Nach dem Steuerbetrug-Urteil: Silvio Berlusconis Komödie
Seit dem Urteil gegen Silvio Berlusconi sind zehn Tage verstrichen. Aber der alte Mann sperrt sich gegen den Abtritt. Und Italien erlebt erneut, dass es von ihm ins Chaos geführt wird. „Haltet euch bereit für alles“, lautet die Devise in den Parteien. In allen.
Sie locken ihn, umwerben ihn. „Kommen Sie zu uns!“ Der Steuerbetrüger Silvio B. ist zu einem der gefragtesten Männer Italiens geworden. Seit seiner Verurteilung am 1. August wollen alle nur ihn:
– die therapeutischen Wohngemeinschaften für Drogenabhängige und Alkoholiker,
– die Auffangstationen für misshandelte Frauen, für Prostituierte und Spielsüchtige,
– die Bewährungseinrichtungen für Gewaltkriminelle im Offenen Vollzug,
– die Tierschutzverbände
– und die caritativen Hilfsvereine für Familien, die unter dem Existenzminimum leben.
Eines von den vier Jahren Haft, die ihm die Richter aufgebrummt haben, wird Silvio B., 76 Jahre alt, tatsächlich abbüßen müssen, und im September soll er sich entscheiden. Zur Wahl stehen einsamer Hausarrest oder die Verrichtung „sozial nützlicher Tätigkeiten“.
Die sozialen Einrichtungen reißen sich um Silvio Berlusconi
„Wir hätten da was“, rufen nun also kirchliche und weltliche Sozialarbeiter, Bürgermeister und Freiwilligenorganisationen aus dem ganzen Land. „Wir haben ein Clown-Projekt, mit dem wir mafiagefährdete Jugendliche von der Straße holen!“, sagen die Streetworker von Iqbals Teppich in Neapel. Berlusconi bekomme die passenden Gewänder, die rote Nase: „Das hat schon mit so vielen verurteilten Jungs geklappt.“
Sogar im heimischen Mailand bekäme der Häftling im alternativen Strafvollzug auf der Stelle eine Beschäftigung – gleich in der Nähe der Via Olgettina, wo Berlusconis mit monatlich 2500 Euro abgefundene Party-Mädchen mietfrei wohnen dürfen. Dort leitet Don Antonio Mazzi seine klassische Kommunität für Junkies und Kriminelle. „Ich garantiere Ihnen“, sagte er neulich, „Leute, die uns beim Toilettenputzen helfen könnten, stehen hier nicht unbedingt Schlange.“
Wenn ihn, Silvio B., nur die haben wollten, die er selber will!
Silvio Berlusconi hofft auf die Begnadigung durch Staatspräsident Giogio Napolitano
Nach dem Schock des letztinstanzlichen, erstmals unverrückbaren Urteils hatte etwas begonnen, das Berlusconi selbst als „die beängstigendste und schmerzlichste Woche meines Lebens“ bezeichnete. Wenigstens mit einem Hoffnungsschimmer hatte sie angefangen. Seine Fraktionsvorsitzenden im Parlament, Renato Brunetta und Renato Schifani, hatten den Staatspräsidenten angefleht, er möge zu seinen verfassungsrechtlichen Möglichkeiten greifen und den „von zehn Millionen Italienern Gewählten“ begnadigen. Oder ihm – wenn schon eine förmliche Begnadigung ausfalle, da Berlusconi noch in anderen Prozessen angeklagt sei, man wisse das ja leider alles – einen anderen „Akt der Milde“ angedeihen lassen, der ihm „die politische Handlungsfähigkeit“ garantiere. Andernfalls, so hatten Brunetta und Schifani gedroht, werde die Regierung stürzen und politisches Chaos ausbrechen.
Giorgio Napolitano, Italiens ruhig-weiser Staatslenker, hatte Brunetta und Schifani sogar angehört und anschließend versichert, er prüfe „alle Aspekte dieser Sache mit der gebührenden Aufmerksamkeit“. Seither lässt Berlusconi in nervösem Pendeln zwischen seinem römischen und seinem Mailänder Wohnpalast immer wieder verlauten, er warte auf ein „Zeichen“ Napolitanos.
Doch Napolitano schweigt.
Die Comedia del Berlusconi erlebt ihren nächsten Akt. Der alte Mann ist politisch kalt gestellt von einem Urteil, das ihn zum Steuerbetrüger erklärt. Und auch für das, was daraus folgt, gibt es Gesetze.
Keiner will eine Regierungskrise in Italien riskieren
Dem Antikorruptionsgesetz nach, das eine verflossene Regierung Berlusconis entworfen und dem sogar die Abgeordneten der eigenen Partei zugestimmt haben, darf in den beiden Kammern des italienischen Parlaments keiner sitzen, „der rechtskräftig zu zwei oder mehr Jahren Haft verurteilt ist“. Nach Zustellung des Urteils beschäftige sich das Parlament „sofort“ mit der Aberkennung des Mandats. Aber was heißt „sofort“?
