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"Sieben Milliarden Menschen mit sieben Milliarden Chancen". Das Bild zeigt eine Massenkundgebung in Sao Paolo.
© dpa

UN-Weltbevölkerungsbericht: Ballungsraum Erde

Am Montag wird der siebenmilliardste Mensch geboren. Die Welt ist für das Tempo des Bevölkerungswachstums nicht gerüstet. Es mangelt an Nahrung, Gesundheitsdiensten und Bildung.

Das Kind ist möglicherweise längst geboren, vielleicht kommt es aber erst in einigen Wochen auf die Welt. Niemand weiß, wann und wo der Säugling, der die globale Bevölkerung erstmals auf die Marke von sieben Milliarden Menschen heben wird, von seiner Mutter entbunden wird – oder wurde. Doch die Bevölkerungsexperten der Vereinten Nationen legten sich auf einen symbolischen Tag fest: Am Montag kommender Woche, am 31. Oktober 2011, soll es soweit sein. Dann wird der Mensch mit der Nummer 7 000 000 000 sein Dasein beginnen. „Wir müssen diesem Kind und seiner ganzen Generation eine lebenswerte Zukunft geben“, mahnt UN-Generalsekretär Ban Ki Moon.

Doch der Junge oder das Mädchen wird in eine Welt hineingeboren, die schon heute nicht in der Lage ist, Hunderten Millionen Menschen eine erträgliche Existenz zu garantieren. Die Zahl der Hungernden stieg nach Angaben der UN-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation FAO zwischen 2008 und 2010 von 850 Millionen auf 925 Millionen. Rund eine Milliarde Menschen fristen ein Leben in extremer Armut mit einem Einkommen von weniger als 1,25 US-Dollar pro Tag.

Besonders entmutigend sind die Zukunftsperspektiven der heranwachsenden Generation: Nach sehr konservativen Schätzungen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) finden 75 Millionen oder 13 Prozent der jungen Menschen im Alter von 15 bis 24 Jahren keinen Job. Die Dunkelziffer liegt sehr viel höher. „Millionen Jugendliche rund um die Welt fühlen Frust und Wut“, betont ILO-Direktor Manuel Salazar-Xirinachs.

Mit der Bevölkerung wächst die Armut

Und die Weltbevölkerung wächst immer weiter. Ende der neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts lebten nach UN-Schätzungen sechs Milliarden Menschen auf der Welt. Nun sollen es sieben Milliarden sein. Und am Ende des 21. Jahrhunderts könnten sich nach Schätzungen der UN zehn Milliarden Männer, Frauen und Kinder auf dem Planeten drängen. Möglich ist aber auch ein Anschwellen auf 15 Milliarden Erdenbewohner – falls die Fruchtbarkeitsdaten in den Ländern, in denen sie heute hoch sind, nicht sinken.

„Die Bevölkerung wächst in den Ländern besonders schnell, in denen die Menschen sehr arm sind“, erläutert die Deutsche Stiftung Weltbevölkerung. So könnte sich die Zahl der Einwohner in den 50 ärmsten Ländern der Welt (LDC) von heute mehr als 830 Millionen auf 2,7 Milliarden im Jahr 2100 mehr als verdreifachen. „Die starke Bevölkerungszunahme bringt enorme Herausforderungen mit sich, der Druck auf die Gesundheits- und Bildungssysteme wird steigen, und die Ernährungslage wird schlechter“, betonen die Experten der DSW.

Die meisten Länder, die ihrer Bevölkerung nicht genügend Nahrung, Gesundheitsdienste und Bildung anbieten können liegen in Afrika. Äthiopien, Somalia oder Niger sind dafür Beispiele. Die Bevölkerung Afrikas wird im Vergleich zu allen anderen Regionen in den nächsten neunzig Jahren am rasantesten expandieren, von heute einer Milliarde auf rund 3,6 Milliarden am Ende des Jahrhunderts.

Auch in asiatischen und lateinamerikanischen Ländern, in denen die Bevölkerung schnell wächst, herrscht Mangel. Im konfliktgeplagten Jemen etwa bedroht der Hunger nach den jüngsten Warnungen des Kinderhilfswerkes Unicef ein Drittel der 24 Millionen Einwohner, was allerdings vor allem mit der politischen Instabilität zu tun hat. Weit mehr als die Hälfte aller jungen Leute von 15 bis 24 Jahren haben keinen Job. Wie andere bitterarme Länder fällt Jemen durch eine hohe Geburtenrate auf: Jede Frau bringt dort im Durchschnitt 5,1 Kinder zur Welt. „Diese Kinder werden ins Elend hineingeboren“, sagt Geert Cappelaere, der Jemen-Beauftragte von Unicef.

