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30 Tage hatte Kanzlerin Angela Merkel Premierminister Boris Johnson zur Lösung des irischen Dilemmas eingeräumt. Jetzt hat die Regierung in London inoffizielle Arbeitspapiere vorgelegt.
© Odd ANDERSEN/AFP

Kurz vor Ablauf der Frist: Bewegt sich London im Brexit-Streit?

Großbritanniens Regierung macht erstmals Vorschläge, wie die irische Grenzfrage gelöst werden könnte. Sie sind Grundlage für die nächste Verhandlungsrunde.

Es sieht nach Bewegung im festgefahrenen Brexit-Streit aus. Einen Tag vor Ablauf der 30-Tagesfrist zur Lösung des irischen Dilemmas hat London am Donnerstag in Brüssel „non-papers“ vorgelegt. Diese inoffiziellen Arbeitspapiere sollen an diesem Freitag Grundlage des ersten Besuchs von Brexitminister Stephen Barclay bei EU-Chefunterhändler Michel Barnier bilden. Es geht vor allem um den „Backstop“, die von der EU geforderte Garantieklausel für eine offene Grenze zwischen dem EU-Staat Irland und dem britischen Nordirland – ein zentraler Streitpunkt zwischen London und Brüssel.

Offenbar geht es in den non-papers um sogenannte alternative Lösungen zur Offenhaltung der inneririschen Grenze, wo zukünftig der EU-Binnenmarkt und das Vereinigte Königreich als Drittland aneinanderstoßen. Da diese frühestens in drei Jahren zum Tragen kommen, hatten in den vergangenen Tagen Regierungsvertreter die Hoffnung genährt, dies könne zwischenzeitlich durch eine Auffanglösung ausschließlich für Nordirland gesichert werden. Dies hatte bisher die nordirische Unionistenpartei DUP abgelehnt; deren Vorsitzende Arlene Foster gibt sich aber unter dem Druck der eigenen Bevölkerung kompromissbereiter.

Wie intensiv sich wichtige Akteure und Beobachter der britischen Politik noch immer mit einem No-Deal-Brexit beschäftigten, verdeutlichte am Mittwochabend der Andrang im Institute for Government IfG. Bei einer Podiumsdiskussion ging es um die „Operation Goldammer“, also die Regierungspläne für den Fall des Ausscheidens ohne Vereinbarung am 31. Oktober. Dann rechnen Experten mit langen Lastwagen-Schlangen an den Häfen des Ärmelkanals, einer Verknappung von Medikamenten und Lebensmitteln, Zwangsschließung von Raffinerien und nicht zuletzt Proteste an der inneririschen Grenze.

Vertrauen in Premier verloren

Die drastische Schilderung möglicher No-Deal-Folgen trug zu Monatsbeginn dazu bei, dass das Unterhaus dem Chaos-Brexit mittels des Benn-Gesetzes einen Riegel vorschob. Seither, analysiert Namensgeber Hilary Benn während der IfG-Veranstaltung, habe der Premierminister seinen Kurs verändert und strebe nun einen neuen Vertrag an. Boris Johnson könnte im Zweifelsfall sogar komplett umschwenken und eine neuerliche Volksabstimmung befürworten, glaubt LabourVeteran Benn und beantwortet die Frage, ob er dem Regierungschef eigentlich alles zutraue, mit dem Satz: „Führen Sie mich nicht in Versuchung.“

Tatsächlich haben nicht nur im Parlament viele Abgeordnete jegliches Vertrauen in die Verlässlichkeit des Premiers verloren. Johnson sei ein unehrlicher Immobilienmakler, ein Lügner, ja „der Vater aller Lügen“ – in normalen Zeiten hätten die Beleidigungen, die im Londoner Supreme Court auf den Ersten Minister Ihrer Majestät einprasselten, tagelang die Schlagzeilen dominiert. In der fiebrigen Brexit-Atmosphäre wurden ihnen wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Die dreitägige Verhandlung galt der fünfwöchigen Zwangspause bis 14. Oktober, die Johnson dem Parlament verordnet hat. Zum Abschluss der öffentlichen Anhörung betonte Gerichtspräsidentin Brenda Hale: Entschieden werde weder über den Zeitpunkt noch die Bedingungen des britischen EU-Austritts, sondern lediglich über die Zwangspause fürs Parlament. Der Urteilsspruch soll Anfang nächster Woche kommen. Dem Gericht übermittelten Regierungspapieren zufolge will der Premierminister im Fall eines negativen Urteils keineswegs zurücktreten; erwogen werde sogar eine neuerliche Sitzungspause des Parlaments. Das liefe jedoch der Regierungsinitiative für eine neue Vereinbarung mit Brüssel zuwider. Denn die muss vom Unterhaus abgesegnet werden.

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