Nerviger Tourismus: Auf der Suche nach dem Sündenbock
Touristen für die nervige Enge der Stadt verantwortlich zu machen, ist zu einfach. Stattdessen stünde den Einwohnern Selbstkritik gut zu Gesicht. Eine Kolumne.
Übertourismus in Berlin ist ein ernstes Problem. Die Enge stresst, leere Flaschen und To-Go-Salatschalen wuchern aus öffentlichen Mülleimern, Einkaufsmärkte für den täglichen Bedarf müssen Andenken-Shops weichen. Doch ist es tatsächlich der Overtourism, der nervt? Oder macht das Over-Platzhirsch-Gehabe der anderen Berliner das Leben noch schwerer?
Klar: Auf dem Hackeschen Markt proletet ein britischer Junggesellenabschied, an der Oberbaumbrücke müssen Radler ihr Wegerecht gegen Touristen aus den USA erstreiten. Im Schlosspark Charlottenburg lagern sommererschöpfte Japaner regelwidrig unter Bäumen, durch den Bergmannkiez drücken sich Second-Hand-Fans aus Frankreich und versperren den Weg. Sie alle machen die Stadt voll. Aber kaputt machen sie sie nicht allein.
Laut dem Chef der Schlösser- und Gärtenstiftung, Christoph Vogtherr, werden die Schlossparks weniger von Touristen als von Anwohnern beschädigt. Das illegale Grillen in den Parks ist ein klassischer Einheimischensport, genauso wie Hundekot-Liegenlassen und Falschparken auf Radwegen. Nächtliche Balkonpartys kommen in den besten Familien vor, und bei der alkoholisierten Rudelbildung vor dem S-Bahnhof Schlachtensee lässt sich nicht zuverlässig unterscheiden, ob Touristen oder Abiturienten den Ärger machen. Die Instagram-Stories aus dem Mauerpark – haben die nicht einen lokalen Akzent?
Vieles spricht dafür, dass die Berliner im Sommer auch und vor allem an sich selbst leiden. Potsdam wollte seine neue Stadtordnung in einem Bürgerprozess verhandeln. Gerade mal 70 Potsdamer beteiligten sich. Die meisten wollen unbehelligt im Park Tauben füttern dürfen. Von Selbstbeschränkung und Selbstkritik, die in wachsenden Städten für ein friedliches Zusammenleben notwendig sind, keine Spur.
Touristen zum Sündenbock für die nervige Enge der Stadt zu machen, ist einfach. Die fahren irgendwann wieder weg, und nichts ändert sich. Sich selbst zu prüfen, ob das eigene Verhalten angemessen ist, ist ungleich schwieriger. Am Ende müsste noch seine Umgangsformen dauerhaft ändern.
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