Auf diese Frage hat der Immunitätsausschuss des Senats am Mittwoch Abend eine überraschende Antwort gefunden – „in konstruktiver, entspannter Atmosphäre“ und parteiübergreifend: „Sofort“ heißt „im September“. Damit, so sagt der linke Ausschussvorsitzende Dario Stefano, „verlieren wir keine Zeit“.
Berlusconi ist zwar zu vier Jahren Haft verurteilt, der Senatsausschuss hat ihm trotzdem noch einmal drei Wochen Zeit geschenkt, sich zu verteidigen. Fünfzehn zu acht stand das Mehrheitsverhältnis gegen Berlusconi. Doch selbst die Fundamentaloppositionellen der „Fünf-Sterne- Bewegung“, die den Rauswurf aller verurteilten Parlamentarier zu einem ihrer Hauptwahlkampfthemen gemacht hatten, waren mit der Verschiebung einverstanden. Eine Regierungskrise mitten in den Parlamentsferien? Keiner wollte sie riskieren.
Berlusconi genießt als Abgeordneter weiter Immunität
So hat der Abgeordnete Berlusconi, über den sich nun weiterhin der Schutzschild der Immunität breitet, zumindest an einer Front Ruhe. Kein Staatsanwalt, auch kein noch so verfolgungseifriger, wird den Hauptverdächtigen in Untersuchungshaft nehmen. Obwohl gegen ihn Ermittlungen wegen früheren Abgeordnetenkaufs laufen. Ein Ex-Senator hat gestanden, für den Wechsel zu Berlusconis Partei drei Millionen Euro eingestrichen zu haben.
Stattdessen prasselt es derzeit aus Berlusconis Partei auf Guglielmo Epifani herein. „Wie unverantwortlich! Ein Provokateur! Ein Schmierenkomödiant, der die Maske hat fallen lassen!“
Der Sozialdemokrat Epifani führt derzeit kommissarisch den „Partito Democratico“, also Berlusconis Hauptpartner in der Großen Koalition. Und er hatte es gewagt zu sagen, dass Gerichtsurteile „zu respektieren und umzusetzen“ seien. Es gebe keinen anderen Weg. „Alle Bürger sind vor dem Gesetz gleich.“
Unerhört natürlich.
Die Koalition zwischen Berlusconis "Volk der Freiheit" und den "Demokraten" ist historisch unerhört
„Berlusconi muss jetzt einen Schritt zurück tun“, folgerte Epifani. „Legalität steht in einem demokratischen Staat über politischen Erwägungen.“ Das reichte, um ihn für die Gefolgschaft des Verurteilten zum Bösewicht zu machen. Der die Große Koalition brechen, Italien in den Abgrund stürzen wird. Ganz anders als Berlusconi. Der als uneigennütziger, allein am Wohl des Landes orientierter Staatsmann machtvoll versprochen habe, Regierung und Parlament weiterarbeiten zu lassen.
Nun, gemocht haben sie sich ohnehin nie. Ihr Koalitionsbündnis ist historisch unerhört. Erwartbar also, dass sich Berlusconis Partei „Volk der Freiheit“ und Epifanis „Demokraten“ in der letzten Woche vor den Ferien fortgesetzt gegenseitig beschuldigt haben, der Sache „den Stecker ziehen“ zu wollen. Das ist Politik-Mikado, man belauert sich. Wobei es nur bei den Demokraten ausdrückliche Forderungen gibt, die Koalition tatsächlich aufzukündigen. Nur schnell noch, im Herbst, ein neues Wahlgesetz verabschieden: „Und dann ist’s an uns zu regieren!“ So ruft es der 38-jährige Bürgermeister von Florenz, Matteo Renzi, der es gar nicht erwarten kann, Parteichef und Spitzenkandidat zu werden.
Die einen in der Partei verklären ihn: Wenn einer siegen kann, dann er, sagen sie. Die anderen halten ihn für zu jung, zu stürmisch, zu illoyal. Würde nicht das Ende der Regierung auch den sozialdemokratischen Regierungschef Enrico Letta stürzen? Bremst Renzi!
Regierungschef Enrico Letta ist nicht einmal 100 Tage im Amt
Möglichst schnell wollen die „Renzianer“ klare Verhältnisse im Partito Democratico. Einen Parteitag zur Wahl des Vorsitzenden. Urwahlen zur Kür des Spitzenkandidaten. Die anderen Strömungen wollen genau das nicht: die Regierungstreuen, die selber Sprungbereiten. Epifani soll alles zusammenhalten. Zugleich entscheiden und verzögern. Aus der Krisensitzung des Demokraten-Vorstands am späten Donnerstag Abend verlautete: „Epifani bestätigt Termin und Aufgabe des Parteitags.“ Renzis Truppen atmeten auf. Bis sie bemerkten, dass Epifani überhaupt keinen Termin genannt hatte. Ende November werde es so weit sein, wurde ihnen aus der Parteileitung schließlich beschieden: „Hatten wir doch so besprochen, oder nicht?“ Dann kam der Nachsatz: „Aber die vielen regionalen und lokalen Vorbereitungsarbeiten, wer weiß...“
Wie oft hat Regierungschef Enrico Letta seit dem fatalen Richterspruch vor einer Woche schon gesagt, „ich lasse mich nicht verschleißen“? Beiden Seiten.
