Verspätete Meldung von Nebeneinkünften: Baerbock ist den eigenen Ansprüchen nicht gerecht geworden
Die Kanzlerkandidatin der Grünen steht im öffentlichen Fokus, doch Baerbock nutzt ihre Chance nicht. Ihr jüngster Fehler könnte haften bleiben. Ein Kommentar.
Es ist der erste größere Fehler der Frau, die als Kanzlerkandidatin der Grünen antritt, weil sie angeblich keine Fehler macht. Co-Parteichef Robert Habeck galt als wandelndes Risiko, und so wurde in einer frauenbewegten Partei Annalena Baerbock die Erste unter Gleichen.
Doch jetzt hat die 40-Jährige ein Problem. Jahrelang hat sie die Sonderzahlungen, die sie als Parteichefin erhielt, nicht dem Bundestag gemeldet. 2018, 2019, 2020 – einfach vergessen. Mehr als 25.000 Euro. Nachdem die Kanzlerkandidatin erst schwieg, spricht sie nun von einem „blöden Versäumnis“.
Baerbock hat sich nicht bereichert, die Zahlungen versteuert und – wenn auch verspätet – die Nebeneinkünfte ohne Aufforderung gemeldet. Es handelt sich um Zahlungen aus ihrer eigenen Partei, nicht von einem Unternehmen oder einer Lobby-Gruppe. Zum Skandal taugt der Vorgang nicht. Doch den braucht es nicht. Auch die Honorare für Vorträge (auf die Baerbock verzichtet) vom damaligen SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück waren kein Skandal. Während seines Wahlkampfs blieben sie dennoch unvergessen.
Zumal die moralische Fallhöhe für eine Kanzlerkandidatin der Grünen extrem hoch ist. „Einkünfte von Abgeordneten aus Nebentätigkeiten sollen auf Euro und Cent veröffentlicht werden“, heißt es auf Seite 94 im eigenen Wahlprogramm. Den moralischen Ansprüchen ihrer Partei wurde Baerbock nicht gerecht. Erst nach einer Anfrage der „Bild“-Zeitung machte sie ihren Fehler publik und veröffentlichte dann nur vage die Höhe der Sonderzahlungen. Erst als der mediale Druck immer größer wurde, nannte Baerbock die Summe auf den Cent.
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Dabei ist die genaue Summe (25220,28 Euro an Weihnachtsgeldern, Corona-Zahlung und Prämien) nur eine Fußnote. Mit ihrer Salami-Taktik hat sie ihre eigene Integrität beschädigt. Wer sich für das wichtigste Amt im Staat bewirbt, dem sollten solche Fehler nicht unterlaufen. Die Geldeingänge auf dem eigenen Konto im Blick zu behalten und alles Relevante dem Bundestag zu melden, das kann von einer Spitzenpolitikerin ohne Zweifel verlangt werden.
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Eigentlich wäre jetzt die Zeit, in der Baerbock zeigen müsste, was sie kann. Sie steht im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses, die Titelseiten gehören ihr, was sie sagt, wird gehört. Doch Baerbock nutzt ihre Chance nicht, tritt plötzlich passiv auf, leistet sich kleine Aussetzer.
Nach ihrem ersten Höhenflug sinken die Zustimmungswerte bereits. Dem „ZDF-Politbarometer“ zufolge liegt sie im direkten Vergleich mit CDU-Chef Armin Laschet und SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz auf einmal hinten. Ihre persönlichen Beliebtheitswerte sinken auf den niedrigsten Stand, weit hinter Habeck. Vielleicht wäre er tatsächlich das größere Risiko gewesen – aber nicht für die Grünen, sondern die Union.