Merkel gegen Schulz: Beeinflusst das TV-Duell die Wähler?
Jeder zweite Wähler ist noch unentschlossen. Ist das die Chance für den Herausforderer? Aber: Es reicht nicht, keine Fehler zu machen.
Vielleicht könnten sich Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihr Herausforderer SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz ja mal ein Beispiel an ihren französischen oder amerikanischen Kollegen nehmen. Es würde zumindest den Unterhaltungsfaktor des TV-Duells erhöhen, das heute Abend voraussichtlich mehr als 20 Millionen Zuschauer vor die Fernsehbildschirme locken wird.
Es ist aber nur schwer vorstellbar, dass Schulz Merkel vorwerfen wird, sie sei „der Kandidat der ungezügelten Globalisierung, der Uberisierung, der Prekarisierung und des Kriegs aller gegen alle“. All das sagte Marine Le Pen ihrem Kontrahenten Emmanuel Macron im französischen TV-Duell ins Gesicht kurz vor der zweiten und entscheidenden Stichwahl, die Macron dann klar für sich entscheiden konnte. Eher unwahrscheinlich ist auch, dass Schulz die Kanzlerin als „so eine scheußliche Frau“ bezeichnen wird, fordert, sie hinter Gitter zu bringen, oder gar droht, dass Wahlergebnis nur dann anzuerkennen, wenn er gewinnt, so wie es Donald Trump in einem der drei Fernsehgefechte mit Hillary Clinton tat, ohne damit seinen späteren Wahlsieg verhindern zu können.
Auch wenn es dramaturgisch reizvoll wäre, ist es aus wissenschaftlicher Sicht den Kandidaten in keiner Weise zu empfehlen. „Persönlich diffamierende Angriffe akzeptiert der deutsche Wähler überhaupt nicht“, sagt der Mainzer Politikwissenschaftler Thorsten Faas, der alle bisherigen TV-Duelle bei den Bundestagswahlen seit 2002 wissenschaftlich analysiert hat. Auch heute wird wieder eine bunt gemischte Gruppe von 250 Probanden unterschiedlichen Alters und verschiedenster politischer Präferenzen unter Faas’ Aufsicht die Auseinandersetzung zwischen Merkel und Schulz verfolgen. Die Probanden müssen unmittelbar vor der Sendung und direkt danach einen Fragebogen ausfüllen und können während der Debatte mit einem Drehregler ihre Zustimmung oder Ablehnung zum gerade Gesagten ausdrücken. So kann Faas sekundengenau und fast in Echtzeit analysieren, was beim Wähler ankommt und inwiefern sich die Präferenzen durch das Duell möglicherweise verschieben.
Die Frage, die vor jedem TV-Duell im Raum steht, kann aber auch Thorsten Faas nicht abschließend beantworten: Kann das TV-Duell den Ausgang der Bundestagswahl entscheidend beeinflussen? „Es ist auf jeden Fall das wichtigste Einzelereignis im Wahlkampf, auch dieses Jahr. Wissenschaftlich nachweisbar ist, dass es zu einer höheren Wahlbeteiligung bei denen führt, die es gesehen haben“, sagt Faas. Das Duell ist gleichzeitig der Startschuss für die heiße Phase des Wahlkampfs. Durch die große Reichweite werden auch die politisch weniger interessierten Bürger erreicht, an denen der Wahlkampf bisher vorbeigegangen ist.
Es kommt selten zu Verschiebungen der Parteipräferenz
Für die Kandidaten geht es vor allem um die Mobilisierung der eigenen Anhänger. Die werden durch ein gutes Abschneiden ihres Kandidaten motiviert, auch tatsächlich am 24. September an die Wahlurne zu gehen. Zu Verschiebungen bei der Parteipräferenz kommt es dagegen eher selten. „Dazu müsste ein Kandidat deutlich besser sein als der andere. Grobe Fehler haben wir aber bislang in Duellen in Deutschland nicht gesehen“, sagt Faas. Das bestätigen auch die Zahlen der Forschungsgruppe Wahlen. „Nach den vergangenen beiden Debatten 2009 und 2013 zeigten sich in unseren Umfragen kaum Unterschiede bei der Sonntagsfrage“, sagt Andrea Wolf, Geschäftsführerin des Wahlforschungsinstituts, das für das ZDF die Wahlprognosen und -hochrechnungen erstellt. Sowohl die Union als auch die SPD verharrten 2013 nach dem Duell in den Umfragen bei ihren Werten von 41 Prozent und 26 Prozent. Bei der Kanzlerfrage sah es kaum anders aus. Merkel verlor einen Prozentpunkt, Peer Steinbrück aber auch, sodass der Vorsprung der Kanzlerin auch nach dem Duell weiterhin komfortable 29 Prozentpunkte betrug.