Seine ersten hundert Tage im Amt wollte er eigentlich feiern. Mit gutem Grund, sagt er: Die vielen Dekrete und Gesetzesvorlagen zur wirtschaftlichen Besserung Italiens, die seine Mannschaft ins Parlament eingebracht hat! Die 794 Millionen Euro, die er in den völlig leeren Staatskassen irgendwie aufgetrieben hat, um 100 000 Arbeitsplätze für junge Leute zu schaffen. Die Anreize zum Hausbau und zur umweltfreundlichen Wohnungsausstattung, um Italiens Inlandsmarkt flott zu kriegen. Frisches Geld für die Kultur – so etwas war schon lange nicht mehr drin in Italien. Und schließlich das große Gesetzes-Sammelwerk, das den programmatischen Titel „Machen“ trägt – so zügig erstellt, dass das Parlament die Reformen noch vor dem Sommer hat verabschieden können.
Wenigstens die EU-Präsidentschaft soll die aktuelle italienische Regierung noch überstehen
Auf 18 Monate, sagte Letta im April, lege er seine Regierung an. Über die EU-Präsidentschaft Italiens im zweiten Halbjahr 2014 will er mindestens noch kommen, der Mann auf der Insel, der es mit stoischer Ruhe schafft, sein Dreiparteien-Kabinett aus allem Streit der restlichen Welt herauszuhalten. Bisher.
Seiner Regierung hat Letta keine Ferien genehmigt, sondern Durcharbeiten angekündigt. Und jetzt, am selben Tag, an dem Italiens miserable Konjunkturbilanz offengelegt wurde, acht Quartale hintereinander befindet sich das Land nun schon im Minus, eine so lange Serie wie seit vier Jahrzehnten nicht mehr, da hat Lettas Finanzminister Fabrizio Saccomanni gleich auch noch „die Wende“ ausgerufen, von den „Früchten der Arbeit“ gesprochen. Und zwar eingedenk der Tatsache, dass das Bruttoinlandsprodukt zuletzt nicht um 0,4 Prozent gefallen ist wie erwartet, sondern nur um 0,2 Prozent.
„Die Rezession ist vorbei!“, machen Italiens Zeitungen daraus. Die Industrieproduktion liegt immer noch ein Viertel unter dem Vorkrisenniveau.
„Es wäre ein Verbrechen“, sagt Regierungschef Letta, „die ersten positiven Ergebnisse der Regierungsarbeit gerade jetzt durch politisches Chaos kaputtzumachen.“ Er sagt es in beschwörendem Ton. Den Parteien, die ihn tragen sollen, ist er ausgeliefert. Nun erstmal drei Wochen Parlamentsferien. Wie lange es friedlich bleibt, weiß keiner.
Bis „Ferragosto“ am kommenden Donnerstag bestimmt. Der ist als traditioneller italienischer Hauptruhetag unangreifbar. Aber danach?
„Haltet euch bereit für alles“, lautet die Devise in den Parteien. In allen.
Jede Krise des Silvio Berlusconi hat ein Frauengesicht
Beinahe jede Krise des Silvio B. hat ein Frauengesicht. In dieser wird das von Marina Berlusconi immer wichtiger? Wird sie, will sie, soll sie ihren Vater politisch beerben? Nichts als Fragezeichen. Ein Familiengipfel jage den anderen, schreiben italienische Journalisten, seitenweise über Vorgänge berichtend, bei denen kein Außenstehender dabei gewesen sein soll, von denen sie aber angeblich trotzdem alles wissen.
Der Personenkult würde mit dieser politischen Erbfolge ins Dynastische auswachsen. Ein Coup, und ein gewagter Schritt. Ist der entmachtete Allmächtige dazu bereit?
„Wie gut, dass es Silvio gibt“ plärrt es schmalztriefend am vergangenen Sonntag bei der großen Anti-Richter-Kundgebung aus den Lautsprechern, mit denen Berlusconi seine Anhänger beschallt hat. Das ist auch die Parteihymne.
„Wie gut, dass es Dudù gibt“, riefen sich römische Pressefotografen in den Tagen danach zu und jagten dem quirlig-wuscheligen Schoßhund von Berlusconis „Verlobter“ Francesca Pascale hinterher. Die ist 27, blond und für die Paparazzi eine willkommene Abwechslung. Nicht ewig nur der immer Gleiche.
Erschienen auf der Reportage-Seite.
Paul Kreiner