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Eine Minderheit. Flüchtlinge sind trotz aktueller Unterbringungsprobleme die kleinste Einwanderungsgruppe. Darauf wies Innenminister Thomas de Maizière am Dienstag hin. 60 Prozent der Zuwanderer kommen aus der Europäischen Union.
© Uwe Anspach/dpa

Einwanderungspolitik: Auf der Jagd nach Talenten

De Maizière: Wirtschaft muss mehr tun, damit qualifizierte Einwanderer Weg nach Deutschland finden Migrationsforscher sieht Schwellenländer als Konkurrenz bei der Werbung um Fachkräfte.

Innenminister Thomas de Maizière (CDU) verlangt von den Wirtschaftsverbänden mehr Engagement bei der Anwerbung von Fachkräften im Ausland. Bei einem von seinem Ministerium veranstalteten Zuwanderungskongress forderte de Maizière ein „Zuwanderungsmarketing“, für das der Staat nicht allein verantwortlich sein könne. Denn das beste Argument für die Einwanderung der Fachleute, die die deutsche Wirtschaft brauche, sei noch immer „ein Arbeitsplatz“, sagte er. Die Außenhandelskammern könnten „viel kreativer“ sein, wenn es um die Anwerbung von geeigneten Arbeitskräften für deutsche Unternehmen gehe, meinte der Minister. Die deutsche Wirtschaft sei in der Lage, ihre Produkte in alle Welt zu exportieren, aber sie sei wenig kreativ, wenn es darum gehe, „Menschen zu importieren“.

Der Innenminister ließ keinen Zweifel daran, dass „Deutschland ein Einwanderungsland“ ist. Er nannte es sogar ein „modernes Einwanderungsland“. Und dass Zuwanderung notwendig sei, um den Fachkräftemangel zu bewältigen. Allerdings sieht er bei der Wirtschaft noch große Defizite. 60 Prozent der deutschen Unternehmen hätten noch nie einen Auszubildenden mit Migrationshintergrund eingestellt, bemängelte de Maizière. „Ist da der Staat schuld?“, wollte er wissen. Er und Forschungsministerin Johanna Wanka (CDU) hätten im vergangenen Jahr 3000 Schulen angeschrieben, um Jugendliche mit Migrationshintergrund für den öffentlichen Dienst zu begeistern. Die Schulabschlüsse vieler Jugendlicher mit ausländischen Wurzeln würden besser, aber „auf dem Arbeitsmarkt zahlt sich das oft noch nicht aus“, sagte er. Außer in der Fußballnationalmannschaft könne Deutschland den Jugendlichen wohl noch nicht von sich sagen, dass „alles was zählt, deine Leistung ist“.

De Maizière hält ein Einwanderungsgesetz für überflüssig

De Maizière hält ein Einwanderungsgesetz für herzlich überflüssig. Er verwies auf eine Vielzahl von gesetzlichen Änderungen und Verbesserungen im Zuwanderungsrecht. „In Deutschland reden wir zu viel über das Erlauben und zu wenig über das Einladen, das Ankommen und das Integrieren“, sagte er. Die Diskussion sei richtig, werde aber am falschen Objekt, nämlich einem neuen Gesetz, geführt. In Deutschland glaubten immer alle, es reiche, ein neues Gesetz zu machen. „Aber dann fängt die Arbeit eigentlich erst an.“ Damit meint de Maizière die Zuwanderung selbst, die Werbung um qualifizierte Einwanderer, die Haltung, mit der sie aufgenommen würden, und die Integrationsbereitschaft der Neubürger.

Die Werbung um qualifizierte Zuwanderung müsse schon damit beginnen, „dass das Interesse an der deutschen Sprache im Ausland erhöht“ werde, sagte er weiter. Zudem hofft de Maizière, dass auch die bereits in Deutschland lebenden Einwanderer in Zukunft als Botschafter für ihr neues Land wirken.

