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Ein Obdachloser schläft in Decken gehüllt in einem Hauseingang im Tiergarten.
© Paul Zinken/dpa

Statistik zu Wohnungslosigkeit geplant: Betroffene sollen erfasst werden

Über Wohnungslose gibt es kaum Zahlen. Das soll sich ändern. Die Bundesregierung plant eine bundesweite Statistik. Das ist eine schwierige Herausforderung.

Ist die Wohnung weg, beginnt das Elend. Häufen sich die Mietschulden einmal an, hat man in vielen Städten kaum mehr die Chance, überhaupt noch Wohnraum zu finden. Manche übernachten dann bei Freunden auf dem Sofa, andere nehmen staatliche Hilfe in Anspruch. Einige landen auf der Straße. Sind es Familien, die sich durchschlagen? Ausländer, die auf der Suche nach Arbeit zu uns kommen? Wie viele leben so? Es gibt dazu kaum belastbare Zahlen.

Das soll sich ändern. Am kommenden Donnerstag stimmt der Bundestag über die Einführung einer bundesweiten Wohnungslosenstatistik ab. Wohnungslos sind Menschen ohne festen Wohnsitz. Auf wie viele Menschen das zutrifft, dazu gibt es bisher bloß Schätzungen der Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) Wohnungslosenhilfe.

Ein Sprecher des Bundesarbeitsministeriums bezeichnet diese Schätzungen jedoch als „mit Unsicherheit behaftet“. Die BAG Wohnungslosenhilfe selbst fordert seit 1995 eine amtliche Statistik. Handlungsbedarf gibt es: Laut Experten steigt die Zahl der Wohnungslosen immer weiter an.

Der CDU-Bundestagsabgeordnete Frank Heinrich engagierte sich lange in der Obdachlosenarbeit. „Diese Menschen müssen von der Gesellschaft und dem Staat besser wahrgenommen werden“, sagt er. „Wir kümmern uns als Staat nicht.“ Damit der Bund effektiv helfen könne, brauche er belastbare Daten, heißt es aus dem Bundesarbeitsministerium.

Seit der Föderalismusreform 2006 ist es eigentlich Sache der Länder, Zahlen zur Wohnungslosigkeit zu erheben. Einzelne Länder tun das auch – allerdings auf sehr unterschiedlicher Basis. Vergleichen kann man die Zahlen nicht. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) will deshalb mit einer bundesweiten Statistik die Länder und Kommunen dabei unterstützen, „das Problem der Wohnungslosigkeit schneller zu lösen“.

Die Statistik ist eine wichtige Grundlage für den Bund, um Wohnungslosigkeit zu bekämpfen. „Die Bundesregierung hat sich bisher immer dagegen gewehrt und für nicht zuständig erklärt“, kritisiert der sozialpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion Wolfgang Strengmann-Kuhn. Er hofft, dass sich das ändert.

Spezielle Hilfsangebote

Auch freie Träger wie die Diakonie könnten von der Datenbasis profitieren. Erfahren sie dadurch zum Beispiel, wie viele wohnungslose Frauen es gibt, können die diakonischen Einrichtungen speziell zugeschnittene Hilfsangebote entwickeln. Das ist dringend notwendig: „Die Praxis zeigt, dass solche spezifischen Hilfsangebote in der Wohnungslosenhilfe zunehmend gebraucht werden“, sagt Lars Schäfer, Sprecher der Diakonie.

Doch aus Sicht der Diakonie reicht die geplante Statistik nicht aus. Sie sei eine „systematische Untererfassung wohnungsloser Menschen“. Die geplante Statistik würde tatsächlich nur untergebrachte Wohnungslose erfassen, also diejenigen, die Übernachtungsmöglichkeiten von Kommunen oder freien Trägern nutzen. Wer auf der Straße schläft oder bei Freunden unterschlüpft, wird nicht gezählt.

„Nicht jeder lässt sich einweisen“, argumentiert Werena Rosenke, Geschäftsführerin der BAG Wohnungslosenhilfe. „Viele Menschen versuchen sich durchzuschlagen – aber der Beratungskontakt ist häufig da. Sie werden trotzdem nicht gezählt.“ Die Bundesregierung beruft sich in ihrem Gesetzentwurf auf eine Studie des Statistischen Bundesamtes von 1998. Demnach wäre der Aufwand nicht vertretbar, auch diese Gruppe zu zählen. Viele Wohnungslose sind nur schwer aufzuspüren.

Die SPD-Abgeordnete Daniela Kolbe sagt, Begleitforschung soll deswegen helfen, Obdachlose, die auf der Straße leben, und andere Wohnungslose, die bei Bekannten untergeschlüpft sind, langfristig mit in die Statistik aufzunehmen.

Dabei gibt es bereits Länder und Städte, die mit gutem Beispiel vorangehen. In Berlin zählen mehr als 3700 Freiwillige Ende Januar zum ersten Mal alle Obdachlosen im öffentlichen Raum. Vorbild ist eine ähnliche Aktion in Paris. Strengmann-Kuhn hält das für sinnvoll. „Bei Obdachlosen haben die Kommunen den besseren Überblick.“ An den gleichen Stellen seien immer dieselben Leute. „Streetworker wissen das.“

Hamburg erfasst Obdachlose schon seit 1996. Durch die Befragung weiß die Stadt unter anderem, dass nur ein Drittel der Obdachlosen die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt. 2009 waren es noch 70 Prozent. In Hamburg werden nur die Personen gezählt, die in irgendeiner Form Kontakt mit den Einrichtungen des Hilfesystems hatten. Das soll helfen, Doppelzählungen vorzubeugen. In Nordrhein-Westfalen funktioniert das ähnlich.

Egal wie eine solche Statistik aussieht: Sie ist nur ein Anfang. „Sie ist die Grundvoraussetzung“, sagt Rosenke. „Es muss Konsequenzen geben.“

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