Krieg in Syrien: Bekommt Aleppo Hilfe per Luftbrücke?
Aleppo und andere syrische Städte sind von jeder Versorgung abgeschnitten. Jetzt mehren sich im Westen Stimmen, die eine Luftbrücke fordern. Doch es gibt Bedenken.
Es gibt kaum noch Lebensmittel, die Vorräte sind aufgebraucht. Trinkwasser ist ebenfalls ein sehr rares Gut. Ganz zu schweigen von Medikamenten. All das benötigen jene Menschen dringend, die im belagerten Osten Aleppos seit Monaten von jeder Hilfe abgeschnitten sind. Nur: Alle Versuche, Kinder, Frauen und Männer mit dem Nötigsten zu versorgen, scheiterten bisher. Denn um Konvois in die nordsyrische Stadt zu bringen, braucht es eine Waffenruhe. Und entsprechende Sicherheitsgarantien. Die gibt es aber nach wie vor nicht.
Dabei wäre es den Vereinten Nationen (UN) eigenen Angaben zufolge möglich, innerhalb von zwei, drei Stunden Trucks ins mittlerweile weitgehend zerbombte Aleppo zu bringen. Das syrische Regime und sein russischer Verbündeter beharren jedoch darauf, dass zuerst alle „Terroristen“ die wenigen noch von Aufständischen gehaltenen Viertel verlassen. Erst dann sei man zu einer Feuerpause bereit. Selbst die jüngste Ankündigung von Russlands Außenminister Sergej Lawrow, die Kampfeinsätze würden vorübergehend eingestellt, blieb folgenlos. Für Aleppos Einwohner bedeutet dies: Ihre Lage bleibt dramatisch.
Parlamentarier machen Druck auf Regierungen
Gerade deshalb werden die Rufe lauter, die notleidenden Menschen mithilfe einer Luftbrücke zu unterstützen. In den vergangenen Wochen soll es auf verschiedenen politischen Ebenen Gespräche darüber gegeben haben, ob sogenannte Airdrops für eingekesselte Orte wie Aleppo machbar sind. Laut einem Bericht des „Guardian“ haben sich vor Kurzem hochrangige diplomatische Vertreter Großbritanniens und der USA getroffen, um das Für und Wider zu diskutieren. Auch in Frankreich und Deutschland soll es entsprechende Überlegungen geben.
Vor allem Parlamentarier machen sich immer mehr für eine Luftbrücke stark. So haben die Grüne Franzika Brantner und der CDU-Politiker Norbert Röttgen eine Online-Petition initiiert, in der sie neben Sanktionen gegen Russland eben auch Hilfe aus der Luft für die „seit Monaten Vergessenen und Verzweifelten“ fordern.
In Großbritannien haben gut 200 Abgeordnete einen offenen Brief veröffentlicht. Tenor: Wir müssen endlich etwas tun, bevor es zu spät ist. Deshalb sollte die Regierung trotz aller Bedenken eine Luftbrücke unterstützen. Mehr als 30 französische Parlamentsmitglieder haben sich ebenfalls dafür ausgesprochen, einen derartigen Einsatz vorzubereiten. Allerdings: Airdrops sind nach Einschätzung von Experten zwar machbar, aber eine gleichermaßen logistisch aufwändige, teure und gefährliche Methode, um viele Menschen zu versorgen. Gerade unter Kriegsbedingungen wie in Syrien.
Fallschirme mit GPS navigieren
Inzwischen werden dennoch verschiedene Möglichkeiten diskutiert. Zum Beispiel könnten in großer Höhe fliegende Transportflugzeuge Paletten abwerfen. Diese würden an Fallschirmen befestigt, die per GPS und Lenkantrieb navigiert werden. Damit soll sichergestellt werden, dass sie ihr Ziel erreichen. Die USA haben diese Technik in Afghanistan genutzt.
Eine andere Variante wäre, unbemannte Drohnen loszuschicken, an denen Hilfsgüter befestigt sind. Für diese beiden Vorschläge spricht, dass man einen militärischen Konflikt mit russischen und syrischen Kampfjets wohl vermeiden könnte. Genau das fürchten Vertreter der Streitkräfte und Politiker im Westen. Keiner will eine Konfrontation vor allem mit Moskau riskieren.
Doch bei großen Hilfsorganisationen wie dem Roten Kreuz oder dem UN-Welternährungsprogramm herrscht in Sachen Luftbrücke große Zurückhaltung. Übereinstimmend heißt es, man versuche immer alles, um Bedürftige zu erreichen. „Die Unterstützung aus der Luft ist aber immer die allerletzte Möglichkeit“, sagt etwa Christof Johnen, der fürs Deutsche Rote Kreuz die internationalen Einsätze leitet.
Aus Sicht der Helfer spricht einiges gegen Luftbrücken – von den immensen Kosten und die Gefahr eine militärischen Eskalation ganz abgesehen. Das fängt schon bei den Gegebenheiten in Syrien an. Für einen Abwurf von Hilfsgütern werden große Flächen gebraucht, auf denen die Paletten landen können. Viele abgeriegelte Orte im Bürgerkriegsland sind jedoch urbane Zentren. Dort gibt es nicht genügend Platz. Das gelte vor allem für Aleppo. Zudem werden Menschen am Boden benötigt, die die Waren sichern und dann verteilen. Doch dort ist man ungeschützt. Und auf Helfer wird in diesem Konflikt schon lange keine Rücksicht mehr genommen. Oft wird gezielt auf sie geschossen. Wie im September, als ein UN-Konvoi durch Raketen zerstört wurde.
Missachtung des Völkerrechts
Als ein weiteres Problem gilt die Menge der abgeworfenen Fracht – sie ist oft zu gering für den enormen Bedarf. Allein in Ost Aleppo sind vermutlich noch weit mehr als 200.000 Menschen eingeschlossen. Bei anderen abgeriegelten Regionen in Syrien kommt erschwerend hinzu, dass unklar ist, worauf die Menschen überhaupt angewiesen sind.
Aus diesen Gründen haben große Hilfsorganisationen Bedenken und setzten nach wie vor auf Lastwagen statt auf eine Luftbrücke. Nicht zuletzt auch, weil es zum verbrieften Völkerrecht gehört, Zivilisten in Not- und Kriegsgebieten mit Lebensnotwendigem zu versorgen. Und trotz der Missachtung aller Regeln wollen die Helfer weiter alle Kriegsparteien in die Pflicht nehmen. Für den Menschen in Aleppo zählt allerdings anderes. Sie wollen überleben.
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Christian Böhme