TV-Duell: Staatsfrau Merkel trifft auf Zupacker Schulz
Es geht um mehr als die zwei, es geht um Millionen. Und die werden sich ein Bild machen von Angela Merkel und Martin Schulz. Vielleicht ein neues.
Wer wissen will, was Sache ist, und wer wirklich noch mehr wissen will, nämlich wer da an der Spitze der beiden größeren Parteien steht – der wird das TV-Duell schauen. Schauen müssen. Denn nicht jeder oder jede wird Gelegenheit haben, die Spitzenkandidaten im Wahlkampf zu treffen; und die virtuelle Wirklichkeit, zum Beispiel per Blog, ersetzt für eine große Mehrheit in unserer gealterten Gesellschaft eben doch nicht die Begegnung per Fernsehen. Denn das ist für die ja fast wie zu Hause.
Die Hälfte der 61,5 Millionen Wahlberechtigten also will am heutigen Sonntagabend einschalten, und jeder Fünfte macht seine Wahlentscheidung vom Ausgang abhängig. Wenn das so kommt, wären es doppelt so viele wie in den vorangegangenen Duellen der Jahre 2009 und 2013. Darum ist es so wichtig.
Zuspitzung kann die Wende bringen
Und deshalb klingt es dann in seiner Zuspitzung auf zwei Politiker auch schon mehr nach Duell, als es aus den Äußerungen mindestens der einen Duellantin herauszuhören war: Angela Merkel. Der Duellant, Martin Schulz, hat ja längst seinen Ton verschärft, gleichsam als übe er ihn schon ein.
Es geht inzwischen auch um viel. Mindestens für den einen. Denn die Gesamtlage ist, wie sie immer ist für die Union in den Merkel-Jahren der Republik: komfortabel. Deren Vorsprung ist mal größer, mal kleiner, aber stetig. Und seit Längerem stets ausreichend, dass gegen CDU und CSU keine Koalition gebildet werden kann. Nur die Zuspitzung könnte, ganz vielleicht, eine Wende bringen: sachlich- inhaltlich und persönlich. Da geht es im Duell zwar nicht wie weiland ums eigene Leben, aber schon um das, was die vielen, vielen Bürger, die Zeugen sein werden, aus ihrem Leben machen wollen. Und wem sie eher zutrauen, das am besten zu verwirklichen.
Meisterin der Vermeidung
Die Bundeskanzlerin wird zuverlässig so sein, wie sie ist. Sie ist seit je eine Meisterin der Vermeidung, auch der einer direkten Konfrontation, ob im Parlament – was die große Öffentlichkeit so gut wie nie wahrnimmt – oder in Interviews oder Pressekonferenzen. Dass sie der Konfrontation, der mit ihren Zielen und ihrer Bilanz, jetzt zugestimmt hat, diesem einen Duell, ist dabei nur das Ergebnis der sorgsamen Vorarbeit ihrer Sekundanten. Denn die haben mit harten Bandagen, wie öffentlich-rechtliche Unterhändler berichten, Umstände geschaffen, die es der Kanzlerin erlauben, alle ihre Erfahrungen in der Arena zu nutzen. Nicht zuletzt die aus vorangegangenen Duellen.
Und wer Merkel kennt, der weiß: Sie ist ein System, das nicht vergisst. Es lernt aus den eigenen und den Fehlern anderer. Besonders wenn’s der Machterhaltung dient, die Merkel 2005 gegen Gerhard Schröder mühselig genug errungen hat. Da betrug der Unionsvorsprung vor der SPD ungefähr um diese Zeit im Wahlkampf, also wenige Wochen vor dem Wahltermin, noch uneinholbar scheinende 20 Prozentpunkte – und dann kam Schröder auf. Um ein Haar hätte er noch gewonnen. 2002 hatte Schröder gegen Edmund Stoiber auch gewonnen, weil der den Fehler machte, zwei Duellen zuzustimmen.
Schulz in der Beweispflicht
Und jetzt Martin Schulz, der heilige Martin der SPD aus der Frühzeit im Wahlkampf, eloquent und authentisch, so europäisch wie deutsch. Ein Kämpfer, sein Leben lang. Zur Zuspitzung begabt, auch zur Übertreibung. Darin zuerst kann sich das Duellhafte offenbaren: in den Charakteren. So zupackend, wie sich Schulz präsentieren muss, so staatsfrauisch kann Merkel parieren. Jedem Angriff folgt eine Ausweichbewegung, dann läuft er ins Leere, wo niemand ist, der sich fassen lässt. Merkels Strategie der Defensive: Sie muss nichts beweisen, sie ist im Amt, die Deutschen kennen sie. Schulz dagegen ist in der Beweispflicht, die Deutschen lernen ihn jetzt erst kennen. Nur die EU-Europäer haben ihn schon kennengelernt – zu denen Merkel zählt. Sie hat Schulz auf der großen Bühne studieren können.
Die vorangegangenen Duelle, das 2009 gegen Frank-Walter Steinmeier und das 2013 gegen Peer Steinbrück, haben gelehrt: Inhaltlichkeit will gegen Merkel wohldosiert sein. Gut überlegt, strukturiert, konturiert reicht nicht. Sonst hätten Steinmeier und Steinbrück den Stein ins Rollen gebracht. Stattdessen erschienen sie wie Sisyphos. Mochte die Kanzlerin jedes Mal in der Defensive sein – zu viel Aggressivität wirkte abschreckend machohaft, zu wenig, nicht attraktiv genug für einen Wechsel. Das Modell Schröder gab es nur einmal, das Modell Merkel männlich ist keine Alternative. Und Schröder war es, der das damals schon ahnte und vorhersagte: wie schwer sich die emanzipierte SPD mit der Zuspitzung im Wahlkampf gegen eine Frau tun würde. Zumal gegen diese Frau.
Die Alternative aufzeigen
Laut Umfragen hat Merkel das Duell schon wieder gewonnen, 64 Prozent glauben das. Aber genau darin liegt ihre Bürde und Schulz’ Chance: Es kann nur besser werden. Wenn er eine Alternative ist. Seine Persönlichkeit zeigt und seine Inhalte, und worin er anders ist. Wie er sein Wort von der Gerechtigkeit versteht. Wenn er es durchbuchstabiert in einer Weise, dass es eine Wucht wird. Bürgerversicherung, Steuern, Bildung, der Pflegenotstand – das sind Themen, über die eine Auseinandersetzung sich lohnt. Kurz: Es geht um mehr als die zwei.