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Der fremdenfeindlichen Thügida-Ableger "Wir lieben Ostthüringen" demonstriert Anfang November in Rudolstadt "gegen die Überfremdung unserer Heimat"
© Michael Reichel/dpa

Von Körperverletzung bis Hitlergruß: Bei Pegida und Co. grassiert die Gewalt

Pegida und ihre Ableger sind nicht friedlich. Die Bundesregierung hat in einem Jahr 940 Straftaten bei der Gida-Bewegung registriert, davon 255 im Bereich "Politisch motivierte Kriminalität rechts".

Die Liste der Delikte ist lang. Sie reicht von Körperverletzung über Beleidigung und Bedrohung bis zur Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, wozu etwa auch das Zeigen des Hitlergrußes zählt. 940 Straftaten zählten die Behörden bei der Gida-Bewegung seit Oktober 2014 - der ersten Pegida-Demonstration in Dresden. Das geht aus einer dem Tagesspiegel vorliegenden Antwort der Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage der Linken-Bundestagsfraktion hervor. 255 werden dem Bereich "Politisch motivierte Kriminalität rechts" zugerechnet. Die Regierung selbst gibt zu, dass die Darstellung der Straftaten "keinen Anspruch auf Vollständigkeit" erhebe.

In der Statistik berücksichtigt sind Pegida am Stammsitz Dresden sowie deren offizielle und inoffizielle Ableger. Mehr als ein Dutzend Paragraphen des Strafgesetzbuches stehen auf der Delikte-Liste, etwa auch Landfriedensbruch, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, die Verunglimpfung des Bundespräsidenten sowie die öffentliche Aufforderung zu Straftaten. Daneben wurde mehrfach gegen das Sprengstoffgesetz und das Waffengesetz verstoßen. In Dresden, wo Pegida nach wie vor den größten Zulauf hat, wurden besonders häufig Verstöße gegen das Versammlungsgesetz verzeichnet.

Regionale Schwerpunkte in der Statistik zu Straf- und Gewalttaten der Gida-Bewegung gab es beim Leipziger Pegida-Ableger Legida, bei den Aufmärschen der Sügida in Suhl sowie von Bärgida in Berlin. Aber auch westdeutsche Städte werden immer wieder erwähnt, vor allem in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen, zum Beispiel Braunschweig, Hannover, Düsseldorf, Köln, Duisburg und Wuppertal. Der "Kriminalpolizeiliche Meldedienst" erfasst laut Regierung keine Berufsgruppen und auch keine Opfermerkmale wie "Flüchtling", "Journalist" oder "Politiker" - die von der Linken dazu erbetene detaillierte Aufstellung gab die Fallzahlendatei des Bundeskriminalamtes deshalb nicht her.

"Behörden in Sachsen haben erhebliches Wahrnehmungsdefizit"

Die Linken-Bundestagsabgeordnete Martina Renner, die die Anfrage gestellt hat, sagte dem Tagesspiegel, "noch mehr als sonst" würden die offiziellen Zahlen von Bundesregierung und Strafverfolgungsbehörden "nur einen Ausschnitt der Realität" spiegeln. Dies sei nicht etwa eine Folge "statistischer Fehler". Ursache dafür sei vor allem, dass beispielsweise in Dresden weder Polizei noch Justiz einschlägige Straftaten von Pegida-Anhängern ahnden oder überhaupt registrieren würden. Für Dresden seien ganze vier Fälle aufgeführt. Alleine die zahlreiche Angriffe auf Gegendemonstranten bei der Kundgebung im Oktober am ersten Jahrestag von Pegida, die sich alle nicht in der Statistik wiederfänden, seien ein deutlicher Beleg dafür.

"Übergriffe auf Journalisten, Gegendemonstranten oder migrantisch aussehende Menschen, die auch nur zufällig in der Nähe solcher Veranstaltungen sind, werden komplett unterschlagen", sagte Renner weiter. Sie verwies unter anderem auf einen Angriff auf eine Gruppe migrantischer Jugendlicher im Anschluss an eine Pegida-Demonstration kurz vor Weihnachten vergangenen Jahres. Eine Polizistin, die zunächst die Anzeigenaufnahme mit kruder Begründung abgelehnt habe, müsse sich deshalb disziplinarisch verantworten. Schüler, die von der Veranstaltung eines Theatertreffens kamen, seien von Pegida-Anhängern bedroht und beleidigt worden. Die Linken-Politikerin sagte: "Zweifellos haben die Sicherheitsbehörden und Strafverfolger in Sachsen und darüber hinaus ein erhebliches Wahrnehmungsdefizit."

Klar ist: Ein Teil der Gida-Demonstrationen steht unter dem Einfluss von Rechtsextremisten. Nach Informationen des Bundesamtes für Verfassungsschutz sind unter den anmeldenden Personen auch Personen des rechtsextremistischen Spektrums, die Parteien wie NPD, Die Rechte, Pro NRW oder der neonazistischen Szene angehören, wie es in der Regierungsantwort heißt.

Auf die Frage, bei welchen Aufmärschen und Kundgebungen eine rechtsextreme Ausrichtung festgestellt worden sei, verweist die Regierung auf frühere Antworten auf parlamentarische Anfragen. Im September hatte die Bundesregierung auf einen Fragenkatalog der Grünen zum Verfassungsschutzbericht 2014 unter anderem erklärt, bei einer Reihe von Kundgebungen der Pegida-Bewegung sei eine "rechtsextremistische Einflussnahme oder Steuerung in unterschiedlicher Ausprägung erkennbar" gewesen. Allerdings würden die Beteiligung von Rechtsextremisten an Organisationsteams beziehungsweise deren Beteiligung als Redner häufig wechseln, jede Veranstaltung müsse einer "Einzelfallprüfung" unterzogen werden. Weiter hieß es: "Eine Reihe von Pegida-Veranstaltungen ist als ,rechtsextremistisch gesteuert' oder ,rechtsextremistisch beeinflusst' zu beurteilen."

In einer der Linksfraktion Anfang November übermittelten Antwort zu rechtsextremen Aufmärschen im dritten Quartal 2015 werden auch zahlreiche Gida-Kundgebungen erwähnt, bei denen eine "überwiegende rechtsextremistische Einflussnahme beziehungsweise Steuerung erkennbar" gewesen sei. Dies betraf demnach Kundgebungen von Magida in Magdeburg, von Thügida in Erfurt, Eisenberg, Nordhausen, Suhl, Schleusingen, Ronneburg und Schmalkalden, von Dügida in Düsseldorf sowie von Bärgida in Berlin.

Die Frage, ob wegen extremistischer Bestrebungen die gesamte Pegida-Bewegung vom Verfassungsschutz überwacht werden sollte, ist umstritten. Der SPD-Innenpolitiker Burkhard Lischka hat das erst kürzlich gefordert, die gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus engagierte Amadeu-Antonio-Stiftung ist hingegen skeptisch. Im Oktober sagte der Chef des Verfassungsschutzes in Sachsen, Gordian Meyer-Plath dem Tagesspiegel, es gebe "aktuell" keinen "generellen Einfluss" von Rechtsextremisten auf die Gida-Bewegung in Sachsen. Allerdings sei zuletzt bei Pegida wiederholt auf Vokabular zurückgegriffen worden, das eine "hohe Anschlussfähigkeit in Richtung rechtsextremistischer Szene aufweist".

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