Gastkommentar: Die Demografiefalle wird zuschnappen
Der CDU-Wirtschaftsrat drängt die Koalition zu mehr Tempo bei der Reform der Pflegeversicherung. Generalsekretär Wolfgang Steiger fordert: Das umlagenfinanzierte System muss durch private Vorsorge ergänzt werden.
Die sozialen Sicherungssysteme zählen zu den Stützpfeilern unserer Wirtschaftsordnung. Damit auch in Zukunft noch alle Hilfebedürftigen auf die Leistungsfähigkeit des Sozialstaats vertrauen können, führt an grundlegenden Strukturreformen kein Weg vorbei. Die nach dem Motto „Jung zahlt für Alt“ finanzierten Sozialversicherungen sind angesichts des demografischen Wandels nicht mehr tragfähig. Während heute auf 100 Menschen im Erwerbsalter 34 Rentner kommen, werden es im Jahr 2030 über 50 Ältere sein, 2035 voraussichtlich 58. Ein „ehrbarer Staat“ darf zukünftige Generationen nicht über Gebühr belasten. Genau das geschieht jedoch: Nach Zahlen der Stiftung Marktwirtschaft belaufen sich die Verbindlichkeiten von Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung auf sage und schreibe sechs Billionen Euro!
Zunächst muss es gelingen, den Koalitionsvertrag umzusetzen und die Lohnzusatzkosten von jetzt rund 42 Prozent auf deutlich unter 40 Prozent abzusenken. Die Koalition muss sich an ihrem Versprechen messen lassen, für „mehr Netto vom Brutto“ zu sorgen. Das würde den finanziellen Spielraum der Bürger für mehr kapitalgedeckte Eigenvorsorge erweitern. Spielraum ist etwa bei der Rentenversicherung und der Arbeitslosenversicherung. Dort zweigt der Bund zum Beispiel weiterhin den sogenannten „Eingliederungsbeitrag“ für Langzeitarbeitslose ab. Solche Leistungen sollten durch alle Steuerzahler finanziert werden und nicht von den Beitragszahlern in der gesetzlichen Sozialversicherung.
Ohne Reformen würde sich der Pflegebeitrag bis Mitte des Jahrhunderts auf über vier Prozent mehr als verdoppeln. Umso
verantwortungsloser ist die Forderung der SPD, diesen maroden Sozialversicherungszweig weiter aufzublähen und damit zukünftige Schieflagen zu verschärfen.
Bundesgesundheitsminister Bahr ist gefordert, sich einer Ausweitung des Leistungsvolumens in den Weg zu stellen und gleichzeitig auf einer Umsetzung der von CDU, CSU und FDP getroffenen Vereinbarungen zu beharren: Deutschland braucht den Einstieg in die Kapitaldeckung in der sozialen Pflegeversicherung in dieser Legislatur. Wenn schon das Idealmodell eines kompletten Umbaus zu einer reinen Privatversicherung momentan schwer durchsetzbar ist, so sollten zumindest Reformen für mehr individuelle Vorsorge nachgeholt werden.
Ähnlich wie in der Rentenversicherung brauchen wir in der Pflegeversicherung einen demografischen Faktor, um eine Überlastung unserer Kinder und Enkel zu vermeiden. In dem Maße, wie die erwerbstätige Bevölkerung ab- und die ältere Bevölkerung zunimmt, muss das Leistungsniveau der Pflegeversicherung zurückgehen. An deren Stelle tritt die ergänzende individuelle Eigenvorsorge in allmählich ansteigendem Volumen.
Diese Säule muss obligatorisch sein, um Versorgungslücken zu vermeiden. Die individuelle Vorsorge bei einem privaten Versicherungsunternehmen garantiert, dass der Kapitalstock vor dem Zugriff des Staates geschützt ist. Außerdem sollte die Pflegezusatzversicherung einkommensunabhängige Prämien und einen steuerfinanzierten Sozialausgleich vorsehen. So könnten ein Anstieg der Lohnzusatzkosten und die Belastung von Arbeitsplätzen vermieden werden. Gleichzeitig wäre eine Umverteilung zugunsten sozial Schwacher über das Steuersystem gerechter, denn sie würde alle Einkommensarten berücksichtigen. Bei Garantie einer Mindestabsicherung im Pflegefall sollte der Staat Vertragsfreiheit gewähren, damit das Leistungsniveau individuell gewählt werden kann und der Wettbewerb gestärkt wird.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist gut beraten, dem klugen Vorschlag ihrer jungen Abgeordneten zur Reform der Pflegeversicherung zu folgen. Die nächsten Monate bieten die letzte Chance, die Weichen für mehr Nachhaltigkeit zu stellen, bevor die Demografiefalle mit voller Wucht zuschnappt. Die Koalition hat lange genug gezögert – jetzt muss sie handeln!
Der Autor ist Generalsekretär des Wirtschaftsrates der CDU.
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