Kindesmissbrauch in Münster: „Sie können es sich nicht vorstellen“
Ein neuer schwerer Fall von massenhaftem Kindesmissbrauch in Deutschland ist aufgedeckt – elf Beschuldigte sitzen in Haft. Opfer sind drei Kinder.
Das war offenbar selbst für hartgesottene Polizisten zu viel. „Diese Kinder sind verkauft worden, sie haben unfassbares Leid erfahren von Menschen, die sie eigentlich behüten sollten“, sagte der Leiter der Ermittlungen Joachim Poll am Sonnabend auf einer gemeinsamen Pressekonferenz von Polizei und Staatsanwaltschaft in Münster.
Seine Aussagen wurden per Livestream übertragen – immerhin kommen die bisherigen Tatverdächtigen in diesem neuen schweren Fall von Kindesmissbrauch aus dem gesamten Bundesgebiet.
Elf Menschen wurden festgenommen und verhaftet, sieben befinden sich derzeit in Untersuchungshaft, darunter der 27-jährige Hauptbeschuldigte aus Münster, seine Mutter sowie Männer aus Kassel, Köln, Staufenberg bei Gießen, Hannover und Finowfurt in Brandenburg.
Bei Letzterem soll es sich um einen Familienvater handeln, der selbst zwei Söhne hat. Bei den bislang identifizierten missbrauchten Kindern handelt es sich um Jungen im Alter von 5, 10 und 12 Jahren. Sie sollen laut erster Erkenntnisse der Ermittler bei den Taten „möglicherweise lokal sediert“ worden sein.
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Nach derzeitigem Stand der Ermittlungen sind vier Männer dringend verdächtig, zwei minderjährige Kinder im Alter von fünf und zehn Jahren schwer sexuell missbraucht zu haben. Zwei weitere Beschuldigte stehen im Verdacht, zumindest an einem der beiden Kinder schwere sexuelle Handlungen vorgenommen zu haben.
Tatort Gartenlaube
Hauptsächlicher Tatort war eine Gartenlaube in Münster. Während der Pressekonferenz zeigte die Polizei Bilder des mit Videokameras gesicherten Gebäudes. Hier sollen der Hauptverdächtige und drei weitere Männer beispielsweise in der Nacht vom 25. auf den 26. April 2020 den zehn- und den fünfjährigen Jungen über Stunden hinweg schwer missbraucht haben.
Die Gartenlaube gehört der 45-jährigen Mutter des mutmaßlichen Haupttäters. Sie soll ihrem Sohn den Schlüssel überlassen haben, in dem Wissen, was er dort vorhabe. Die Taten wurden von einer Videoanlage gefilmt.
Die komplette Video-Technik und dazugehörige Speichermedien fanden die Ermittler in einer doppelten Decke in der Gartenlaube. Alles sei hochprofessionell gesichert worden, hieß es.
Der 27-jährige Hauptverdächtige war in einem landwirtschaftlichen Betrieb im Kreis Coesfeld für die IT-Technik zuständig. In seinem Keller in Münster fand die Polizei einen komplett eingerichteten Serverraum, der klimatisiert war, um die Datenträger zu schützen.
Das Speichervolumen liege nach ersten Erkenntnissen bei mehr als 500 Terrabyte. „Wir haben noch längst nicht alles sichten können“, sagte Joachim Poll. Was man allerdings habe sehen müssen, seien „unfassbare Bilder“ gewesen, beschrieb der sichtlich bewegte Kriminalhauptkommissar: „Sie können es sich nicht vorstellen.“
Etwas später fügte er hinzu: „Diese Menschen, wenn man sie überhaupt so nennen kann, agieren so perfide.“ Sie hätten „absolut sichere Handys“, mit denen Anrufe und Nachrichten nur schwer nachzuvollziehen seien.
Der Hauptverdächtige sei bereits zu zwei Bewährungsstrafen wegen der Verbreitung von kinderpornografischem Material verurteilt worden, hieß es weiter. Seine Auflagen sahen eine Therapie vor. Die soll er nach Angaben der zuständigen Behörden auch absolviert haben.
Taten gefilmt
Nach den bisherigen Ermittlungen werden ihm 15 Taten im Zeitraum zwischen November 2018 und Mai 2020 vorgeworfen. Er soll die gefilmten Taten auch über Plattformen für Pädophile im Darknet verbreitet haben.
Bei den Opfern handelt es sich zum einen um den zehnjährigen Sohn der Lebensgefährtin des Münsteraners und um den fünfjährigen Sohn des Beschuldigten aus Staufenberg. Es besteht der Verdacht, dass der 27-Jährige aus Münster den zehnjährigen Jungen zumindest vier der Mitbeschuldigten für die vorgeworfenen schweren Missbrauchshandlungen überlassen und dadurch die Taten der anderen Beschuldigten ermöglicht hat.
Im Zusammenhang mit den Festnahmen durchsuchten die Ermittler zahlreiche Objekte und stellten umfangreiches Beweismaterial, insbesondere elektronische Speichermedien, sicher. Die gesamte IT-Infrastruktur sei offensichtlich hochprofessionell passwortgeschützt beziehungsweise verschlüsselt, hieß es auf der Pressekonferenz.
Unter Einbindung der IT-Spezialisten des Landeskriminalamtes NRW werde mit Hochdruck daran gearbeitet, Zugang zu den noch verschlüsselten Daten zu erlangen. Bislang sind Bilder und Videos die einzigen Beweismittel, da sich sämtliche Beschuldigte – mit einer Ausnahme – nicht zu den Vorwürfen äußern.
Laut Polizei und Staatsanwaltschaft ist der Ausgangspunkt der jetzigen Ermittlungen ein Ermittlungsverfahren gegen unbekannt aus dem Jahr 2018. Damals hatte eine unbekannte Person über das Internet Dateien mit kinderpornografischem Inhalt angeboten.
In der Obhut der Jugendämter
Im Rahmen aufwendiger Ermittlungen konnte im April 2019 ein Anfangsverdacht gegen den beschuldigten Münsteraner begründet werden. Über eine IP-Adresse führte die Spur zu jenem landwirtschaftlichen Betrieb im Kreis Coesfeld, wo der Beschäftigte tätig war.
Am 7. Mai 2019 durchsuchten Polizeibeamte die Wohnung des 27-Jährigen in Münster und stellten umfangreiche Mengen an Datenträgern sicher, die ebenfalls mit hochprofessioneller Verschlüsselungstechnik gesichert waren und zum Teil noch sind.
Nach komplizierten Entschlüsselungsversuchen gelang es am 12. Mai 2020, einen der sichergestellten Laptops zu dechiffrieren. Auf der Festplatte fanden sich zahlreiche Dateien mit Missbrauchshandlungen. Beamte nahmen den Beschuldigten in den frühen Morgenstunden des 14. Mai in der Innenstadt von Münster fest.
Die Opfer befinden sich in der Obhut der zuständigen Jugendämter. (mit dpa)
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