Tourismusboom in Berlin: Auch Gästen muss man Grenzen setzen
Touristen bringen viel Geld - machen aber auch viel Lärm, Arbeit und beanspruchen Platz. Ein nachhaltiger Erfolg wird der Tourismus nur, wenn er stadtverträglich wird. Ein Kommentar.
Die neuesten Zahlen bestätigen das Gefühl: Im ersten Halbjahr 2017 sind wieder einmal mehr Touristen in die Stadt gekommen als bei der Bilanz zuvor, und auch wenn die Zahlen nur unterdurchschnittlich um 1,8 Prozent steigen – Berlin bleibt eines der beliebtesten Städtereiseziele.
Einerseits bringen die Touristen viel Geld in die Stadt: Der Umsatz wird offiziell mit 11,58 Milliarden Euro angegeben, alleine in den vergangenen zwei Jahren stieg er um eine Milliarde. Andererseits nehmen Touristen den Werbeslogan „365/24“ gerne wörtlich und machen Krach rund um die Uhr. Sie verstopfen mit ihren Bussen und Kutschen, auf Rädern und zu Fuß die Straßen, verdrängen Mieter, lassen die Preise steigen und die Warteschlangen vor Museen wachsen. Immer mehr Bewohner fragen deshalb: Muss nicht auch eine „Stadt der Freiheit“, als die sich Berlin vermarktet, ihren Gästen Grenzen aufzeigen?
Berlin bräuchte dringend so etwas wie einen Hotel-Entwicklungsplan, der es in besonders betroffenen Gebieten ermöglichen würde zusätzliche Hotelanlagen zu verhindern
schreibt NutzerIn geruempelsynchronisierer
In Spanien, vor allem in Barcelona, wo der Ansturm von Touristen ebenfalls als Beeinträchtigung des Lebens wahrgenommen wird, geben Aktivisten darauf zur klammheimlichen Freude auch bürgerlicher Bewohner ihre eigene Antwort: Sie stoppen voll besetzte Reisebusse und besprühen deren Scheiben mit Parolen, sie zerstechen die Reifen von Mietfahrrädern, blockieren Tourismuszentralen.
Willkommenskultur ist kein absoluter Begriff - Luxus auch nicht
In Berlin gab es in diesem Sommer bisher nur kleinere Proteste gegen die Rollkofferarmada, vor allem Graffitis; vielleicht sind die Heimatverteidiger auch noch erschöpft vom Einsatz in Hamburg und entspannen ein paar Tage, zum Beispiel als Billig-Touristen in Barcelona. Aber die Vermutung ist nicht zu gewagt, dass auch hier der Konflikt eskalieren wird. So erregt die für September geplante Eröffnung eines „Luxushotels“ am Kreuzberger Oranienplatz (Preise pro Nacht zwischen 202 und 742 Euro) bereits jetzt die Nachbarschaft. Der Ort ist symbolisch ohnehin schon besetzt: Schräg gegenüber campierten hier noch vor zwei Jahren aus Protest gegen ihre Behandlung Dutzende Flüchtlinge. Willkommenskultur ist eben kein absoluter Begriff, ebenso wenig wie Luxus.
Vom Senat ist zum Thema nicht allzu viel zu erwarten, jedenfalls nicht kurzfristig. Im Koalitionsvertrag heißt es: „Das Tourismuskonzept Berlins wird hinsichtlich eines langfristig stadtverträglichen und nachhaltigen Tourismus aufgestellt und mit einem zielorientierten Maßnahmenplan unterlegt.“ Das ist allenfalls zur einschläfernden Nachtlektüre geeignet, wenn nicht unten auf der Straße gerade wieder eine Spontanparty läuft.
Schluss mit der Jammerei! Nutzen wir lieber die Möglichkeiten, die uns erst durch die Anwesenheit so vieler Touristen gegeben werden! Übrigens sind die Schlangen am Louvre, im Vatikan oder an der Eremitage viel länger, als alles, was ich je in Berlin erlebt habe.
schreibt NutzerIn heiko61
Zwischen Freiheit und Rücksichtslosigkeit verläuft ein schmaler Grat
Für Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) ist der Tourismus „eine Erfolgsgeschichte“, von der die ganze Stadt profitiert; ihre Parteifreundin Monika Herrmann, Bürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg, fühlt sich dagegen „in einer Art Disneyland“, in dem die Einheimischen nur noch Statisten sind. In diesem Spannungsfeld entsteht eine Haltung, die in ihrer Abwehr und Selbstgenügsamkeit etwas zutiefst Kleingeistiges hat. Sie wird gespeist von einem weitgehend ungeregelten Tourismus, der wiederum nicht etwa angezogen wird von Großereignissen oder Spektakulärem, sondern vom Versprechen „der Freiheit und der Toleranz“ (Pop) – und sich entsprechend rücksichtslos verhält. So frisst sich die Erfolgsgeschichte mit der Zeit selber auf. Irgendwann geht die Party zu Ende, weil sie zu langweilig wird und zu teuer – auch für die Statisten.
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