Der Anschlag und die Folgen: Auf den Terror von Halle sind Reflexe keine gute Antwort
Die Trauer mischt sich schnell mit politischen Erklärungen. Das ist nicht hilfreich – auch wenn die AfD viele Anlässe dafür gegeben hat. Ein Kommentar.
Für eine Tat, für die es keine Worte geben soll, sind schon am Tag danach viele gefunden. Während Hintergründe ermittelt, Zeugen befragt und Motive erforscht werden, während Angehörige trauern und Amtschefs kondolieren, sortiert sich die Politik nach den Schüssen in Halle und tut so, als sei die Zeit der Ungewissheit und der Fragen vorbei und die der Antworten gekommen. Schuld, zumindest Mitschuld, sei der Rechtspopulismus, insbesondere in seiner Partei gewordenen Gestalt, der AfD.
Außer dem Entsetzen über die Tat mag hier die eine oder der andere ein Unbehagen empfinden, inwieweit solche Vorwürfe so kurz danach hilfreich dabei sind, das Geschehen zu erfassen. Ein junger Mensch war drauf und dran, in Deutschland das schlimmste Massaker an jüdischen Bürgerinnen und Bürgern seit dem Holocaust zu begehen. Weil er dazu, dem Himmel sei Dank, nicht imstande war, tötete er in seinem unbedingten Willen zur Vernichtung andere. Niemand hatte ihm etwas getan. Nicht die, die jetzt tot sind, und auch nicht die, die in der Synagoge den jüdischen Versöhnungstag feierten.
Es macht wohl alles einfacher, als Erklärung für das Unbegreifliche das törichte Gerede eines Alexander Gauland vom „Vogelschiss“ der Nazi-Diktatur heranzuziehen. Oder Nazi-Politiker aus den Reihen seiner Partei dafür verantwortlich zu machen, wie Björn Höcke und Genossen. Doch schnell können solche Deutungsmuster auch gegen jene verwendet werden, die sie jetzt benutzen.
Wie sähe die politische Diskussion am heutigen Tag aus, wenn es ein muslimischer Asylbewerber gewesen wäre, der in religiösem Hass mit Waffen auf die feiernden Juden losgegangen wäre? Nicht wenige Politiker, die jetzt auf die AfD zeigen, hätten womöglich deren Wählerinnen und Wähler mit flüchtlingskritischem Vokabular zu umarmen versucht. Schuld oder mitschuldig an Morden und Mordversuchen wäre dann nicht die AfD, es wären Merkel, Grenzöffnung und Islam gewesen.
Solche Erwägungen können die Rechtspopulisten weder freisprechen noch entlasten. Sie sind es, die es erreicht haben, ausländer- und minderheitenfeindlichen Ressentiments eine parlamentarische Stimme zu geben, die Antisemitismus dulden und ihn damit verstärken, die aus taktischem Kalkül Konflikte schüren. Sie haben keine Ahnung davon, dass es die herausragende politische Kunst ist, Kompromisse zu schließen und Frieden zu wahren.
Die AfD verdient jede Kritik, auch die überzogene
Die Stimmung gegenüber Ausländern, Muslimen und Juden ist jedenfalls nicht besser geworden mit dem Aufstieg dieser AfD. Dass mindestens Teile der Partei auf diesen Befund vermutlich auch noch stolz sein dürften, ihn als Ergebnis ihrer Arbeit betrachten, belegt, dass sie jede Kritik verdient, auch die überzogene.
Trotzdem macht es den Terror mächtiger, wenn man ihn ausschließlich politisch reflektiert. Um welche Art von Terror geht es hier überhaupt? Soweit bekannt, war hier ein 27-jähriger Mann am schrecklichen Werk, dem Attentate wie in Norwegen und Neuseeland die Vorlage geliefert haben. Es kursiert auch eine Schrift, die Zeugnis von den Hassverwirrungen des Schützen ablegen soll.
Möglich aber auch, dass hier ein sozial Entgleister auf dem Weg in den Suizid war, in finaler Kämpferpose wie in einem Videospiel. Denkbar, dass hier alles zusammenkommt: Internet, Live-Video, Extremisten-Chats und Breivik-Kult. Massenmord als globales Spiel und Inszenierung; Judenhass als Motiv, weil er im multimedialen Angebot auf der Playlist war.
Bedrohte müssen spüren, dass sie Teil einer Gemeinschaft sind
Dies alles würde den Taten nichts von ihrem Schrecken nehmen. Aber möglicherweise etwas von ihrem politischen Gewicht. Es ist sicher richtig, dass nicht nur der Verfassungsschutz seine Mittel gegen Rechtsextremismus aufstockt und auch sonst viel getan wird, um Risiken zu reduzieren. Es wird auch so kommen, dass kein jüdisches Versöhnungsfest mehr ohne Polizei gefeiert wird.
Dennoch wäre jetzt das Wichtigste, Bedrohte und Ausgegrenzte spüren zu lassen, dass sie in Deutschland Teil einer Gemeinschaft sind. Schaffen wir das?