Flüchtlinge in Deutschland: Innenminister Thomas de Maizière - sein größtes Problem kommt von außen
Die Zahl der Flüchtlinge steigt - darin steckt Sprengkraft für die Politik. Das ist auch dem zuständigen CDU-Innenminister Thomas de Maizière klar. Heute lädt er zu einem Flüchtlings- und Migrationskongress nach Berlin ein.
Wer umzieht, der bricht bekanntlich auch immer ein bisschen auf zu Neuem. Man sortiert aus, lässt Altes zurück, gewinnt an neuen Orten neue Perspektiven. Das ist im Privaten so und im Beruf wahrscheinlich auch.
Samstag in acht Tagen zieht Thomas de Maizière um. Und mit dem Bundesinnenminister zieht sein ganzes Ministerium. Raus aus der Enge des Moabiter Hinterhofs hinein ins Zentrum der Macht. Mitten drin im Regierungsviertel steht das neue Ministerium. Auf der einen Seite der Berliner Hauptbahnhof, auf der anderen der Reichstag. Imposant ist es, das Haus, in das der Minister zieht, mächtig in seinen Ausmaßen, stolz die helle Natursteinfassade. Und was man nicht unterschätzen soll: Nur ein Steinwurf entfernt steht das Kanzleramt. Man könnte sagen: Kaum einer im Kabinett ist jetzt Angela Merkel so nah wie Thomas de Maizière, ihr Minister für die innere Sicherheit Deutschlands, für Flüchtlinge, für die Abwehr von islamistischen Bedrohungen und Gewalt, von rechts wie von links.
Für Thomas de Maizière ist der Umzug mehr als ein Ortswechsel. Als Innenminister rückt er auch inhaltlich ins Zentrum der Aufmerksamkeit. In Syrien tobt der Krieg, auch aus anderen Teilen der Welt strömen Tausende Flüchtlinge nach Deutschland, aus Afrika über das Mittelmeer und aus dem Süden Europas kommend auch über Land. Sie suchen hier ein sichereres, besseres Leben. Das ist die eine Seite.
Die andere: Der anschwellende Strom der Asylbewerber muss bewältigt werden, Unterkünfte müssen her, Integration muss organisiert werden und vor allem steigt mit jedem Flüchtling die Angst der Einheimischen. Was kostet das? Was heißt das für die Sicherheit und die gewohnten Abläufe in unserem Gemeinwesen? In Massendemonstrationen von Pegida, Anfeindungen von Kommunal- und Migrationspolitikern und Gewaltakten gegen Flüchtlinge und ihre Unterkünfte machen sich zunehmend Spannungen Luft.
Immer mehr richtet sich der Blick auf den Mann, der für all das verantwortlich ist: Thomas de Maizière. Von ihm erwartet man jetzt nicht nur, dass er marodierenden Diebesbanden das Handwerk legt und gegen islamistische Hetzer und Hintermänner zu Felde zieht. Er soll auch den wachsenden Flüchtlingsstrom organisieren, mehr Geld für Unterbringung und Integration besorgen und verängstigte wie verärgerte Bürger beruhigen.
Der Umfang des Zustroms von Menschen verändert das Land, man spürt das. Es geht um mehr als um ein paar temporär aufgestellte Wohncontainer: Mehr Fremdes bedeutet mehr Veränderung. Müssen neue Einwanderungsgesetze her, neue Regeln für Integration? Selten stand ein Innenminister vor einer so großen Aufgabe. Und selten hing die politische Stimmung so sehr davon ab, wie ein Minister in der Lage ist, mit den widerstreitenden Kräften im Land umzugehen.
Man gibt ihm eine Aufgabe, er arbeitet sie ab
Wer de Maizière beobachtet, erkennt rasch, dass der Mann den Umfang der Aufgabe erkannt hat. Längst ist ihm klar, welche Sprengkraft in der Flüchtlingswelle steckt. Und er begegnet ihr – auf seine Weise: ruhig, zurückhaltend, mit ordnender Hand. Lange war er unglücklich darüber, dass ihn Ursula von der Leyen aus seinem Amt im Verteidigungsministerium gedrängt hat. Das scheint vorbei zu sein. Der Innenminister sieht nicht mehr aus wie einer, der ein Rennen verloren hat. Was vielleicht auch daran liegen mag, dass Ursula von der Leyen jetzt seltener mit großer Geste die Bundeswehr zur Familienarmee umbauen will und die neue Verantwortung Deutschlands in der Welt ausruft. Aber vielleicht tut Thomas de Maizière auch einfach nur das, was er immer getan hat in den letzten Jahrzehnten: Man gibt ihm eine Aufgabe, er arbeitet sie ab.
Im Augenblick setzt er sich, wann immer es geht, ins Auto und fährt durchs Land, spricht mit Bürgermeistern über ihre Probleme bei der Unterbringung der Flüchtlinge und stellt sich in regionalen Veranstaltungen den Fragen und Beschwerden der Leute. Er meidet das Rampenlicht, wo immer es geht, große Auftritte sind nicht seine Sache. Als Ende vergangenen Jahres die Pegida-Proteste in Sachsen auf ihrem Höhepunkt waren und seine Parteifreunde der CDU noch lautstark jeden Kontakt mit den Demonstrierenden ablehnten, da warnte de Maizière davor, aus den Dresdnern auf der Straße eine reaktionäre Horde Rechtsradikaler zu machen. „Man muss mit den Leuten reden“, sagte er seinerzeit. Und er tat es dann auch. In Dresden, in Meißen und anderswo.
