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Seit 100 Tagen im Weißen Haus: US-Präsident Joe Biden und First Lady Jill Biden.
© Nicholas Kamm/AFP

Interview zu 100 Tage Biden: „Beim Handel wartet die EU auf positive Signale der US-Regierung“

Die Chefin des Berliner Aspen Institutes Stormy Mildner über den Neuanfang in Washington und Stolpersteine auf dem Weg zu mehr transatlantischer Kooperation.

Stormy-Annika Mildner (45) leitet seit Jahresbeginn das Aspen Institute in Berlin. Zuvor verantwortete die Handelsexpertin die Abteilung Außenwirtschaftspolitik beim Bundesverband der Deutschen Industrie. 

Frau Mildner, Joe Biden ist nun seit 100 Tagen Präsident der USA. Wie beurteilen Sie seine bisherigen wirtschaftspolitischen Schritte?

Ich finde beeindruckend, was Biden bisher geleistet hat. Wie im Wahlkampf versprochen, konnte er wenige Wochen nach Amtsübernahme ein umfassendes Konjunkturpaket durch den Kongress bringen, wenn es ihm dabei auch nicht gelungen ist, den Mindestlohn anzuheben. Ein Minuspunkt ist sicherlich, dass das Paket entlang von Parteilinien verabschiedet wurde. Kein einziger Republikaner stimmte für das Gesetz. Ebenso beeindruckend ist Bidens Vorschlag zu Infrastrukturmaßnahmen. Dabei geht es um die Modernisierung der Wirtschaft, um Nachhaltigkeit und Zukunftsorientierung. Diese Woche folgte sein Vorschlag zu Sozialausgaben und Bildung, der nicht weniger ambitioniert ist. Offen ist, ob Biden, wie geplant, dies alles durch Steuererhöhungen finanzieren kann – und ob er dafür ausreichend Unterstützung im Kongress gewinnen kann. Schon beim Thema Infrastruktur hat sich deutlicher Widerstand bei den Republikanern formiert – dieser wird bei den vorgeschlagenen Sozialausgaben noch stärker sein

Unter anderem strebt er eine globale Unternehmenssteuer an, um auch jene Konzerne in die Pflicht zu nehmen, die wie Amazon kaum nationale Steuern zahlen. Ein erfolgversprechender Vorschlag

Ja, und wir sollten diese Impulse aufgreifen, in Abstimmung mit der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), wo bereits über eine Digitalsteuer diskutiert wurde. Die Verhandlungen waren unter der Trump-Administration zum Erliegen gekommen. Jetzt gibt es neue Hoffnung in Deutschland und der EU, dass die USA wirklich an den Verhandlungstisch zurückkehren.

[Dieses Interview erschien zuerst in dem Newsletter „Washington Weekly“ unserer USA-Korrespondentin Juliane Schäuble. Jeden Donnerstag die wichtigsten Entwicklungen aus Amerika direkt ins Postfach Hier geht es zur kostenlosen Anmeldung]

Wie bewerten Sie das Vorgehen in der Handelspolitik?

Hier würden sich EU und Deutschland positive Signale seitens der Biden-Administration wünschen. Sehr gut angekommen ist das Moratorium für die Strafzölle beim Streit um Flugzeugsubventionen für Airbus und Boeing. Gleichzeitig sind die Stahl- und Aluminiumzölle immer noch in Kraft – ein Hinweis darauf, dass auch Bidens handelspolitische Agenda protektionistische Aspekte enthalten wird. Besser geworden sind zwar der Umgangston und das Verhältnis zu den Partnern – Multilateralismus ist wieder ein positives Wort. Es bleibt aber viel zu tun, bis aus der Rhetorik auch ein echter Kurswechsel wird. Manche sprechen daher schon von einer „America First Light“-Politik. Das ist ein echter Stolperstein für die transatlantische Kooperation, weil es dazu führt, dass sich bei uns viele zurücklehnen und sagen: Naja, erstmal soll sich die Biden-Regierung bei den zentralen Konfliktfeldern bewegen.

Stormy-Annika Mildner leitet seit Jahresbeginn das Aspen Institute in Berlin.
Stormy-Annika Mildner leitet seit Jahresbeginn das Aspen Institute in Berlin.
© BDI

Was wäre notwendig?

