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Mann mit gefalteten Händen
© AFP

Italien: Berlusconi tobt, droht und hofft

Der Koalitionspartner, also die Sozialdemokraten, soll ihm seinen Senatssitz retten. Sonst, droht Berlusconis Partei, werde man aus der Regierung austreten. Dabei ist die rechtliche Lage ganz klar: Wer zu mehr als zwei Jahren Haft verurteilt wurde, muss aus dem Parlament ausscheiden.

Die Sommerruhe ist dieses Jahr ausgefallen – „im Interesse der Nation“, wie Silvio Berlusconi und seine Bündnispartner sagen. Mit   Drohungen und düsteren Prophezeiungen („Chaos!“, „Ende der Demokratie!“) erhöhen sie Tag für Tag den Druck auf das Parlament, auf die Koalitionspartner, auf die Regierung und auf Staatspräsident Giorgio Napolitano. Die Kampagne zielt ab auf den 9. September. An diesem Tag tritt der Immunitätsausschuss des Senats zusammen, um über die Fortdauer von Berlusconis Parlamentarierdasein zu entscheiden. Das Gesetz schreibt den Ausschluss aller Abgeordneten vor, die rechtskräftig zu zwei Jahren Haft oder mehr verurteilt sind, und über den Steuerbetrüger Silvio B. (76) haben Italiens Höchstrichter am 1. August vier Jahre verhängt.

Zwar steht die Mehrheit im Ausschuss – 15 zu acht – klar gegen den „Cavaliere“, aber weil sie zum großen Teil aus den Sozialdemokraten besteht, bearbeiten Berlusconis Leute nun ihre früheren Gegner und heutigen Koalitionspartner. Ein Votum gegen den „geliebten Leader“, drohen sie, würde das unverzügliche Scheitern der bisher gemeinsam getragenen Regierung bedeuten: „Wir können nicht mit unseren Henkern zusammenarbeiten. Hier steht das Schicksal des Landes auf dem Spiel. Ein Chaos kann sich Italien nicht leisten.“ Schuld daran, sagt Berlusconi selbst, trügen in diesem Falle ausschließlich die Sozialdemokraten: „Wenn zwei Freunde in einem Boot sitzen, und der eine wirft den anderen ins Meer, wer ist dann schuld, wenn das Boot ins Schlingern gerät?“

Die Sozialdemokraten indes bleiben hart. „Das Gesetz ist für alle gleich, auch für Berlusconi“, sagt Parteichef Guglielmo Epifani. „Wir verschachern die Legalität nicht gegen eine längere Regierungsdauer“, sagt Parlamentsminister Dario Franceschini. „Wir stimmen für den Ausschluss Berlusconis aus dem Senat; es gibt keine andere Lösung“, sagt Regionalminister Graziano Delrio.

Berlusconis Truppen antworten darauf mit abenteuerlicher Rhetorik.  Er selbst, der zwanzig Jahre das Land polarisiert hat wie keiner vor ihm, verlangt nun den „nationalen Friedensschluss“, und seine Leute bringen eine Generalamnestie ins Spiel, wie es sie 1946, nach zwanzig Jahren Faschismus und Weltkrieg, gegeben hat. Der Senatsausschuss, flehen Vertraute Berlusconis, dürfe bei der fatalen Abstimmung „nicht wie ein Erschießungskommando“ auftreten. Parteisekretär Angelino Alfano appelliert an die Sozialdemokraten; sie sollten „ihre Vorurteile aus zwanzig Jahren Feindschaft“ beiseite lassen und „in der Sache“ abstimmen – wobei ausgerechnet der Jurist Alfano vergisst, dass Italiens Höchstrichter „die Sache“ definitiv entschieden haben und es keine „Vor“-Urteile mehr geben kann.

