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Unser Alltag wird immer digitaler – den Durchblick zu behalten, ist schwer.
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Reaktion auf den Datenklau: Bestürzend ist die Unkenntnis

Daten werden gehandelt und gedeutet, aber auch gestohlen und missbraucht. Die Tücken des Digitalen scheinen Politik wie Nutzer zu überfordern. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Carsten Werner

Wer Dokumente in der Cloud aufbewahrt, wer Bilder dort sammelt oder im Netz mit mehr oder weniger engen Freunden teilt, wer seine Kontakte über alle Firmen, Plattformen und Geräte hinweg synchronisiert, wer auf drei, vier, fünf Geräten zuhause, im Büro, im Rucksack und in der Jackentasche gleichzeitig Browser und Facebook und sein Mailprogramm geöffnet hat und nie schließt, dazu vielleicht noch eine Dating-App, Amazon oder Ebay zum Einkaufen, Googles Textverarbeitung für Einkaufszettel, Dienstplan und To-Do-Listen und Google-Maps, um sich zurechtzufinden - der hat gute Gründe: Es ist sehr praktisch, es ist sehr bequem, schlicht verführerisch; man fühlt sich informiert, fühlt Nähe und sich informiert, man wähnt sich „im flow“.

Wer so mit seinen persönlichsten und auch intimen Daten umgeht - so bin ich, so shoppe ich, so fühle und so lese, liebe, lebe ich -, der und die muss sich bewusst sein, dass alle diese persönlichen Informationen und Inhalte, die wir in unsere Apps und digitalen Anwendungen stecken, auch wieder da heraus kommen können: Gedeutet, gehandelt und auch gestohlen können unsere Daten werden - manches ist vollkommen legal, vieles noch längst nicht klar geregelt und manches eindeutig verboten. Geheimdienste und Datenwirtschaft haben mit politischen Trollen und kriminellen Nerds aber eins gemeinsam: Sie hätten sie gerne, unsere Daten - um sie zu deuten, damit zu handeln, um uns zu verstehen und zu durchleuchten, um uns oder andere zu betrügen oder zu erpressen.

Reale Öffentlichkeit, wie im aktuellen Datenklau-Leak, kann eine Folge sein: Wer immer die Daten einmal erbeutet, findet oder kauft, kann sie veröffentlichen - ob sie einmal im Namen der Sicherheit, der Bequemlichkeit, des Wirtschaftswachstums gewonnen wurden, ob sie kriminell gestohlen oder bloß durch Pannen, Schlampigkeiten in die weite Welt geraten sind, spielt dabei eigentlich keine Rolle. Die Urheber, die Daten-Rohstoff-Lieferanten, werden mit Hilfe eigener persönlicher Daten in fremden Händen erpressbar, durchschaubar, betrogen, bedroht oder sogar angegriffen.

Uns Daten-Erzeuger durchsichtig und berechenbar zu machen, das ist auch das legale Geschäftsmodell der Datenkonzerne. Und die zuständige Staatssekretärin Dorothee Bär (CSU) hat erst vor wenigen Tagen angeregt, deren Erfolg und Ertrag nicht durch zu strengen Datenschutz zu gefährden. Auch Geheimdienste sind - im Namen der Sicherheit vor Kriminalität und Terror - naturgemäß nicht die größten Fans von Verschlüsselung, Geheimhaltung und Anonymität. Sicherheit heißt aber auch: Jeder Bürger muss sicher sein können, dass er selbst bestimmen kann, was privat bleibt.

So peinlich, so brisant oder so banal die jetzt veröffentlichen Daten im Einzelnen sein mögen: Justizministerin Katarina Barley nennt ihre gesammelte Veröffentlichung zu Recht einen „schwerwiegenden Angriff auf das Recht auf Privatsphäre und damit einen Grundpfeiler unserer Demokratie“ und warnt: „Die Urheber wollen Vertrauen in unsere Demokratie und ihre Institutionen beschädigen.“ Das aber gelingt ihnen schon, wenn jetzt alle Internetnutzer, also die Gesamtbevölkerung, auf den Staat zeigen und von ihm „mehr Sicherheit“ erwarten und verlangen.