Seine Politik gleicht einer Art politischer Verwaltung
Die Orte, an denen er überzeugen kann, sind meist überschaubar, die Argumente konkret, seine Politik gleicht einer Art politischer Verwaltung. Das Überwölbende, Grundsätzliche, das entgleitet ihm leicht. Wie neulich, als ausgerechnet er, dessen Kreuz nie weiter als ein paar Meter von seinem Schreibtisch entfernt an der Wand hängt, in heftigen Streit mit den Kirchen geriet. Nicht wegen der Sache an sich. Wohl aber wegen unüberlegter Worte, die er später mühsam einsammeln musste. Es ging um das Kirchenasyl und die Frage, wie weit die Kirchen die aus einem Akt der Menschlichkeit geduldeten Ausnahmen vom Asylgesetz nutzen oder eben ausnutzen. Da wollte de Maizière eigentlich nichts anderes, als die Kirchenvertreter zum verantwortlichen Umgang mahnen und geriet dann mit einem „Scharia“-Vergleich des Kirchenasyls in heftigste Kritik.
Man darf annehmen, dass ihm das eine Lehre gewesen ist. Bei der Durchsetzung einer neuen Regelung zur Vorratsdatenspeicherung ging er anders vor: Erst leises Ringen mit den Sozialdemokraten, dann zurückhaltende Kommentierung der Bereitschaft von Justizminister Heiko Maas (SPD), ein Gesetz vorzulegen. Das Thema ist ein Dauerbrenner bei den hartgesottenen Innenpolitikern der Union, wenn de Maizière es schafft, die SPD zu einem Gesetz zu bewegen, hat er sich die Unterstützung in den eigenen Reihen auch in anderen Bereichen gesichert.
Die Kommunen machen Druck - sie wollen Geld für Unterkünfte
Nur nicht polarisieren, heißt auch die Taktik im Streit mit Ländern und Kommunen. An diesem Dienstag hat de Maizière Betroffene, Wissenschaftler und Akteure zu einem ganztägigen Flüchtlings- und Migrationskongress nach Berlin eingeladen. Die Kommunen machen seit Tagen Druck: Sie verlangen, dass de Maizière ihnen mehr Geld für den Bau von Unterkünften gibt. Eigentlich hatte der Innenminister das nicht vor, schließlich hat der Bund den Akteuren vor Ort gerade erst einige hundert Millionen zugesagt. Doch nun spricht der Minister plötzlich von „Offenheit“ für weitere Verhandlungen. Der Verdacht von Kleinlichkeit und Dogmatik der Bundesregierung in einer Zeit, in der die Stadtverwaltungen nicht wissen, wie sie die ankommenden Flüchtlinge unterbringen sollen, soll nicht aufkommen. Sofort Schaum auf das glimmende Hölzchen pumpen, so könnte man de Maizières Taktik auch nennen. Auf dass ein Brand gar nicht erst entstehen kann.
Manche nennen diese Art, Politik zu machen, sachorientiert und schätzen sie. Manche finden sie einfach langweilig und werfen de Maizière vor, er setze sich nicht stark genug für die Interessen der eigenen Leute ein. In den Polizeigewerkschaften zum Beispiel herrschte lange Zeit Unzufriedenheit mit dem Minister, weil man von ihm selten hören konnte, dass die Polizei für wachsende Aufgaben auch mehr Geld benötigt. Still wurde es erst, als der Minister nach zähen Verhandlungen mit dem Finanzminister eine stattliche Zahl neuer Stellen für die Bundespolizei heraus verhandelt hat.
Er ist kein Politiker mit wortgewaltigen Visionen
Auch in seiner Union wünschten sich viele mehr und deutlichere Worte von ihrem Innenminister, sähen ihn gern als leuchtenden Vorkämpfer für ein weltoffenes Deutschland mit einem neuen Einwanderungsgesetz und klareren Regeln für alle, die hierher kommen. Sie alle werden wahrscheinlich enttäuscht. Thomas de Maizière ist kein Politiker, der wortgewaltig Visionen entwickelt und in seinem Tun weit in die Zukunft greift. Er war es nicht, als er zum ersten Mal Innenminister war, er tat das nicht, als er Verteidigungsminister wurde, und es sieht auch jetzt nicht so aus, als ob er mit großen politischen Szenarien aufwarten wird.
Und manchmal ist es vielleicht auch für einen Innenminister wichtiger abzutauchen, als dass er vor die Fernsehkameras drängt. Als vor einigen Wochen die Germanwings-Maschine über den französischen Alpen abstürzte, da wunderten sich viele, warum ausgerechnet der Verkehrsminister mit der Bundeskanzlerin an den Unglücksort eilte und nicht der Innenminister. De Maizière war sich der Erwartung an ihn sofort bewusst, hat aber nur einen Moment später entschieden, vorerst öffentlich nicht in Erscheinung zu treten. Der Grund war ganz einleuchtend: Zunächst konnte nicht ausgeschlossen werden, dass hinter dem Absturz ein Anschlag, womöglich mit islamistischem Hintergrund steckt. Wäre der Bundesinnenminister nach Frankreich geflogen, hätten solche Spekulationen sofort die Runde gemacht und die Öffentlichkeit in Unruhe versetzt.