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Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU).
© dapd

Demografischer Wandel: Aus Alt mach Neu

Der älter werdenden Gesellschaft will die Bundesregierung mit einer Strategie begegnen. Die ist umfangreich – und unkonkret. Und wirklich neu ist sie auch nicht.

Deutschlands Bevölkerung altert und schrumpft. Bis zum Jahr 2060 werden laut aktuellen Prognosen 17 Millionen weniger Menschen im Land leben. Das klingt bedrohlich – die Bundesregierung will deswegen nun ihre politischen Bemühungen bündeln, um dem demografischen Wandel effektiv zu begegnen. Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) machte am Mittwoch deutlich, was damit gemeint ist. Am Vormittag stellte er die sogenannte „Demografiestrategie“ der schwarz-gelben Bundesregierung vor, nachdem sie zuvor im Kabinett verabschiedet wurde.

Acht Ministerien haben daran in den letzten Wochen gearbeitet. Der demografische Wandel sei Herausforderung und Chance zugleich, sagte Friedrich. „Wir werden weniger und älter.“ Besonders brisant sei dies auf dem Land, wo etwa Kommunen Schulen schließen müssten und Immobilienpreise verfielen. Zwar glaube er nicht, dass ganze Dörfer aufgegeben werden müssten. Sie müssten aber „in einem kleineren Format“ zurechtkommen. Um einer weiteren Landflucht vorzubeugen, plädiert Friedrich auch dafür, ländliche Gebiete zügig mit schnellen Internetanschlüssen zu versorgen. Dies sei ein „ganz zentrales Thema“ und so wichtig wie ein Anschluss an das Wassernetz.

Unter der Überschrift „Jedes Alter zählt“ erklärt die 74-seitige Demografiestrategie was sich Schwarz-Gelb unter einer Politik in einer alternden Gesellschaft vorstellt: Die Regierung will etwa mehr Fachkräfte aus dem Ausland holen, Pflegeangebote erweitern oder Kinder und Jugendliche aus bildungsfernen Elternhäusern besser fördern. Weiter sparen soll der Staat aber trotzdem.

Doch wirklich neu ist das alles nicht. Die Strategie fasst neben vagen Willensbekundungen größtenteils längst bekannte Vorhaben der verschiedenen Ministerien zusammen. Vom Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz ab 2013 ist etwa die Rede oder von der Zuschussrente für Geringverdiener, die Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) bereits Ende März vorstellte. Das momentan umstrittene Betreuungsgeld taucht in dem Papier nicht auf

Alles Zukünftige wird an neue Gremien verweisen. Um die gemeinsamen Anstrengungen zu koordinieren, soll es nun etwa in jedem Jahr einen „Demografiegipfel“ geben. Die erste reguläre Konferenz mit Vertretern von Ländern, Kommunen, Wissenschaft und Verbänden soll bereits in diesem Herbst stattfinden. Ein Schwerpunkt des Gipfels soll die Schaffung einer „Willkommenskultur“ für ausländische Arbeitskräfte sein. Ein „Runder Tisch Aufnahmegesellschaft“ soll sich darum kümmern. „Die Expertengruppe soll Handlungsempfehlungen zur Erstorientierung und Erstintegration geben“, heißt es. Zuwanderung allein könne jedoch keine Lösung sein, betonte Innenminister Friedrich.

Trotz der Herausforderungen versucht das Papier der zunehmenden Alterung der Gesellschaft auch Positives abzugewinnen: So ist etwa von den zusätzlichen Lebensjahren die Rede, die ein Großteil der Bevölkerung zur „individuellen Entfaltung“ nutzen könne. An der Rente mit 67 wird ausdrücklich festgehalten.

Experten, Gewerkschaften und Opposition kritisierten die schwarz-gelben Pläne. „Das ist keine Strategie, sondern ein Sammelsurium von Vorschlägen, die es schon gibt“, sagte Reiner Klingholz, Direktor des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung, dem Tagesspiegel. Man könne den demografischen Wandel nicht aus der Portokasse finanzieren und müsse vor allem das Rentensystem grundlegend reformieren. Das bestehende Umlagesystem sei so nicht mehr tragbar. Momentan kommen auf 100 Erwerbstätige etwa 34 Rentner. Im Jahr 2030 werden es aller Voraussicht nach 50 sein.

Auch die Gewerkschaften nutzten den Demografiebericht, um nach einem Kurswechsel in der Rentenpolitik zu verlangen und forderten den Aufbau einer „Demografiereserve“, statt die Überschüsse sofort für Entlastungen zu nutzen. „Die Bundesregierung muss damit aufhören, den Rentenbeitrag immer weiter abzusenken und die Rücklagen der gesetzlichen Rentenversicherung auf Kosten der jüngeren Generationen zu verfrühstücken“, sagte Annelie Buntenbach, Mitglied im Vorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes.

Die SPD hält die Strategie für wenig konkret. Der ehemalige Arbeitsminister und Vizekanzler Franz Müntefering sagte, die Zusammenstellung sei „eine simple Fleißarbeit“, aber kein Konzept. Viele der Pläne seien banal, sagte Anette Kramme, sozialpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion. Natürlich brauchten Kinder aus bildungsfernen Elternhäusern mehr Förderung. Leider äußere sich die Bundesregierung nicht dazu, wie genau sie fördern wolle.(mit dpa/dapd)

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