TV-Duell zur Bundestagswahl: Die Herausforderer
Kanzlerin und Kandidat treffen am Sonntag aufeinander. Vier Moderatoren werden versuchen, ihnen mehr als nur Wahlkampffloskeln zu entlocken. Was erwartet die Zuschauer?
Zwei Spitzenkandidaten, vier Spitzenmoderaten – das erste und einzige „TV-Duell“ am Sonntagabend, gleichzeitig übertragen von vier großen Fernsehsendern (ARD, ZDF, RTL, Sat1, Sonntag, 20.15 Uhr) ist das mediale Großereignis des Bundestagswahlkampfes, und an diesem Wochenende sowieso. Das 90minütige direkte Aufeinandertreffen von Angela Merkel (CDU) und Martin Schulz (SPD) soll unentschiedene Wähler mit guten Antworten und Argumenten vielleicht doch noch zum Urnengang mobilisieren. Im Vorfeld des „TV-Duells“ hatte es allerdings viel Kritik an Konzept und Procedere gegeben, auch in Richtung Fernsehsender und Kanzleramt.
Was sind die Regeln?
Die Moderatoren (Maybrit Illner, Peter Kloeppel, Sandra Maischberger, Claus Strunz) werden die beiden Kandidaten abwechselnd befragen. Nach Losentscheid geht die erste Frage an Martin Schulz, die letzte an Angela Merkel. Antworten sollten die Länge von 60 bis 90 Sekunden nicht überschreiten, sagte ZDF-Chefredakteur Peter Frey am Freitag bei der Pressekonferenz in Berlin-Adlershof. Zuschauer, Moderatoren und beide Politiker haben die Redezeitkonten im Blick. Die Konten sollen zum Ende angeglichen werden. Es werde keine Zwischeneinblendungen von Umfragen geben, so Sat1-Nachrichtenchef Hans-Peter Hagemes. Keine Spielereien, das Duell solle sauber bleiben.
Was erwarten die Moderatoren?
Zwei Frauen, zwei Männer, vier Sender. Maybrit Illner (ZDF) moderiert bereits das fünfte Duell: „Es ist das einzige direkte Aufeinandertreffen der zwei Kandidaten. Dass wir Journalisten das gern anders gehabt hätten, ist nicht neu. Wir werden versuchen, das Beste daraus zu machen. Beide Kontrahenten wissen: Jetzt gilt’s. Die Sendung wird die Wahl nicht entscheiden, aber beeinflussen. Überraschungen sind in jeder Hinsicht möglich. Und da es kein ,Rückspiel’ gibt, können Niederlagen nicht mehr gedreht werden.“ Peter Kloeppel (RTL) hat seit der Premiere 2002 alle „TV-Duelle“ mit-moderiert: „Angela Merkel ist nach zwölf Jahren als Kanzlerin gestählt im Umgang mit auch unbequemen Fragen von Journalisten. Sie lässt sich nicht leicht provozieren. Martin Schulz musste sich in Brüssel und Straßburg mit vielen internationalen Journalisten über komplizierte Themen austauschen – so gesehen ist er auch mit allen Wassern gewaschen.“ Kloeppel geht es vor allem darum, dass die zwei sich miteinander duellieren. „Wir Journalisten stehen nicht im Mittelpunkt, müssen aber das Gespräch lenken und die Unterschiede zwischen beiden herausarbeiten.“ Sandra Maischberger (ARD) hat Premiere als „TV-Duell“-Moderatorin. Zu ihren Erwartungen: „Einerseits kennen sich beide lange und haben sich in der Vergangenheit durchaus geschätzt, andererseits können sie nicht schon vor der Wahl Große Koalition sein. Also, irgendwas zwischen Respekt und Angriff.“ Premiere auch für Claus Strunz (Sat1). Er sieht „nach Lage der Dinge Martin Schulz’ letzte Chance, den Kampf ums Kanzleramt doch noch zu gewinnen. Er wird attackieren müssen – wie ein Boxer, der Weltmeister werden will. Die Kanzlerin hat schon gewonnen, wenn es ihr gelingt, gut über die Runden zu kommen. Spannend! Entscheidend ist, dass wir als Moderatoren Angela Merkel und Martin Schulz mit Floskeln oder Redebausteinen aus ihren Wahlkampfauftritten nicht allzu oft durchkommen lassen. Ich selbst habe mich auch noch nicht entschieden, wem ich meine Stimme gebe. Aus dieser Perspektive versuche ich zu fragen: neugierig und zielorientiert.“
Was sind die großen Themen?
