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Weiter Richtung Deutschland und Schweden. Viele der Flüchtlinge und Migranten, die wie hier gerade im Norden der Insel Lesbos in Griechenland in einem Schlepperboot angekommen sind, machen sich zu Fuß auf Richtung Fährthafenstadt Mytilini. Dann geht es weiter mit der Fähre nach Athen.
© Annette Kögel
Update

Touristen helfen Flüchtlingen auf Lesbos: Bald "Hotspots" auf den griechischen Inseln

Menschen aus ganz Europa nehmen frei, um auf den griechischen Inseln immer mehr Migranten zu versorgen. Auf Chios, Lesbos, Samos und Kos soll es jetzt "Hotspots" geben.

Bevor der Herbst mit seinen Stürmen kommt, schicken die Schlepper in der Türkei jetzt so viele Flüchtlinge gegen Gebühr in Booten in Richtung Griechenland, wie es nur geht. „Bella Vista“ heißt das Hotel, das Lena Magmell gebucht hat. Doch zum schönen Ausblick auf die herrliche Bucht von Eftalou im Norden der Urlaubsinsel Lesbos gehört für die 65-jährige Frau aus Stockholm auch die Sicht auf schwarze, überfüllte Plastikboote und Trauben erschöpfter Menschen am Strand.

Deswegen steht sie jetzt hier, im Schatten eines Baumes, und schmiert in einer von Helfern aus ganz Europa improvisierten Versorgungsstation Tag für Tag Weißbrotstullen mit Schokoaufstrich. Für Flüchtlinge, die die Schlepperfahrt von der Türkei nach Europa überlebt haben. „Das ist das einzig Vernünftige, was ich jetzt tun kann, und es ist sehr erfüllend“, sagt die Touristin, die bis vor Kurzem beim Nobelpreisinstitut in der Verwaltung arbeitete.

Es sind wieder mehr Migranten geworden, die auf der griechischen Insel Lesbos ihr Ziel Europa erreichen. In weniger als einer Stunde kamen zuletzt 24 Boote mit 1200 Menschen an, beobachtete ein Reuters-Fotograf. Zuletzt waren es 3000 am Tag, im Sommer 500. Dass angesichts der vielen Flüchtlinge in Teilen der Insel trotzdem halbwegs Ordnung herrscht, ist auch den vielen ehrenamtlichen Helfern und Touristen zu verdanken.

Neben Lena Magmell reicht eine Holländerin den Dürstenden Wasser. Sie trägt Tanktop, hinter ihr ist eine verschleierte Frau aus Syrien dankbar, dass eine Helferin ihr Baby windelt. Im Koffer liegt gespendete Medizin. „Doctor/Midwife“ steht auf einer Pappe, und auf Arabisch „Arzt, Hebamme“. Ismail Moutawee ist Zahnchirurg aus Aulnay-Sous-Bois bei Paris. Jetzt hat auch er sich freigenommen für die Erstversorgung Flüchtender. Moutawee ist als gebürtiger Syrer gefragt – er kann übersetzen. „Ich höre am Dialekt, wer wirklich aus Syrien kommt. Allein in der Türkei warten jetzt zwei Millionen Menschen, der Krieg muss beendet werden.“

Vorbereitungen für "Hotspots" laufen

Unterdessen trifft Griechenland jetzt erste Vorbereitungen für die Bildung von Zentren zur Registrierung von Flüchtlingen („Hotspots“). Sie sollen nach Überlegungen der Polizei in enger Zusammenarbeit mit europäischen Sicherheitsbehörden und finanziert von der EU auf Chios, Lesbos, Samos und Kos gebaut werden. Nach ihrer Registrierung auf den Inseln sollen die Migranten zunächst in ein Lager etwa 75 Kilometer östlich von Athen gebracht werden. Zudem werde daran gedacht, ein zweites Lager nahe Thessaloniki zu bauen. Nach Angaben aus gut informierten Polizeikreisen sei bislang aber noch kein Geld der EU geflossen.

Völlig unklar ist, wie die Menschen zurück in ihr Land gebracht werden sollen, deren Asylantrag abgelehnt werden. Versuche Griechenlands, in den vergangenen Jahren Tausende nicht als Flüchtlinge anerkannte Menschen zurückzuweisen, sind gescheitert. Trotz entsprechender Rückführungsabkommen wollten weder die Türkei noch ihre Herkunftsländer die Menschen haben.

An der gesamten Nordspitze der Insel Lesbos irren derweil junge Männer, alte Frauen, selbst Omis im Rollstuhl umher. An den Strandwegen liegen Reste der Aufblasboote mit CE-Siegel, im Meer treiben schwarze Schläuche von Autoreifen indischer Produktion – „Rettungsringe“. Am Sonntag gab es Meldungen über ein umgekipptes Boot, Tote, Vermisste, im Süden, nahe der Hauptstadt Mytilini.