Wie aber sollen die Regierenden auf die immer größer werdende Zahl der Menschen reagieren? Experten wie Tanja Kiziak vom Berlin Institut für Bevölkerung und Entwicklung verbreitet trotz der ernüchternden Trends Optimismus: „Die Lage ist ernst aber nicht hoffnungslos“, meint sie. Die Politik müsse einen besseren Zugang zu Verhütungsmitteln ermöglichen. Vor allem in den armen Ländern klagen rund 215 Millionen verheiratete Frauen über einen Mangel an Kondomen oder der Pille. Zudem verlangt die Expertin mehr Investitionen in die Bildung junger Frauen. Gebildete Frauen bekämen später Kinder. Und sie wüssten besser, wie sie die Überlebenschancen ihres Nachwuchses erhöhen können.

Dass die hohe Kindersterblichkeit in Entwicklungsländern einer der Gründe für die hohe Geburtenrate ist, wiesen Fachleute empirisch nach. Der schwedische Entwicklungsexperte Hans Rosling erklärt den Zusammenhang so: „Nur in wirklich armen Teilen der Welt gebären Frauen fünf oder sechs Kinder. Nicht weil sie sich große Familien wünschen, sondern weil sie damit rechnen müssen, dass jedes zweite oder dritte Kind stirbt.“

Doch effektive Familienplanung hat ihren Preis. Die Deutsche Stiftung Weltbevölkerung kalkuliert: Pro Jahr müssten Geber- und Entwicklungsländer 6,7 Milliarden US-Dollar für Aufklärung und Verhütungsmittel bereitstellen, dann würde sich die Zahl der rund 75 Millionen ungewollten Schwangerschaften reduzieren.

Eine wachsende Bevölkerung in armen Ländern muss aber nicht zwangsläufig zu mehr Elend führen. So könnte nach Ansicht der Berliner Expertin Kiziak im Jahr 2040 „die erwerbsfähige Bevölkerung in Gesamtafrika in absoluten Zahlen größer sein als in den heutigen Werkbänken der Welt China und Indien“. Um dieses gewaltige Potenzial aber zu nutzen, müssten die Regierungen in Afrika schon heute massiv in Ausbildung und Gesundheit der heranwachsenden Generationen investieren. Danach sieht es aber noch nicht aus.

Deutschland verliert Einwohner

Deutlich langsamer entwickelt sich laut UN-Prognose die Bevölkerung in Europa, Nordamerika, Lateinamerika und der Karibik sowie Ozeanien. Bis 2060 soll sie von heute 1,7 Milliarden bis 2060 auf rund zwei Milliarden Menschen ansteigen. Europa erreicht nach Einschätzung der UN im Jahr 2025 mit 750 Millionen Menschen den Scheitelpunkt. Zugleich überaltert der Kontinent in dieser Zeit.

Deutschland verliert bis zum Jahr 2060 sogar bis zu 17 Millionen Einwohner, also ein Fünftel der Bevölkerung. Das geht aus dem Demografiebericht hervor, den Bundesinnenminister Hans- Peter Friedrich (CSU) ebenfalls am Mittwoch vorlegte. Die Bevölkerungszahl sinkt, weil in Deutschland mehr Menschen sterben als geboren werden. Auch die Zuzüge nach Deutschland können diese Entwicklung schon lange nicht mehr aufhalten.

Die neuen Länder werden vom Bevölkerungsrückgang besonders stark betroffen sein. Dort leben in 50 Jahren voraussichtlich ein Drittel weniger Menschen als heute. Dem Bericht zufolge muss Sachsen-Anhalt mit dem größten Bevölkerungsschwund rechnen. Hier sinkt die Einwohnerzahl voraussichtlich um 42 Prozent. Thüringen muss mit einem Rückgang von 41 Prozent rechnen und Mecklenburg-Vorpommern mit einem Minus von 36 Prozent. Die geringsten Bevölkerungsveränderungen sind in Hamburg (minus sechs Prozent), Bremen (minus 14 Prozent) und Bayern (minus 15 Prozent) zu erwarten. Für ganz Deutschland gehen die Statistiker von einem Bevölkerungsrückgang von bis zu 21 Prozent bis 2060 aus. Derzeit leben in Deutschland fast 82 Millionen Menschen. Neben einem Rückgang der Einwohnerzahlen verschiebt sich auch die Altersstruktur, da immer mehr Menschen immer älter werden. (mit dpa, KNA)

Jan Dirk Herbermann

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