Beispielsweise könnten die EU und USA enger beim Thema Technologien, gerade im Bereich Digitalisierung, zusammenarbeiten. Dabei geht es nicht allein um gemeinsame Forschungsprojekte, sondern auch um Standardsetzung. Der von der Europäischen Kommission im Dezember 2020 vorgeschlagene Transatlantische Handels- und Technologierat wäre ein Schritt in die richtige Richtung. Die EU und die USA könnten so ihre Regelsetzungsmacht in Hochtechnologiesektoren gegenüber China stärken. Dazu gehört auch eine engere Abstimmung in Bereichen wie Investitions- und Exportkontrolle sowie ein koordiniertes Vorgehen bei der Eindämmung von Cyberrisiken. Ein weiteres wichtiges Thema ist China. Hier müssen vor allem auch wir unsere Hausaufgaben machen. Die Biden-Administration erwartet zu Recht, dass wir härter gegen Chinas unfaire Handelspraktiken und Menschenrechtsverletzungen vorgehen. Ob ein Neustart der transatlantischen Beziehungen gelingen wird, bleibt letztlich abzuwarten. Der Image-Schaden aus den vergangenen Jahren ist immer noch groß: Gerade erst hat wieder eine Mehrheit der Europäer in einer Umfrage erklärt, man könne den Amerikanern nicht trauen – weil sie 2016 für Trump gestimmt hatten. Viele sagen: Auf Biden könnte ja wieder ein „neuer Trump“, vielleicht sogar aus der Trump-Familie selbst, folgen.

Was halten Sie von der These, dass die USA angesichts all der Probleme einfach noch nicht zur Handelspolitik, also zur Rücknahme der Strafzölle gekommen sind?

Der Blick ist natürlich im Moment nach innen gerichtet. Die Pandemie nimmt politisches Engagement und Kapital in Anspruch. Auf der anderen Seite hat die Biden-Administration die Stahlzölle bei den Vereinigten Arabischen Emiraten wieder eingesetzt – wie unter Trump mit dem Argument der nationalen Sicherheit. Dafür hatte sie Zeit. Dann müsste sie eigentlich auch Zeit dafür haben, solche Strafzölle gegenüber Ländern, mit denen sie eine wirkliche Sicherheitspartnerschaft haben, zurückzunehmen. Darum bin ich mir sicher: Es steckt innenpolitisches Kalkül dahinter, dass Washington sich hier noch nicht bewegt. Die eigene Klientel, vor allem die Gewerkschaften, machen der demokratischen US-Regierung in dieser Frage Druck. Zudem wird die Biden-Administration diese Zölle vielleicht als Druckmittel benutzen wollen, um mehr Kooperation im Umgang mit China und beim Thema Menschenrechte zu bekommen.

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Auch der Streit um Nord Stream 2 belastet die Beziehungen. Welche Chancen gibt es da noch für einen Kompromiss?

Bei diesem Punkt bin ich tatsächlich etwas ratlos. Letztendlich wird es – trotz ähnlicher Werte und Interessen – immer Konfliktpunkte geben, ob im Verhältnis zu Russland oder auch zu China. Denn wir haben einen unterschiedlichen Grad an wirtschaftlicher Verflechtung und gegenseitiger Abhängigkeit und verschiedene Risikoperzeptionen. Gerade bei China zeigt sich das: Die USA fühlen sich als Hegemonialmacht herausgefordert, China stellt für sie ein erhebliches Sicherheitsrisiko dar. Ihnen geht es letztendlich darum, wer zukünftig die Regeln für die Welt bestimmen wird, auch in Wirtschaftsfragen. Die EU war nie eine Hegemonialmacht und hat auch keinen Anspruch darauf. Genau deswegen ist es so wichtig, dass wir uns eben nicht nur auf Konfliktthemen konzentrieren, sondern auch auf die positiven Kooperationsmöglichkeiten. Diese sehe ich beispielsweise bei der Förderung gemeinsamer Forschungsprojekte im Bereich Gesundheit, aber auch beim Klimaschutz und nicht zuletzt bei der Frage, wie wir unsere Gesellschaften resilienter, also weniger krisenanfällig, machen können. Sowohl die USA als auch die EU analysieren zurzeit, wo Verwundbarkeiten in Wertschöpfungsketten liegen. Auch darüber wäre ein Austausch mehr als lohnenswert angesichts des hohen Verflechtungsgrads unserer Volkswirtschaften.  

Hat ein größeres Handelsabkommen zwischen Europa und Amerika noch Realisierungschancen?

Das bezweifle ich. Auf beiden Seiten des Atlantiks besteht kein Appetit darauf. Ich würde dazu auch nicht raten, die Gefahr, dass wir damit scheitern, ist zu groß. Das haben wir zu Zeiten von Barack Obama ja schon gesehen, als das Verhältnis zwischen Washington und Berlin noch ein ganz anderes war. Die Deutschen liebten Obama, trotzdem hassten sie TTIP. Diese Konflikte sind nicht verschwunden, Stichwort Chlorhuhn, Hormonfleisch, genmanipulierte Nahrungsmittel. Sinnvoller wäre ein Prozess der kleineren Schritte, die durchaus ambitioniert sein können. Klar ist: Ein starker transatlantischer Wirtschaftsraum ist im Interesse beider Partner, denn er schafft Wirtschaftswachstum, Arbeitsplätze und Wohlstand.

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