Indiens Regierung in Berlin: Besuch von einem schwierigen Partner
Indien ist die weltgrößte Demokratie und will eine regelbasierte globale Ordnung. Russlands Krieg verurteilt Neu-Delhi aber nicht.
Zumindest in einer Hinsicht dürfte die Reise des indischen Premierministers Narendra Modi und seiner Minister zu den Regierungskonsultationen mit ihren deutschen Partnern in Berlin am Montag erholsam werden: Millionen von Indern leiden derzeit unter einer Hitzewelle, in Nordwest- und Zentralindien steigen die Temperaturen teils auf mehr als 45 Grad Celsius.
Die 50-Grad-Marke könnte in den nächsten Tagen überschritten werden, warnt der Wetterdienst. Die milden Frühlingstemperaturen in der deutschen Hauptstadt dagegen lassen sich sehr gut ohne Klimaanlage ertragen.
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Gastgeber Olaf Scholz (SPD) ist gerade erst aus einem anderen asiatischen Land zurück – aus Japan. Dass er nach dem Besuch beim Nato-Partner in Ostasien nun die politische Führung der größten Demokratie der Welt empfängt, aber noch nicht in Peking war, dürfte in China als Signal wahrgenommen werden.
Genau so ist das auch gemeint: Die Ampel hat sich im Koalitionsvertrag ausdrücklich vorgenommen, die seit mehr als 20 Jahren bestehende strategische Partnerschaft zu Indien zu stärken und zugleich einen härteren Kurs gegenüber dem autoritären China einzuschlagen.
Das wird in Neu-Delhi gewürdigt, denn Indien sieht in China seinen gefährlichsten Rivalen und beobachtet misstrauisch alle Versuche Pekings, seinen Einfluss in der Welt auszudehnen – sei es durch die Neue Seidenstraße oder durch Marinestützpunkte im Indischen Ozean („String of Pearls“).
Nur nach langem Zögern schloss sich Indien vor wenigen Jahren der von Deutschland und Frankreich vorangetriebenen „Allianz für den Multilateralismus“ an. Der Zusammenschluss von Demokratien sollte die regelbasierte Ordnung damals auch gegen ihre Zerstörung durch US-Präsident Donald Trump stärken.
Aber Neu-Delhi fürchtete, Trump zu verärgern, dem sich Modi eng verbunden fühlte. Der indische Premier gilt manchen Kritikern wegen seines hindu-nationalistischen Kurses, der sein Land spaltet, als „Trump Asiens“.
Zur regelbasierten Weltordnung bekennt sich Neu-Delhi ausdrücklich, ein einfacher Partner ist die mit gut 1,3 Milliarden Menschen größte Demokratie der Welt deshalb noch nicht – und von „Wertepartnerschaft“ ist in Berlin auch nicht die Rede.
Das liegt zum einen daran, dass sich unter Modi die Menschenrechtslage verschlechtert hat und bürgerliche Freiheiten eingeschränkt wurden, die muslimische Minderheit im Land sich durch den Hindu-Nationalismus bedroht fühlt. Ebenso wichtig ist aber Indiens Weigerung, sich in Welt-Konflikten auf die Seite des Westens zu schlagen.
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Grund dafür ist die Tradition der Blockfreiheit des früheren britischen Kolonialreiches, die es immer auch gute Beziehungen zu Russland suchen ließ. Den Krieg Wladimir Putins gegen die Ukraine hat Neu-Delhi deshalb anders als 141 UN-Mitglieder nicht verurteilt. Allerdings hat sich nach dem Massaker von Butscha der Ton gegenüber Moskau verschärft, was in Berlin genau registriert wurde.
Auf westliche Kritik am Schweigen über den russischen Angriffskrieg antworten indische Politiker mit Hinweis auf die Bedrohung ihres Landes durch China. Bei der geopolitischen und geoökonomischen Raisina-Tagung in Neu-Delhi, an der auch EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen teilnahm, konterte Außenminister Subrahmanyam Jaishankar kürzlich auf Fragen der Gäste zu diesem Thema: Er wünsche sich, dass der Krieg in der Ukraine ein Weckruf für die Europäer sei, damit sie in Zukunft aufmerksamer registrieren würden, was in Asien passiere – auch das eine Anspielung auf die aggressive Politik Pekings.
Öffentlich wird der Kanzler und werden deutsche Minister den Russlandkurs der Gäste kaum kritisieren. Auch wenn sie sich eine klarere Verurteilung der Kreml-Politik wünschen, gilt Druck nicht als geeignetes Mittel, um Indien auf neue Wege zu führen. Selbst dann nicht, wenn der Subkontinent nun billiges Gas und Öl aus Russland kaufen will und damit westliche Sanktionen unterläuft.
Kein Blatt vor den Mund nahm dafür der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI): Er kritisierte, Indiens neutrale Haltung erschwere die politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit. „Der Westen muss damit rechnen, dass sich Indien in einer mehr und mehr bipolaren Weltordnung keinem Lager zuordnen wird“, sagte Wolfgang Niedermark aus der BDI-Geschäftsführung.
Im Systemwettbewerb mit China müssten Deutschland und Europa genauso wie Indien ihre Wirtschaftsbeziehungen diversifizieren. Beide Seiten müssten nun ihre Abhängigkeiten von Russland reduzieren.
„Das gilt für europäische Energieimporte wie für die russisch-indische Militärkooperation“, meint der BDI-Vertreter. In der Bundesregierung gibt es allerdings wenig Hoffnung, dass sich Neu-Delhi in absehbarer Zeit aus der jahrzehntealten Tradition der Rüstungskäufe und -kooperation mit Russland löst.
Zu sehr ist das indische Militär auf diesen Partner angewiesen, der ihn auch gegen das ebenfalls mit Atomwaffen ausgerüstete Pakistan stärken soll. Die Feindschaft zum Nachbarn ist ein weiterer Grund für die Bindung an Moskau: China vertritt im UN-Sicherheitsrat pakistanische, Russland indische Interessen.
Hinter verschlossenen Türen dürften die Deutschen ihre Gäste allerdings darauf hinweisen, dass die wachsende Abhängigkeit Russlands von China wegen der westlichen Sanktionen Wladimir Putins Handlungsspielraum einengt und ihn zu Pekings Handlanger machen könnte.
Ein wichtiges Thema bei den Regierungskonsultationen wird die Zusammenarbeit beim Kampf gegen den Klimawandel sein. 90 Prozent der Energie Indiens stammen aus fossilen Brennstoffen. Hilft Deutschland bei der Umstellung dieses riesigen und bevölkerungsreichen Landes auf erneuerbare Energien, trägt es auch zum globalen Kampf gegen die Erderwärmung bei.