Start der Brexit-Verhandlungen: Auf die kluge Tour
Wer den Brexit so beeinflussen will, dass er nicht allzu schmerzhaft für Deutschland ist, muss an den Nutzen der übrigen Partner denken – und an den der Briten. Ein Kommentar.
Nein, „stark und stabil“, wie es sich Theresa May gewünscht hatte, wird die Position Großbritanniens in den am Montag beginnenden EU-Ausstiegsgesprächen vermutlich nicht sein. Aber tangiert uns das? Wenn für die Europäische Union Michel Barnier und für Großbritannien David Davis, jeweils an der Spitze ihrer Delegationen, einander gegenüber Platz nehmen, sitzt Deutschland allenfalls indirekt mit am Tisch. Barnier, der frühere Binnenmarktkommissar, verhandelt für das Resteuropa der 27, aber mit Sicherheit wird die Bundesregierung versuchen, auf den Gang des diplomatischen Prozesses Einfluss zu nehmen. Die engen wirtschaftlichen Beziehungen und Verflechtungen zwischen der Bundesrepublik und dem Vereinigten Königreich, die hohe Zahl der auf der Insel berufstätigen Deutschen zwingen Berlin geradezu, das Geschehen mit größter Wachheit zu verfolgen.
Klar ist: Die deutsche Wirtschaft, aber auch die deutsche Politik sind an einem harten Brexit, wie er Theresa May vorschwebte, als sie noch eine absolute konservative Mehrheit im Unterhaus hinter sich wusste, nicht interessiert. Da die Position der Premierministerin nun alles andere als „stark und stabil“ ist, haben Kompromisse mehr Chancen als früher. Andererseits wird der Rahmen der Gespräche, wie er seitens der EU einstimmig beschlossen wurde, detaillierte Einzelabmachungen etwa zwischen verschiedenen EU-Mitgliedern und Großbritannien unmöglich machen – oder, anders argumentiert, nur um den Preis des Bruches mit der EU erlauben. Die Kernsätze der Verhandlungsposition der Union sind: „Ein Nichtmitglied der Union, das nicht die gleichen Verpflichtungen wie ein Mitglied erfüllt, kann nicht die gleichen Rechte wie ein Mitglied haben oder die gleichen Vorteile genießen. (...) Nichts gilt als vereinbart, bevor nicht alles vereinbart ist. (...) Es wird keine separaten Verhandlungen zwischen einzelnen Mitgliedsstaaten und dem Vereinigten Königreich geben über Angelegenheiten, die im Zusammenhang mit dem Rückzug des Vereinigten Königreichs aus der Union stehen.“
Der "gute Hegemon" hat ausgedient
Dennoch: Nicht nur die engen Wirtschaftsbeziehungen verpflichten die deutsche Regierung geradezu, auch ein aus der EU ausgetretenes Großbritannien möglichst eng an Europa zu halten. Mit dem Inselreich verlässt eine der großen Volkswirtschaften das politische Bündnis Europa. Das erhöht zwangsläufig das Gewicht der anderen großen Nationen wie Frankreich, Italien, Polen – und Deutschland. Vor einigen Jahren kursierte in der deutschen Politik, aber auch in der Publizistik, auf Deutschland bezogen der Begriff des „guten Hegemons“. Damit verband sich vielleicht auch die Vorstellung von einer „europäischen Zentralmacht“, wie Herfried Münkler Deutschland, Hans-Peter Schwarzens Begriff verwendend, nannte: eine Macht, mit der und auf die andere Nationen rechnen würden.
Wolfgang Ischinger, der Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz, einer der erfahrensten deutschen Diplomaten, sprach daraufhin von der „Hegemoniefalle“, in die Deutschland in der ersten Griechenlandkrise prompt hineingetappt sei: Die rigorosen deutschen Sparforderungen an die Adresse Athens machten Angela Merkel und Wolfgang Schäuble in der griechischen Propaganda zu Erben des Naziregimes und erlaubten es Politik und Medien des Mittelmeerlandes, das hartherzige Deutschland als eigentlichen Verursacher des griechischen Dramas an den Pranger zu stellen. Aber es hilft nichts, wenn die Deutschen beleidigt sind, weil keiner sie liebt. So funktioniert Politik nicht. Politik ist im Idealfall Interessenausgleich und Rücksicht auf Schwache, und solange Europa das beachtete, war die EU auch erfolgreich.
Deutsche Softpower hat ihre Grenzen
So betrachtet war alleine die Brexit-Ankündigung schon ein heilsamer Schock. Europa besinnt sich wieder, und Ideen von Deutschlands Rolle in Europa wurden wieder auf ein der Realität nahes Maß heruntergeholt. Es ist kein Zufall, dass in diesen Tagen öfter ein alter Kissinger-Satz zitiert wird, wonach Deutschland für die Welt zu klein und für Europa zu groß sei. Als Angela Merkel nach dem G-7-Gipfel von Taormina und im Vorfeld des G-20-Gipfels in Hamburg ansatzweise versuchte, eine globale Front der Vernunft gegen die Trump’sche Exzentrik zu organisieren, bekam sie schmerzhaft zu spüren, dass die deutsche Softpower gegen die US-Hardpower chancenlos war.
Einmal, in der Flüchtlingskrise, hat die Kanzlerin gehandelt, als sei Deutschland vor allem sich selbst verantwortlich – und erlebte, dass die nicht konsultierten europäischen Nachbarn sie alleinließen. Nur in Abstimmung mit den anderen handeln, gute Dienste anbieten, sich eher klein als zu groß machen – man erinnert sich wieder der Methode Helmut Kohl in der Europapolitik, die beileibe nicht nur eine Scheckbuchpolitik war. Wer den Brexit so beeinflussen will, dass er nicht allzu schmerzhaft für Deutschland ist, muss immer an den Nutzen der übrigen Partner denken – und an den der Briten selbst. Wer mag heute wirklich sagen, ob es am Ende nicht noch einen Exit aus dem Brexit gibt?