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Hass im Netz - wenn Gesetze verletzt werden, muss die Justiz handeln.
© imago/Ralph Peters

Hass gegen Walter Lübcke: Auch Tote haben eine Würde – das gilt auch im Internet

Die Staatsanwaltschaft Kassel ermittelt nach dem Tod von Walter Lübcke gegen Hetzer im Netz – aber was tun mit ihnen? Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Malte Lehming

Die sozialen Medien sind wie ein Stammtisch, auf dem Mikrofone stehen, die das Gesagte auf Lautsprecher übertragen, die den Marktplatz beschallen. Was früher im kleinen Kreis ausgesprochen wurde, dröhnt nun ungefiltert in die Öffentlichkeit hinein. Sind die Menschen böser und aggressiver geworden? Wahrscheinlich nicht. Aber heute sind die Mördergruben sichtbar, aus denen manch ein Herz besteht.

Der Regierungspräsident von Kassel, Walter Lübcke, war vor wenigen Tagen zuhause per Kopfschuss ermordet worden. Die Hintergründe des Verbrechens sind noch unklar. Allerdings hatte Lübcke wegen seiner toleranten Flüchtlingspolitik im rechten und rechtsextremen Milieu viele Feinde. Sie beschimpften ihn als „Volksverräter“, schickten Morddrohungen. Vorübergehend stand er deshalb unter Polizeischutz. Nach seiner Ermordung jubeln diese Kreise. Dutzende Kommentatoren äußern auf Facebook und Youtube ihre Genugtuung über die Tat. Einige rufen dazu auf, weitere Politiker zu ermorden. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat diese Reaktionen als zynisch, geschmacklos, abscheulich und widerwärtig kritisiert.

Steinmeier hat Recht. Zuvorderst aber ist die Justiz gefragt. Die Aufforderung, Straftaten zu begehen, sowie deren Belohnung und Billigung ist in Deutschland verboten. Verboten ist ebenso die Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener. Denn auch Tote haben eine Würde. Sie wird durch das postmortale Persönlichkeitsrecht geschützt. Ob die Verunglimpfung im Internet stattfindet oder in der analogen Welt, ist unerheblich.

Rechtsverstöße auf sozialen Plattformen sind schwer zu verfolgen

Die Staatsanwaltschaft Kassel hat schnell reagiert und die ermittelnde Sonderkommission von 20 auf 50 Personen aufgestockt. Das weist in die richtige Richtung. Doch immer noch ist es sehr aufwändig, Rechtsverstöße zu verfolgen, die auf sozialen Plattformen begangen werden. Das fängt bei der Identitätsermittlung an und hört bei der oft mangelhaften Kooperationsbereitschaft der Plattformbetreiber nicht auf. Keiner, der die Grenzen der Meinungsfreiheit im Internet überschreitet, darf sich im Glauben wiegen, ihm passiere schon nichts.

Die Erschütterung, die der Fall Lübcke verursacht, lassen sich nicht weganalogisieren. Hatte nicht selbst Angela Merkel einst gesagt: „Ich freue mich darüber, dass es gelungen ist, Bin Laden zu töten.“? Das wurde ihr als Pietätlosigkeit angekreidet. Aber es ist zweifelhaft, ob die Tötung Osama bin Ladens eine Straftat war, laut Kriegsrecht dürfen befehlsgebende Hintermänner durchaus gezielt getötet werden. Am ehesten vergleichbar wäre allenfalls die „klammheimliche Freude“ des Göttinger „Mescalero“ über die Ermordung von Generalbundesanwalt Siegfried Buback durch die Rote Armee Fraktion. Zwei Jahrzehnte später gab sich der Verfasser des Nachrufs gegenüber dem Sohn des Ermordeten zu erkennen und bat diesen um Entschuldigung.

Ankündigung von Youtube klingt honorig

Hass und Hetze müssen aus den sozialen Netzwerken verbannt werden: Das wird immer öfter gefordert. Youtube hat jetzt angekündigt, Videos zu verbieten, in denen Menschen wegen ihres Alters, ihrer Rasse, Religion oder sexuellen Orientierung diskriminiert werden. Das klingt zwar honorig, öffnet der Willkür aber Tür und Tor. Darf Annegret Kramp-Karrenbauer demnächst nicht mehr gezeigt werden, wenn sie gegen die „Ehe für alle“ argumentiert? Darf Papst Franziskus nicht mehr begründen, warum er gegen die Frauen-Ordination ist? Und wer entscheidet, welche Religionskritik diskriminierend ist?

Wer Gesetze verletzt, die die Meinungsfreiheit begrenzen, muss bestraft werden. Die Öffentlichkeit indes muss aushalten, was nicht verboten ist. Manches davon schmerzt und empört, manches ist diskriminierend. Aus den sozialen Diensten aber einen aseptischen Kuschelraum machen zu wollen, tendiert ins Totalitäre. Weder die Lautsprecher auf den Marktplätzen noch die Mikrofone auf den Stammtischen werden je wieder verschwinden.

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