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"Alles aufgeklärte Wissen über den Sinn und die Funktion der Gewaltenteilung in einem zivilisierten Rechtsstaat hat Berlusconi zerrüttet":
© Reuters

Italien: Berlusconi und seine willigen Helfer

In Italien hat sich ein Despotentum entwickelt – daran wird auch das Urteil gegen Ex-Regierungschef Silvio Berlusconi nichts ändern. Denn den Sinn für wirkliche Demokratie hat er den Italienern systematisch ausgehöhlt.

Italiens Leitartikler erklären die 20-jährige Ära Berlusconi für beendet; Parteifreunde, die ihn wohlmeinend rechts überholen, erinnern – weil’s genau 80 Jahre her ist – an den Sturz Benito Mussolinis nach einer Herrschaft von ebenfalls zwei Jahrzehnten. Eine Zeitung aus dem Medienreich des Verurteilten erscheint mit Trauerrand, und im „Volk der Freiheit“, der Partei Berlusconis, rufen sie das Ende der Welt aus. Jenes der Demokratie sowieso. Denn außer ihrem „geliebten Silvio“ kennen sie in dieser Partei nichts.

In Italien hat sich ein Despotentum breitgemacht. 20 Jahre lang hat sich, im Für und Wider, die ganze Politik nur um diesen einen Mann gedreht. Seit April dieses Jahres nun regieren in einer großen Koalition auch Berlusconis frühere Gegner mit, die Sozialdemokraten. Aber weil sie alle auf Berlusconi starren, sind sie bei der wirtschaftlichen und finanziellen Rettung des Landes bisher keinen Schritt vorangekommen. Berlusconi lässt diese Regierung nicht arbeiten, wenn sie nicht tut, was er will. Und die Sozialdemokraten hofieren ihn auch noch, weil sie Angst haben, er könnte die Regierung platzen lassen. Als das Kassationsgericht die endgültige Verhandlung in Berlusconis Steuersachen auf den 30. Juli festsetzte – in „politischem Verfolgungswahn“, wie der frühere Premier diagnostizierte –, stimmten sogar die Sozialdemokraten für einen eintägigen Proteststreik der Parlamentsabgeordneten. Spätestens da war ihnen jede Form von Rückgrat abhandengekommen.

Das Urteil der höchsten Richter allein kann diesen verlorenen Horizont nicht ersetzen. Es spricht viel dafür, dass sich Berlusconi – auch wenn er heute zur Milde ruft – in den kommenden Monaten noch umso stärker zum Märtyrer stilisieren wird und dass alle ihm noch stärker zu Willen sind, weil sie politisch weiterhin von seinen persönlichen Launen abhängen.

Im Senat werden sie die Abstimmung darüber hinauszögern, ob Berlusconi wirklich sein Mandat aufgeben muss – dabei ist die Gesetzeslage eindeutig. Wahrscheinlich wird es die Sozialdemokraten über dieser Frage zerreißen. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass nur ein Teil von ihnen die Courage aufbringen wird, den Gesetzen auch zur Geltung zu verhelfen. Alle anderen folgen einem weichlichen „innenpolitischen Pragmatismus“, der die verbal so wackeren Oppositionellen von einst nur umso stärker zu Silvio Berlusconis willigen Helfern macht.

Gewiss, es gibt ein demokratisches Problem, wenn Berlusconi bei nicht allzu fernen Neuwahlen mit seiner wiedererweckten „Forza Italia“ ins Rennen geht. Wenn er antritt, gerade weil er offiziell nicht kandidieren darf. Und wenn ihn womöglich – letzter Stand der Umfragen – 28 Prozent der Italiener wählen werden, das wären sieben Punkte mehr als bei der Wahl im Februar.

Geschehen kann das nur, weil Berlusconi bei den Italienern systematisch den Sinn für wirkliche Demokratie ausgehöhlt hat, weil er mit seiner interessengeleiteten Dauerpolemik gegen die Justiz alles aufgeklärte Wissen über den Sinn und die Funktion der Gewaltenteilung in einem zivilisierten Rechtsstaat zerrüttet hat. Weil er „Partei“ nicht als Ort einer gemeinschaftlichen demokratischen Willensbildung versteht, sondern als seinen ganz persönlichen Wahlverein, deren Funktionäre ihrem – wörtlich! – „geliebten Leader“ in Nibelungentreue ergeben sind (und im Zweifel dafür bezahlt werden).

Wenn Italien eine Reform braucht, dann die Ablösung von Berlusconi und vom Berlusconismus. Doch selbst in dieser historisch einmaligen Situation spricht rein gar nichts dafür, dass sich die Politik und das Land von ihm losreißen könnten. Die Ära Berlusconi ist nicht zu Ende. Jetzt beginnt eine neue: eine Agonie, die über weitere Jahre hinaus alle und alles lähmen wird. Ein ganzes Land. Nur einen ganz bestimmt nicht: ihn.

Paul Kreiner

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