Das Gesetz zum Ausschluss verurteilter Parlamentarier müsse erst noch „vertieft“ werden, sagt Alfano und regt an, die Senatskommission solle vor ihrer Abstimmung zuerst das Verfassungsgericht um Klärung anrufen. Dabei hat genau Alfanos Partei dieses heute gewünschte, auf Zeitgewinn abzielende Vorgehen noch Anfang Juli im Fall zweier normaler Parlamentarier ausdrücklich abgelehnt. Und seit Samstag Abend behauptet nicht mehr nur der lauteste Polemisierer unter Alfanos Parteigenossen, der frühere Minister Renato Brunetta, das ganze Gesetz sei verfassungswidrig. Nach vierstündigem, den Angaben zufolge recht wirr verlaufenen Krisengipfel in Berlusconis Mailänder Villa hat die gesamte Parteiführung eine Aberkennung des Senatorenmandats für ihren Chef als „undenkbar und verfassungsrechtlich inakzeptabel“ zurückgewiesen. Noch im Dezember hatte Berlusconis „Volk der Freiheit“ exakt diese Norm im Parlament mitbeschlossen.

„Die Sozialdemokraten müssen Berlusconi retten“, sagt Daniela Santanchè, die militanteste unter den „Amazonen“ ihres Parteichefs: „Andernfalls ist die Demokratie in Gefahr. Würde Berlusconi aus dem Parlament ausgeschlossen, verlören zehn Millionen Italiener ihre legitim gewählte politische Vertretung!“ Dieses populistische Argument ist beim samstäglichen Krisengipfel zur offiziellen Sprachregelung im „Volk der Freiheit“ erhoben worden. Auch Berlusconi hält seine „ungerechte“ Verurteilung für einen „Angriff auf Prinzipien der Demokratie“: Die Millionen, „die mich gewählt haben, dürfen nicht auf eine solche Weise diskriminiert werden“. Das Argument ist dennoch kurios: Gewählt wurde ja nicht Berlusconi allein, sondern mit ihm als Spitzenkandidaten gleichzeitig die gesamte Liste seiner Partei: 200 Parlamentssitze. Und niemandem fällt auf, dass Abgeordnete, die – wie Santanchè – ihr Lager propagandistisch auf eine einzelne Person zuspitzen, vor lauter Servilität und Personenkult ihre eigene Bedeutung auslöschen: Sie selbst sind ja auch Repräsentanten des entsprechenden Wählerblocks, und sie bleiben im Parlament.

„Wir führen eine moralische Schlacht zur Verteidigung unseres Leaders und einer politischen Geschichte, die Respekt verdient“, tönt Berlusconis früherer Kulturminister Sandro Bondi. Gerichtsurteile dürften „nicht automatisch auf die politische Ebene übertragen werden“, sagt er, „da ginge auch der letzte Rest parlamentarischer Autonomie und politischer Macht verloren“. Und dann verlangt er „eine politische Lösung“; nur so könne „der Zusammenhalt des politischen Systems gesichert“ werden.

Wie diese Lösung aussehen könnte, davon haben Berlusconis Spießgesellen zwei Vorstellungen: Zum einen müsse ihr Parteichef natürlich Parlamentsmitglied bleiben – auch wenn ihm, neben dem Ausschluss durch den Senat selbst, von gerichtlicher Seite im Herbst noch drei Jahre politisches Ämterverbot erwarten –, zum anderen müsse möglichst bald der „wahre Richter in einer Demokratie“, der Wähler, zu Wort kommen. Und so beliebt, wie Berlusconi sei … Das aber stellt – ohne dass sich in Italien jemand daran stört – die letzte Aushebelung des Rechtsstaats dar: Wer immer eine gewisse Zahl von Wählern auf sich vereinigt, heißt das, ist nicht mehr an Recht und Gesetz gebunden.

Berlusconi selbst sagt: „Sie können mir alles nehmen. Nur drei Sachen nicht: Das Recht, mich zu Wort zu melden, das Recht, die von mir gegründete politische Bewegung zu führen, das Recht, Referenzpunkt für Millionen Italiener zu sein, so lange sie mich frei wählen.“ Dass er laut Gesetz nicht mehr kandidieren darf, spielt keine Rolle: „Ich gebe nicht nach!“

Paul Kreiner

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