Es gibt vier mit den Beteiligten abgesprochene Themenblöcke: Migration, Außenpolitik, Soziale Gerechtigkeit, Innere Sicherheit. Mehr Informationen haben die Parteien nicht, inhaltlich gebe es keinerlei Absprachen. Die Konzentration auf diese vier Blöcke ließe, so Illner, auch durchaus Raum für so wichtige Groß-Themen wie Bildung.
Wieso gibt es nur ein Duell?
Ex-ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender hatte Angela Merkel und ihrem Sprecher Steffen Seibert vorgeworfen, die Bedingungen für das „TV-Duell“ mit Herausforderer Martin Schulz arrogant und kompromisslos verhandelt zu haben. Das Kanzleramt wollte nur ein Duell (nicht zwei, wie schon mal 2002) oder gar keins. Als TV-Format sei das Duell eine „Missgeburt“. Der Deutsche Journalisten-Verband hatte gefordert, unter den Umständen auf das Duell zu verzichten. Von „Korsett“ statt „Konzept“ sprach Medienwissenschaftler Bernd Gäbler. Zur Wahrheit gehöre auch, dass es keinen sachlichen Grund für vier ModeratorInnen gibt, sagt Friedrich Küppersbusch. „Zweifelt ernstlich jemand daran, dass Maischberger und Klöppel das Ding allein nach Hause bringen würden ? Oder Illner und Strunz?“ Die Sender verweisen auch auf das große Zuschauerinteresse. Laut Forsa-Umfrage, so ein RTL-Sprecher, wollen 48 Prozent der Befragten das „TV-Duell“ im Fernsehen verfolgen. Davon sagen 22 Prozent, dass sie ihre Wahlentscheidung vom Ausgang des Duells abhängig machen. Für Peter Frey stehen die Sender in der Pflicht, so ein „TV-Duell“ zu machen, auch als Dienstleistung für den Zuschauer. Das sei keine Erpressung. „Ein Duell ist besser als kein Duell.“ Man rechne für den Sonntagabend aufgrund der Umfragen mit rund 20 Millionen Zuschauern. 2013 beim Duell Merkel gegen Steinbrück waren es insgesamt 17,7 Millionen. Und was das Thema etwaige Langeweile, Erstarrung in Routine betrifft: Beide Parteien hätten sich im Vorfeld durchaus mehr Interaktion zwischen den beiden Politikern gewünscht. Auch direkte Reaktionen, Aufeinandereingehen seien möglich. Wenn es nicht zündet, gebe es immer das klassische Mittel der Nachfrage, so Strunz. Auf Nachfrage der Journalisten ließ der Sat1-Mann durchblicken, dass er dann wohl auch eine „Geheimfrage“ in petto hätte.
Wie groß ist der (mediale) Aufwand in und um das Studio Adlershof?