Geschafft. Eine Minute der Romantik auf der Flucht. Immigranten sitzen an der Küste von Elaftou, nahe Molivos, im Norden der Urlaubsinsel Lesbos und schauen zurück zur türkischen Küste, von der sie mit dem überladenen Plastikboot kamen. Auf dem Boot hatten alle Todesangst.
Geschafft. Eine Minute der Romantik auf der Flucht. Immigranten sitzen an der Küste von Elaftou, nahe Molivos, im Norden der Urlaubsinsel Lesbos und schauen zurück zur türkischen Küste, von der sie mit dem überladenen Plastikboot kamen. Auf dem Boot hatten alle Todesangst.
© Annette Kögel

Dabei ist das Meer noch recht ruhig. Neben Fischerbooten liegen brandneue Rettungswesten türkischer Produktion. Manche Griechen montieren teureren Flüchtlingsbooten die Motoren ab und stehlen sie. Manch vermeintlicher Helfer steckt Spenden selbst ein, doch das sind Einzelfälle. Auch auf Kos gibt es Ausnahmesituationen.

„Greece is good!“ ruft ein noch nasser Flüchtling, ohne zu wissen, dass so viele hier gar keine Griechen sind. „Police Station?“, fragt ein anderer, irgendwie schlagen sie sich durch bis Molivos, den nächstgrößeren Ort. Dort ist wenig geblieben von der Postkartenidylle. Ein Grieche winkt alle auf eine Bürgersteigseite, damit sie nicht vor Touristenbusse laufen. Die meisten im Einsatz sind junge Frauen mit „We do what we can“-T-Shirt („Wir tun, was wir können“).

Auch sie haben in Schweden extra Urlaub genommen – oder ihr Arbeitgeber, Urr & Penn, ein Juwelier, hat sie in den Sozialeinsatz entsandt. „Team Humanity“ steht auf anderen Shirts; auch Norweger sind gekommen. Zrian Salar ist Schwedin kurdischer Herkunft. „Ich war früher als Achtjährige auch lange mit meiner Mutter selbst auf der Flucht“. Ihr Arbeitgeber, die SEB- Bank, gewährt ihr unbezahlten Urlaub. „Das Helfen macht süchtig, sagt sie, „ich will nun direkt nach Syrien.“

Lena Magmell, 65, (r.), aus Schweden, hatte eigentlich Urlaub in Griechenland gebucht. Statt in ihrem Hotel "Bella Vista" am Pool zu liegen, schmiert sie nun an einer von internationalen Ehrenamtlichen errichteten Versorgungsstation Stullen für die von den Booten kommenden Flüchtlinge am Strand von Elaftou im Norden der Insel Lesbos. Foto: Annette Kögel
Lena Magmell, 65, (r.), aus Schweden, hatte eigentlich Urlaub in Griechenland gebucht. Statt in ihrem Hotel "Bella Vista" am Pool zu liegen, schmiert sie nun an einer von internationalen Ehrenamtlichen errichteten Versorgungsstation Stullen für die von den Booten kommenden Flüchtlinge am Strand von Elaftou im Norden der Insel Lesbos. Foto: Annette Kögel
© Annette Kögel

Die Syrer wollen weiter nach Mytilini, zur Fähre nach Athen. Ehrenamtliche geben jenen Wasserflaschen mit, die nicht auf die vom Staat gestellten Busse warten. Sie laufen die rund 60 Kilometer in der Hitze in Flip-Flops. Taxifahrer sahnen ab, manche Autofahrerin würde gern die Wandersleute auf der Flucht mitnehmen, aber traut sich dann nicht.

Mohammed ist junger Journalist aus Syrien. Er weiß im Norden der Insel noch nicht, was für ein entwürdigendes Chaos ihn am Hafen erwartet. Schlafen auf Pappe, Haare waschen mit Wasserflasche, kaum Toiletten. Es stinkt, aber wo sollen die Menschen sich denn entleeren? Griechen verkaufen Zelte, Schlafsäcke, bieten aber keine logistische Versorgung. Das Land ist ja selbst in Not. Kreuzfahrtschiffe legen teils nicht mehr an, manch ein Tourist will das Elend nicht mitansehen.

Volle Fähren nach Piräus

Auf dem griechischen Festland sind unterdessen am Freitag knapp 4000 Flüchtlinge aus der Ostägäisinsel Lesbos angekommen. Am frühen Morgen hatte die Fähre „Ariadne“ fast 1440 Migranten von der Insel nach Piräus gebracht Wenig später kamen 2498 Menschen an Bord der Fähre „Eleftherios Venizelos“ in Piräus an, berichtete das staatliche Fernsehen (ERT).

Wie Muhammed hatte zuvor jeder Migrant zwischen 1100 und 1500 Euro für die knapp Zwei-Stunden-Fahrt von der Türkei nach Grichenland im Aufblasboot bezahlt. „Ich dachte, ich sterbe“, sagt er und entschuldigt sich für die leicht dreckige Kleidung. Dass die IS-Terroristen seinen Glauben missbrauchen, macht ihn unglücklich. Hilfe? „Will ich nicht, ich habe mich schon drei Jahre als Arbeiter durchgeschlagen. Ich will nur Würde und Frieden.“ Wohin es ihn zieht? Er sagt das, was alle sagen: „Almaniya.“ Deutschland.

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