Innenminister Thomas de Maizière (CDU) will über Deutschland als Einwanderungsland reden. Deshalb hat er am Dienstag mit dem Chef des Instituts für Migrationspolitik, Demetrios Papademetriou (links) diskutiert.
Innenminister Thomas de Maizière (CDU) will über Deutschland als Einwanderungsland reden. Deshalb hat er am Dienstag mit dem Chef des Instituts für Migrationspolitik, Demetrios Papademetriou (links) diskutiert.
© Jörg Carstensen/dpa

"Eine tolerante und sichere Gesellschaft"

Professor Demetrius Papademetriou, der das Institut für Migrationspolitik in Washington leitet, nannte als wichtige Kriterien für die Einwanderungsentscheidung von qualifizierten Fachleuten, dass noch andere talentierte Menschen in dem künftigen Gastland arbeiten, dass es gute Universitäten und Forschungseinrichtungen gebe, und „die Möglichkeit durch eigene Leistung reich zu werden“. Diese Bedingung erfüllten derzeit eigentlich nur die USA, meinte er. Ein faires Sozialsystem, eine gute Umwelt, eine tolerante und sichere Gesellschaft, die den Wert von Vielfalt zu schätzen wisse, nannte er als weitere Voraussetzung für eine erfolgreiche Anwerbung. Zudem müsse der Weg von der Einwanderung zur Staatsbürgerschaft klar und nachvollziehbar sein und es müsse Arbeitsmöglichkeiten für die Angehörigen geben.

Demetrius Papademetriou, warnte, dass „alle“ versuchten, „das Bestmögliche aus der Zuwanderung herauszuholen“. Die Konkurrenz um die Talente sei groß. Neben den klassischen Einwanderungsländern USA, Australien und Kanada, die zu de Maizières Bedauern den Vorteil hätten, englischsprachig zu sein, gebe es mehr und mehr „neue Spieler im Einwanderungssystem“, sagte Papademetriou. Wenn China anfange, um die Besten zu werben, werde es Deutschland und anderen klassischen Industrieländern immer schwerer fallen, die größten Talente ins Land zu holen, meinte er. Er nannte zudem Brasilien aber auch Mexiko, die Türkei und Marokko als Länder, in die mehr und mehr Menschen einwandern wollten, weil deren Wirtschaft dynamisch wachse. Wenn Deutschland also weiter erfolgreich um die „richtige Zuwanderung“ werben wolle, müsse das Land mehr bieten, als das, was alle zu bieten hätten.

"Ich vermisse die Emotionalität"

So weit waren die Fachleute, die beim Zuwanderungskongress über Deutschland als Einwanderungsland diskutieren sollten, jedoch noch lange nicht. Nihat Sorgec vom Bildungswerk Kreuzberg lobte de Maizières Vortrag als „sehr deutsch, sehr sachlich, sehr strukturiert“, aber: „Ich vermisse die Emotionalität.“ Es müsse doch darum gehen, die Herzen der Einwandererkinder der dritten und vierten Generation zu gewinnen und sie zu überzeugen, „dass Deutschland auch ihre Heimat ist“, sagte er.

Lala Süßkind, die ehemalige Vorsitzende der jüdischen Gemeinde in Berlin, lobte das Bildungsbewusstsein der jüdischen Einwanderer aus Russland. Sie würden all ihr Geld in die Bildung der Kinder stecken. Darauf sei sie stolz. Das machten die türkischen und arabischen Eltern nicht, kritisierte sie. „Dabei wird ihnen alles nachgeworfen. Die Schule und die Hochschulen sind ja sogar kostenlos“, sagte sie. Kitas „müssten Pflicht werden“. Wer die Kinder nicht hinschicke, verdiene auch kein Kindergeld, sagte Süßkind.

Professor Ruud Koopmans, vom Wissenschaftszentrum Berlin, wiederum macht sich Sorgen um die "Akzeptanz des Islam" in Deutschland. Er hat vergleichende Studien in sechs europäischen Ländern zu den Einstellungen von europäischen Muslimen gemacht. Mehr als 6000 Muslime seien befragt worden, sagte er. 45 Prozent davon hingen einer fundamentalistischen Glaubensauffassung an, die intolerant gegenüber anderen Gruppen sei. Sie seien der Meinung, es gebe nur eine richtige Interepretation des Koran und die Regeln des heiligen Buches seien wichtiger als die Gesetze des jeweiligen Landes. 40 Prozent der befragten Muslime hätten zudem eine offen antisemitische Einstellung, sie hatten geantwortet, Juden könne man nicht trauen. 50 Prozent sind zudem der Meinung, der Westen wolle den Islam vernichten. Zwischen fünf und zehn Prozent der Muslime seien auch bereit, zur Verteidigung ihres Glaubens Gewalt anzuwenden, sagte Koopmans.

Thomas de Maizière hatte zu Beginn der Konferenz gesagt, „ohne Konflikte gibt es keine Integration“. Sein Kongress bestätigte die These.

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