Senat stellt Asylkonzept vor: Berlin kann mehr tun für Flüchtlinge
Es sind unwürdige Szenen, die sich vor dem Berliner Flüchtlingsamt abspielen. Mit einem neuen Asylkonzept will der Senat die Lage in den Griff bekommen. Die Stadt ist herausgefordert - aber nicht überfordert. Ein Kommentar.
Was zu tun ist, wenn plötzlich zehntausende Flüchtlinge kommen, hat Eberhard Diepgen in den 90ern erfahren, als Jugoslawien im Bürgerkrieg versank. Der damalige Regierende Bürgermeister, nun im Flüchtlingsbeirat, fordert schon lange eine Gesamtverantwortung des Senats. Diepgen kennt den schwerfälligen Dampfer der Berliner Verwaltung, bei dem ein Umsteuern dauert – erst recht, wenn kein Kapitän auf der Brücke ist. Dort steht nun endlich sein Nachfolger Michael Müller.
Für Berlin geht es um viel. Es muss nicht nur der unwürdige Zustand enden, dass Asylbewerber in sengender Hitze vor dem Flüchtlingsamt warten müssen. Das schadet weltweit auch Berlins Image als herzliche und tolerante Metropole. Zudem riskiert der Senat, dass sich mit Bildern von scheinbar nicht zu lösenden „Flüchtlingsströmen“ Ablehnung zusammenbraut. Die Zunahme von fremdenfeindlichen Vorfällen ist eine Warnung.
Ob das neue Konzept das leisten kann oder es angesichts der wohl weiter ansteigenden Flüchtlingszahlen noch zu klein gedacht ist, wird sich erweisen. Richtig ist daran vieles; von der neuen Gesundheitskarte bis zum Zugriff des Sozialsenators auf Mitarbeiter anderer Behörden, um das ausgezehrte und überforderte Amt zu ertüchtigen. Eine dezentrale Antragsstellung, um das Gedränge vor dem Lageso zu vermeiden, wäre aber längst möglich gewesen. Und ob nun mit mehr Personal alles pannenfrei geht? Den Überblick verloren hat das Lageso nämlich nicht erst jetzt, sondern schon zu Zeiten, als weit weniger Flüchtlinge nach Berlin kamen – von der fehlenden Kontrolle der privaten Heimbetreiber zu schweigen.
Die Stadt ist herausgefordert
Zweifellos ist es jetzt primäre Aufgabe des Senats, Flüchtlinge vernünftig unterzubringen und zügig durchs Asylverfahren zu führen. Der zweite Schritt ist ebenso wichtig: Menschen möglichst rasch integrieren, Startchancen geben, ihre Fähigkeiten und Berufserfahrung nutzen. Dieses Ziel ist nur zu erreichen, wenn man die Stadtgesellschaft mobilisiert, in der es eine staunenswert große Aufnahmebereitschaft gibt. Für ein solches Engagement aber müssen Hürden beseitigt werden. Der Zugang zu Sprachkursen muss leichter sein, der Schulbesuch von Minderjährigen rascher. Die Ämter haben auch erst vor Kurzem begonnen, schon beim Asylantrag nach der Berufsqualifikation zu fragen. Arbeit ist die beste Integration, hat Handwerkskammerpräsident Stephan Schwarz gerade gesagt. Er betont, wie sehr Betriebe daran interessiert sind, diese sehr motivierten und lernwilligen Menschen auszubilden oder einen Arbeitsplatz anzubieten – was die Rechtslage erschwert. Benötigt werden Ideen, wie Asylbewerber, die nach der Anerkennung die Erstunterkunft verlassen sollen, leichter Wohnraum finden. Dazu kann auch der umstrittene Vorschlag gehören, Menschen 20 Euro pro Tag zu zahlen, wenn sie einen Flüchtling als Untermieter aufnehmen – wenn Geschäftemacherei verhindert wird.
Die Stadt ist herausgefordert – durch weitere Containerdörfer oder Flüchtlinge, die ins leere Rathaus Wilmersdorf ziehen. Aber überfordert ist Berlin nicht. Damit das so bleibt, darf Willkommenskultur nicht nur ein Wort sein, sondern benötigt aktive Unterstützung. Der Senat hat sich dazu verpflichtet. Diepgen hat noch einen Rat für Müller parat: Helmut Schmidts größte Leistung in der Hamburger Sturmflut war, dass er sich damals einfach über Vorschriften hinwegsetzte.