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Moloch Berlin. Die Stadt hat mehr Einwohner denn je seit dem Zweiten Weltkrieg.
© picture alliance / dpa
Update

UN-Habitat-Konferenz in Quito: Berlin wächst und wächst

Berlin wächst atemberaubend schnell. Wie groß ist das Problem, was ist geplant, was muss getan werden? Eine Übersicht zur Habitat-Konferenz mit Michael Müller.

Der Regierende Bürgermeister Michael Müller ist vor der UN-Siedlungskonferenz Habitat III in Quito zum Leiter der deutschen Delegation gewählt worden und hält für sie die Rede. Das passt, Berlin platzt aus allen Nähten und hat teils ähnliche Probleme wie andere Megacities der Welt. 43.000 Bewohner mehr, in sechs Monaten, Berlin wächst fast doppelt so schnell wie im Vorjahr und zählt so viele Menschen wie nie seit dem Zweiten Weltkrieg – darauf war niemand vorbereitet, und es braucht einen großen, übergreifenden Entwurf für die Entwicklung der Region, ähnlich wie in den 1920er Jahren, wenn Berlin nicht das Schicksal Londons oder von Paris teilen will mit sozialen Verwerfungen und brennenden Banlieues. Dass die Lage ernst ist, liest der Stadtforscher Harald Bodenschatz aus dem Wahlergebnis ab: An den Rändern der Stadt ist der Anteil jener, die Rechts oder nichts wählen am höchsten. Das hänge auch damit zusammen, „dass die Politik die Außenstadt vernachlässigt, obwohl dort die Hälfte der Bevölkerung lebt“.

Es ist eben nicht so sexy, sich mit Marzahn-Hellersdorf oder Lichtenrade zu befassen wie mit Scheunenviertel oder Savignyplatz. Dabei liegt genau darin die große Chance Berlins: „Die vielen mittleren und kleinen Zentren der Stadt müssen weiterentwickelt und gestärkt werden“, sagt Bodenschatz. Dort gibt es überhaupt noch Platz für Neubauten und dort gibt es außerdem auch schon die „Nahversorgung“ – also Ärzte, Bäcker, Rechtsanwälte und Handwerker – alles was gerade auch ältere Menschen vor der Haustür an Dienstleistungen brauchen. Denn auch das passiert in der nahen Zukunft: Das Durchschnittsalter steigt auf 44,5 Jahre, 12 Prozent mehr Einwohner werden älter als 65 Jahre sein im Jahr 2030.

Ring an Hochhäusern

Der Senat hatte reagiert mit einer „Berlin Strategie 2.0“ und acht „Transformationsräume“ benannt, um „große Wohnungsbaupotenziale zu integrieren“: Spandau, Marzahn-Hellersdorf, Adlershof und die Südost-Verbindung zum BER sowie das Südkreuz zählen an den Rändern dazu. Für die „migrantisch geprägten“ Quartiere in der Innenstadt wie Neukölln und die Spreeufer nennt die Verwaltung ausdrücklich auch die Integration der Geflüchteten als Aufgabe.

„Viele sagen, die Flüchtlingskrise sei schon vorbei, ich gehe davon aus, die Arbeit liegt erst vor uns“, sagt Bodenschatz. Berlins Schulen sind in einem desolaten Zustand, baulich und personell fehlt es an Lehrern, um auf Geflüchtete zugeschnittene Bildungsangebote anzubieten. Völlig ungeklärt ist außerdem, wie diese Menschen eigene Wohnungen finden sollen, wo nur halb so viele neue Wohnungen entstehen, wie es allein zur Unterbringung der jährlich neu in die Stadt ziehenden Haushalte bräuchte.

Wie groß die Not ist, zeigt das Amt für Statistik: Die zugezogenen Neu-Berliner stammen fast ausschließlich aus dem Ausland – und die wenigsten kommen mit einem Job. Die Konkurrenz auf dem Markt für günstige Wohnungen treibt die Mieten nach oben – und lässt den stattlichen Anteil der Berliner weiter steigen, der auf staatliche Hilfen angewiesen ist. Das Risiko sozialer Spannungen wächst.

Die Verwaltung bricht an manchen Stellen zusammen

Um die Entwicklung der Stadt zu beschleunigen, schlug Architekt Tobias Nöfer einen Ring an Hochhäusern an verkehrlichen Kreuzungspunkten am Rande der Inneren Stadt vor. Das wäre eine Variante für einen „Hochhausplan“, den Senatsbaudirektorin Regula Lüscher auch mal in Erwägung zog, „falls der Druck es nötig machen würde“. Diese fast schon bräsige Einschränkung hinterlässt Stadtplaner fassungslos. Sie alle wissen, dass die Entwicklung, Diskussion und Verabschiedung solcher Pläne Jahre braucht und die Verwaltung der Entwicklung schon heute hinterherläuft: beim Bau von Wohnungen und bald auch bei der Ausweisung von Dienstleistungsflächen, die wieder nachgefragt sind.

Vielleicht war Lüschers Satz aber eine Notwehr, weil es für die Umsetzung solcher Pläne kein Personal gibt. „Am dringendsten braucht es eine kritische Rekonstruktion der Berliner Verwaltung“, sagt Bodenschatz. Die Sparprogramme in den Bezirken ließen den Krankenstand in den Amtsstuben explodieren – vielerorts gibt es niemanden mehr, der Bauanträge oder Pläne bearbeiten kann. „Ohne Verwaltung kann auch die Zivilgesellschaft nichts in Bewegung bringen“, sagt Bodenschatz. Auch Gerhard Hammerschmid von der Hertie School of Governance beklagt das Versagen der öffentlichen Verwaltung: Ewige Baustellen, lange Staus, Schlangen in Bürgerämtern – ohne Reform steuert die so stark wachsende Stadt ins Chaos.

Zumal die größte Aufgabe noch gar nicht erwähnt ist: Die Neuordnung der Mobilität mit mehr Platz fürs Verkehrsmittel der Zukunft, das Rad. Statt mit den Initiatoren des Volksentscheids Ideen zu entwickeln, gab es vom Senat nur halbherzige Zugeständnisse, sagt Bodenschatz. Werden die Karten nun mit dem neuen Senat neu gemischt?

Einen ausführlichen Artikel zur UN-Siedlungskonferenz Habitat III in Quito, wo auch der Regierende Bürgermeister Michael Müller weilt, lesen Sie hier.

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