Keine Frage: Die Rahmenbedingungen, die Gesetze zu Datenschutz und -missbrauch muss die Politik endlich formulieren. Das Wirtschaften mit Daten muss endlich wirksam reguliert, besteuert, auch honoriert werden; auch den Nutzern, die die Daten zur Verfügung stellen. Kriminalität im Netz müssen Behörden endlich erkennen, verfolgen und ahnden können und dazu technisch, fachlich und personell gut ausgestattet sein.

Vor allem aber fehlt in der breiten Bevölkerung (Politiker eingeschlossen, wie man jetzt sieht) ein umfassendes kulturelles Verständnis für die digitale Welt - für Datenbewusstsein, Datensparsamkeit, Datenschutz, in dieser Reihenfolge. Auch das ist eine politische, gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Nichts von dem, was jetzt (wieder) passiert ist, ist ja wirklich überraschend: Daten werden gehandelt, gelesen, gedeutet und eben auch gestohlen und missbraucht. Bestürzend aber ist die Überraschung darüber - die Unkenntnis über die Möglichkeiten des Digitalen.

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Politisch ist auch, dass allein die Auswahl der von der Datensammlung und -veröffentlichung im neckisch-perfiden Adventskalender-Style Betroffenen (und der Nicht-Betroffenen) augenscheinlich politisch motiviert und parteiisch ist: ein ekeliger Einschüchterungsversuch, eine dreiste Machtdemonstration gegen Politiker, Künstler und Journalisten, höchst persönlich - sind gegen ihre demokratischen Freiheiten und Sicherheiten.

Da will jemand zeigen: Schaut, was wir wissen - schaut, was wir können. Dass der gezielten, sortierten und kommentierten Verbreitung privater Daten, Bilder und Adressen auch handfeste Taten folgen könnten, ist dabei impliziert und kann so angeregt oder ermöglicht werden. Mindestens bleiben aber der Schreck, die Peinlichkeit, die Drohung: Wer könnte da gerade mitlesen, an der Tür oder am Handy klingeln, das Privateste besichtigen und weiterposaunen? Jedes Einbruchsopfer kennt das Gefühl.

Aus Politik und Sicherheitsbehörden heißt es jetzt: Die veröffentlichten Daten seien nicht so brisant, die staatlichen „Sicherheitsnetze“ seien intakt. Natürlich gibt es Schlimmeres, als die Telefonnummer wechseln zu müssen (oder einfach weiter erreichbar zu bleiben), Peinlicheres als einen Impfpass. Deutlich geworden ist aber wieder: Daten lassen sich aus verschiedensten Quellen zusammentragen und kombinieren - durch besessene Fleißarbeit oder durch Hochleistungscomputer und ihre Algorithmen.

Den Daten-Rohstoff dafür liefern wir alle, als Nutzer des Digitalen. Es ist kaum mehr möglich, das nicht zu tun, wenn man kommunizieren will und muss - bequem, schnell, „im flow“ eben. Den Schutz unserer Daten müssen auch wir alle organisieren und beherzigen: gegenüber Kriminellen, gegen zu freizügige staatliche und wirtschaftliche Zugriffe, aber auch vor unserer eigenen digitalen Naivität. Zum Nutzen und Erzeugen von Daten gehört auch Verantwortung: Wer den Briefkasten nicht abschließt, alle Türen und Fenster offen lässt, Familienrat und Liebesgeflüster minutiös dokumentiert und schließlich die Protokolle zusammen mit Kreditkarten und privaten Fotos, Wunschzetteln, Ausweiskopien und Arztbefunden im Bollerwagen durch die Straßen zieht - der kann nicht nach mehr Sicherheit schreiend alle Verantwortung auf Polizei und Politik schieben.

Und, ja: Auch ein Telefonbucheintrag will bedacht sein. #nacktimnetz macht jeder sich auch selbst, in jeder Minute, in der wir digital unterwegs sind - oder eben nicht. Unsere Freiheiten, auch unsere Bequemlichkeiten und Lockerheiten haben Aufmerksamkeit, Sicherheit und Wachstum verdient.

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