Es gibt Chancen für Schulz
Trotzdem sieht zumindest Thorsten Faas noch eine Chance für Martin Schulz, auch weil laut einer Allensbach-Umfrage noch mehr als 50 Prozent der Wähler unentschlossen sind, wo sie ihr Kreuzchen in der Wahlkabine machen werden. „Bei denen kann er punkten, wenn es ihm gelingt, sein Oberthema soziale Gerechtigkeit mit Alltagserfahrungen der Menschen in Verbindung zu bringen“, sagt Faas. Hinzu kommt, dass der Herausforderer einen strukturellen Vorteil in der Duellsituation hat. Sein Image hat sich beim Zuschauer noch nicht so verfestigt und er kann sich auf Augenhöhe mit der Amtsinhaberin vor großem Publikum präsentieren.
Dass nicht jeder so einen Vorteil zu nutzen versteht, weiß man spätestens seit 2005, als sich Merkel als in den Umfragen weit vorne liegende Herausforderin vom damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder auseinandernehmen ließ. Geschickt platzierte Schröder seine Kritik am radikalen CDU-Steuerkonzept des Verfassungsrechtlers Paul Kirchhof, den Schröder immer nur als den „Professor aus Heidelberg“ titulierte. Dass er dessen Konzept sozial ungerecht fand, musste er kaum noch dazusagen. Es setzte sich in den Köpfen der Zuschauer fast von allein fest und startete Schröders Aufholjagd, die Merkels Kanzlerschaft beinahe noch verhindert hätte.
Solch eine Schrödersche Brücke von seinem Programm in die Köpfe der Wähler müsste auch Schulz bauen, um es noch mal spannend zu machen. „Dann kann er ein Momentum kreieren, das ihn auf der Zielgerade des Wahlkampfes trägt“, sagt Faas.
Einen Fehler, den die Kandidaten auf keinen Fall machen dürfen, ist, sich in Details zu verlieren. „Wer die Zuschauer mit Zahlen und Fakten erschlägt, verliert sofort deren Aufmerksamkeit“, hat Faas herausgefunden. Ein solches Risiko ist bei Schulz höher, weil der Herausforderer nach 23 Jahren in Brüssel unbedingt beweisen will, wie gut er sich innerhalb kürzester Zeit in die deutsche Politik eingearbeitet hat.
Die Glaubwürdigkeit ist wichtig
Doch Sachverstand demonstriert man nicht durch das Referieren der einzelnen Spiegelstriche des eigenen Rentenkonzepts, sagen die Experten. „Als kompetent wird eingestuft, wer in allgemein verständlicher Sprache seine politischen Positionen vortragen kann“, sagt Christina Holtz-Bacha, Kommunikationswissenschaftlerin an der Universität Erlangen-Nürnberg. Noch wichtiger ist den Zuschauern aber noch ein anderer Aspekt: „Die für die Befragten wichtigste Eigenschaft eines Politikers ist seine Glaubwürdigkeit“, sagt Andrea Wolf von der Forschungsgruppe Wahlen.
Manchmal ist es aber auch absurd, worauf die Aufmerksamkeit nach den Duellen gelenkt wird und was in Erinnerung bleibt. 2002 war es ein großes Thema, dass Schröder und sein Herausforderer Edmund Stoiber fast identische Krawatten trugen. 2013 war es dann die „Schlandkette“ der Kanzlerin, eine Kette in den Deutschlandfarben an Merkels Hals.
Einig sind sich die Experten darin, dass sich die Relevanz des Duells durchaus noch steigern ließe. „Bei den Duellen in den USA gibt es nur einen Moderator, was die Debatten wesentlich flüssiger macht“, sagt Faas. Auch härteres Nachfragen sei dann einfacher. Christina Holtz-Bacha ist überzeugt, dass ein Termin kurz vor der Wahl den Einfluss des Duells auf das Wahlergebnis steigerte.
Ganz neu wäre das für deutsche Fernsehwahlkämpfe gar nicht. So trafen sich in den siebziger Jahren in der Sendung „Drei Tage vor der Wahl“ die Spitzenkandidaten der im Bundestag vertretenen Parteien zur Diskussion, was auch dem Verhältniswahlrecht in Deutschland besser entspricht als die heutigen Duelle. Beginn ebenfalls um 20:15 Uhr, Ende offen. Im Jahr 1976 dauert die hitzige Auseinandersetzung zwischen Kanzler Helmut Schmidt, CDU-Kanzlerkandidat Helmut Kohl, CSU-Chef Franz-Josef Strauß und dem FDP-Vorsitzenden Hans-Dietrich Genscher fast vier Stunden, wofür sich die Moderatoren immer wieder beim Publikum entschuldigten. Dem Publikum scheint es nicht auszumachen, die Einschaltquoten liegen auch mangels Alternative bei 54 Prozent, obwohl es zwischen den Herren im Studio sehr emotional zuging, wenn beispielsweise Strauß zu Schmidt sagte: „Manchmal habe ich ja wirklich Sorge um ihren Zustand.“
In den modernen Duell-Zeiten funktionieren nicht mal mehr Emotionen liebevoller Art. Als Schröder 2005 in der Sendung seiner Frau eine Liebeserklärung machte, zeigte das bei Faas’ Probanden überhaupt keine Wirkung. Angesichts Ehe Nummer 4 vielleicht auch nur ein Fall mangelnder Glaubwürdigkeit seitens Schröders.