50 Jahre Selma: Barack Obama - Sein Marsch ist noch nicht vorbei
Als erster schwarzer US-Präsident hat Barack Obama Geschichte geschrieben - auch, weil er Amerika eine Idee von sich selbst liefert. Das hat er am Sonntag wieder eindrucksvoll bewiesen. Ein Kommentar
Ja, Symbolik kann er. Immer noch. Pathos auch. Die Bilder vom Wochenende, als Barack Obama über jene Brücke geht, auf der Sicherheitskräfte vor 50 Jahren mit Knüppeln und Tränengas brutal gegen protestierende schwarze Bürgerrechtler vorgingen, haben eine Wucht. Und seine Worte, leidenschaftlich vorgetragen, erreichen die Herzen der Menschen. Verändern sie auch die Wirklichkeit?
"Der Marsch ist noch nicht vorbei", ruft der Präsident vor Zehntausenden, und dass es sich lohne zu kämpfen. Die Demonstranten hätten über die USA hinaus Menschen inspiriert, sich für Freiheit und Bürgerrechte zu engagieren. Auch heute müsse man nur Augen, Ohren und Herzen öffnen, um zu sehen, dass "die lange Rassengeschichte dieses Landes immer noch ihren langen Schatten auf uns wirft". Und dann marschiert Obama selbst über die Edmund-Pettus-Brücke an der Stadtgrenze von Selma – zusammen mit seiner Familie und, auch das ist bemerkenswert, mit seinem Vorgänger George W. Bush. Eindrückliche Bilder.
Ohne Selma wäre Obama wohl nie Präsident geworden
Ohne Selma, ohne den Mut der Bürgerrechtler vor 50 Jahren, wäre der Afro-Amerikaner Obama vielleicht nie Präsident geworden. Und auf der Brücke vor der Kleinstadt in Alabama zeigt er, warum er es ist. Endlich mal wieder beweist er seinen Unterstützern, dass es richtig war, auf ihn zu setzen, er führt allen vor, was er am besten kann: inspirieren.
2008, als Obama antrat, als erster schwarzer Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika Geschichte zu schreiben, spürte das jeder. Sieben Jahre später hatte es so mancher vergessen. Obamas Kampagne drehte sich damals um die Frage, was aus seinem Land werden könnte, wenn es nur bereit sei, aus der Vergangenheit für die Zukunft zu lernen. Er predigte Hoffnung und Wandel als Teil der amerikanischen Identität – ein rhetorischer Volltreffer, beschreibt dies doch idealtypisch das amerikanische Selbstverständnis. Unvergessen sein "Yes, we can", das es vermochte, alle Zweifler zum Schweigen zu bringen. Amerika könne besser sein, wenn es nur wolle. Alles war möglich, im Jahr 2008. Auch an diesem Jahrestag des "Bloody Sunday" pocht Obama darauf, dass Amerika schon viel geschafft habe – wer das bezweifle, brauche nur mit denen zu sprechen, die das Selma, L.A. oder Chicago der 50er Jahre erlebt haben. Aber er besteht auch darauf, dass sein Land besser sein könne – "Amerika ist das, was wir daraus machen". Kurz: "Der Marsch ist noch nicht vorbei."
Viele nennen ihn schon eine "Lame Duck" - zu früh?
Auch Obamas Marsch ist noch nicht vorbei. Eine "Lame Duck" nennen ihn viele bereits, da er unter dem Druck des heraufziehenden Wahlkampfs und mit der Beschränkung, selbst nicht erneut kandidieren zu können, im Grunde handlungsunfähig sei. Es ist schon wahr: Allzu große Verdienste in innenpolitischer Diplomatie kann er nicht vorweisen. Wenige seiner Initiativen, besonders auch sein Jahrhundertprojekt Gesundheitsreform, sind in enger Zusammenarbeit mit der Opposition entstanden. Und ob sein frühzeitiger Friedensnobelpreis in der Rückschau gerechtfertigt sein wird, ist noch nicht entschieden. Zu zahlreich sind die blutigen Konflikte: Syrien, Irak, Ukraine, um nur die aktuell größten zu nennen. Bei fast allen dieser Krisen spielt mit eine Rolle, dass Obama es nicht geschafft hat, ein besseres Verhältnis zu seinem schwierigen russischen Kollegen aufzubauen, dass er es nicht geschafft hat, Wladimir Putin besser einzubinden.
Aber noch ist seine Präsidentschaft nicht vorbei. Offen ist zum Beispiel, was aus den Verhandlungen über das iranische Atomprogramm wird – auch wenn ein Verhandlungserfolg nicht für jeden ein Erfolg wäre. Noch nicht entschieden ist auch, ob der Vormarsch der Islamisten wirklich immer so weiter gehen muss. Die derzeitigen Erfolge der Anti-IS-Koalition könnten nur der Anfang sein. Wenn Amerika wirklich will.
Worte und emotionale Bilder können etwas verändern. Gerade in einem Land, das so gerne daran glauben möchte, dass sich die eigene Zukunft gestalten und somit zum Besseren wenden lässt. Dass sich jede Anstrengung lohnt. Und dass Vorbilder wichtig sind.
Obama liefert Amerika eine Idee von sich selbst, er beschreibt, was das aus so vielen verschiedenen Menschen und Kulturen bestehende Land zusammenhält. Das ist nicht zu unterschätzen.
Ja, es gibt immer noch Rassismus und Diskriminierung, Ungleichheit, Gewalt und Terror. Aber es lohnt sich, dagegen aufzustehen. Es hat sich immer gelohnt. Das ist Obamas Credo. Es könnte sein Vermächtnis werden.