Die Sicherheitsvorkehrungen wurden noch einmal deutlich verschärft. Es gibt Hochsicherheitszonen, mehr Personal, Polizei, BKA, Hamburger Gitter, wenn die beiden Kandidaten Sonntagnachmittags im Studio Adlershof vorfahren. Das Aufeinandertreffen findet im 635 Quadratmeter großen mintgrünen Studio B statt, acht Kameras kommen bei der Übertragung zum Einsatz. Kein Studiopublikum, Zutritt haben nur Personen, die unmittelbar mit der Produktion betraut sind. Mehr Trubel gibt es im Pressezentrum nebenan. Im 2500 Quadratmeter großen Studio G werden 750 Gäste erwartet, Politiker, Polit-Berater, Prominente wie Thomas Gottschalk und 350 Journalisten aus dem In- und Ausland, die mit W-Lan ihre Berichte in die Redaktionen tickern. Gleich im Anschluss diskutiert aus Adlershof eine Runde bei „Anne Will“ (ARD) unter anderem mit Guttenberg und Gottschalk über Sieger und Verlierer beim „TV-Duell“, Marietta Slomka führt im ZDF vor Ort durch ein ausgedehntes „heute-journal“.
Kann das „TV-Duell“ dem Herausforderer wirklich noch helfen?
Es wird sehr schwer. Wenige Tage vor dem „TV-Duell“ sind die Zustimmungswerte für SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz gesunken. Im aktuellen Politbarometer von Tagesspiegel und ZDF würden nur noch 28 Prozent der Befragten für den langjährigen EU-Politiker stimmen, wenn der Kanzler direkt gewählt werden könnte. Das entspricht einem Minus von sechs Prozentpunkten im Vergleich zur Erhebung in der Vorwoche. Merkel konnte ihre Zustimmungswerte dagegen leicht steigern, sie kommt jetzt auf 57 Prozent. In der Sonntagsfrage bleibt der Vorsprung der Union groß. 39 Prozent würden für die Union stimmen, wenn die Bundestagswahl am Wochenende anstehen würde. Die SPD könnte hingegen nur mit 22 Prozent rechnen. Die FDP verbesserte sich auf zehn Prozent. Die AfD verlor einen Punkt und liegt aktuell wie die Grünen bei acht Prozent. Die Linke kommt auf neun Prozent. Wahlforscher Matthias Jung rechnet allerdings nicht damit, dass das Fernseh-Duell zu wesentlichen Veränderungen des Wählerverhaltens führt. „Frühere Duelle haben gezeigt, dass ein Großteil der Zuschauer bereits Präferenzen für den einen oder anderen Kandidaten hat und die Diskussion sehr selektiv wahrnimmt. Er sieht sich durch das, was er hört, eher bestärkt.“
Und wo bleiben die kleinen Parteien?
Denen schlägt am Montagabend die TV-Stunde: der „TV-Dreikampf von Linken, Grünen und CSU“ im ZDF (19.20 bis 20.15 Uhr) sowie im Anschluss der „Fünfkampf nach dem TV-Duell“ in der ARD (20.15 bis 21.30 Uhr). Hier dürfen, anders als im ZDF, mit AfD und FDP auch die beiden Parteien an den Tisch, die berechtigte Aussichten haben, in den Bundestag einzuziehen. Das Zweite wiederum verweist auch noch auf den Dienstag. Marietta Slomka fragt in der Primetime live aus der Berliner Fernsehwerft Vertreter von sieben Parteien „Wie geht’s Deutschland?“ – Parteien, die sich Hoffnungen auf den Einzug in den nächsten Bundestag machen können: Ursula von der Leyen (CDU), Heiko Maas (SPD), Andreas Scheuer (CSU), Katja Kipping (Die Linke), Jürgen Trittin (Die Grünen), Katja Suding (FDP), Alice Weidel (AfD). Der spektakulärste Auftritt ist und bleibt aber das „TV-Duell“. Einen Wunsch hierfür hat Peter Kloeppel kund getan. Der RTL-Mann ist froh, dass es in Deutschland von der Debattenkultur her bei Fernseh-Duellen sachlicher zugeht als in Frankreich oder den USA. Dort stand Trump beim Duell plötzlich „wie ein Weißer Hai“ hinter Hillary Clinton. Bei aller Interaktion – ähnliche Bilder werden wir bei Merkel/Schulz eher nicht sehen.