wie meist sein Wochenende verbringen wollte.

Aber der Druck, sich zu erklären und endlich auch mal ein paar der drängenden Fragen der Korrespondenten des Weißen Hauses zu beantworten, war zu groß geworden. Am Morgen hieß es, der Präsident werde an diesem Tag in Washington bleiben.

Seit dem Fall von Kabul am vergangenen Wochenende, dessen Geschwindigkeit die US-Regierung kalt erwischt hatte, war Biden nur einmal am Montag im Weißen Haus aufgetreten, ohne aber Fragen zuzulassen, und dann gab er dem Sender ABC noch ein Interview, das war's. Zufriedenstellend war das bei weitem nicht.

Bleiben US-Soldaten noch nach dem 31. August in Afghanistan?

Seine Kernbotschaft am Freitag lautete dann: Alle Amerikaner, die nach Hause wollten, würden heimgeholt. Damit ließ Biden die Tür offen, dass die US-Armee eventuell doch noch über den endgültigen Abzugstermin am 31. August in Afghanistan bleiben könnte, auch wenn er sich darauf nicht festnageln lassen wollte.

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Jenen Afghanen, die wegen ihrer früheren Zusammenarbeit mit den Amerikanern um ihr Leben fürchten, versprach der Präsident zumindest, alles zu tun, was möglich sei, um ihnen zu helfen. Das gelte zum Beispiel auch für Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen. Die Zweifel sind angesichts der dramatischen Berichte aus Afghanistan allerdings groß, dass den USA das umfassend gelingen kann.

Chaotische Zustände rund um den Flughafen in Kabul erschweren die Evakuierung

Zu den chaotischen Zuständen rund um den Flughafen Kabul und Berichten, die Taliban würden die Flucht auch von Amerikanern behindern, erklärte er, davon habe seine Regierung bisher keine Kenntnis. Jeder, der einen amerikanischen Pass an den Checkpoints vorzeigen könne, werde durchgelassen. Dafür habe man ein Abkommen mit den Taliban geschlossen. Auf Nachfrage betonte er, damit sei der direkte Zugang zum Flughafengelände gemeint.

Eine sichere Reise dahin, das hatte die Regierung bereits klargestellt, könne man nicht garantieren. Die Taliban haben am Wochenende die Macht in der afghanischen Hauptstadt und de facto über das gesamte Land übernommen.

Ausländer, aber auch Zehntausende Afghanen versuchen nun verzweifelt, sich in Sicherheit zu bringen. Vor allem Frauen fürchten um ihre Sicherheit.

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Seitdem wird die amerikanische Regierung heftig kritisiert, ihr Abzug sei überstürzt abgelaufen, und dass sie die Evakuierung eigener Bürger und durch ihre Zusammenarbeit mit den Amerikanern gefährdeter Afghanen nicht ausreichend vorbereitet habe.

Über Fehler könne man doch später diskutieren, sagt Biden

Am Freitag erklärte Biden, die Evakuierungsmission sei derzeit seine oberste Priorität. Über eventuell gemachte Fehler werde man sicherlich zu einem späteren Zeitpunkt diskutieren.

Seit dem Start der Mission vor etwa einer Woche hätten die USA rund 13.000 Menschen ausgeflogen. Allein am Donnerstag seien es 5700 Menschen gewesen. Fast 6000 US-Soldaten würden den Flughafen sichern.

Die Evakuierungsaktion sei „eine der größten, schwierigsten Luftbrücken der Geschichte“, betonte Biden. „Diese Mission ist gefährlich“, nur die USA seien zu einer Operation in solcher Größenordnung imstande.

Allerdings kam es am Freitag über mehrere Stunden zu Unterbrechungen der Flüge, nach Angaben des Weißen Hauses, um die Ankunft von Ausreisenden abzuwickeln. Am Nachmittag sollten die Flüge dann wieder aufgenommen werden, sagte Biden.

Eine Reputationsschaden sieht der Präsident nicht

Gefragt, inwieweit die Lage in Afghanistan dem Ansehen der Vereinigten Staaten schade, erklärte der Präsident: „Ich habe nicht erlebt, dass unsere Glaubwürdigkeit von unseren Verbündeten in der ganzen Welt in Frage gestellt wird.“

Tatsache ist indes, dass viele Verbündete nicht nur fassungslos darüber sind, wie falsch die USA offenbar die Kräfteverhältnisse in Afghanistan einschätzten. Sondern auch darüber, wie wenig es Washington zu interessieren scheint, was nach dem Abzug vor Ort passiert.

Biden erklärte am Freitag erneut, die USA hätten „kein nationales Interesse“ mehr in Afghanistan. Er war schon seit Jahren dafür, dass das Land seinen längsten Kriegseinsatz in der Geschichte endlich beenden müsse.

Er habe diese Verantwortung, so betont er immer wieder, an keinen seiner Nachfolger weiterreichen wollen. Biden ist bereits der vierte US-Präsident, der über den Einsatz in Afghanistan entscheiden muss.

Großer Druck von Seiten der Republikaner

Aber auch innenpolitisch steht Biden unter Druck, nicht nur, aber vor allem von Seiten der Republikaner. Zwar es sein Vorgänger Donald Trump, der den Abzug beschlossen hatte. Aber die Republikaner stürzen sich ein Jahr vor den wichtigen Kongress-Zwischenwahlen nur zu gerne auf alle Fehler, die der jetzigen Regierung unterlaufen.

Auch in Umfragen verliert Biden derzeit an Zustimmung: in einer von Reuters/Ipsos gar um sieben Prozentpunkte. Andererseits sind es vor allem die großen Zeitungen und Nachrichtensender, die prominent über die Krise und die Verzweiflung am Hindukusch berichten. In vielen lokalen Medien spielt das Thema nur eine untergeordnete Rolle. Außerdem steht weiterhin die Mehrheit der Amerikaner hinter dem Abzug aus Afghanistan - 20 Jahre nach den Terroranschlägen in New York und Washington sind die Amerikaner kriegsmüde.

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