Getöteter saudischer Journalist: Auch CIA macht Kronprinz für Khashoggi-Mord verantwortlich
Trumps Vize verschärft den Ton gegenüber den Saudis. Der türkische Präsident Erdogan will den Thronfolger unter Druck setzen. Doch der ist nahezu unangreifbar.
Mehrere hundert Gläubige haben sich am Freitag nach dem islamischen Mittagsgebet auf dem Hof der Istanbuler Fatih-Moschee zu einer Trauerfeier versammelt – doch der Marmortisch, auf dem normalerweise der Sarg des Verstorbenen aufgebahrt wird, blieb leer. Mit dem Totengebet vor einer der größten Moscheen der türkischen Metropole wurde der saudische Journalist und Dissident Jamal Khashoggi geehrt, der am 2. Oktober im saudischen Konsulat von Istanbul ermordet worden war. Das Gebet war mehr als eine religiöse Geste angesichts der Tatsache, dass eine Beisetzung Khashoggis nicht mehr möglich ist, weil seine Leiche offenbar in einem Säurebad aufgelöst wurde.
Die Feier war zugleich eine politische Demonstration gegen Saudi-Arabien. Mehr als sechs Wochen nach Khashoggis Ermordung durch saudische Agenten zeichnet sich allerdings ab, dass der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan sein Ziel, den Rücktritt des saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman zu erzwingen, wohl verfehlen wird. Der Thronfolger ist zwar geschwächt, dürfte den Skandal jedoch politisch überleben.
Die Staatsanwaltschaft in Riad fordert jetzt die Todesstrafe für fünf Beschuldigte. Aus Sicht der Türkei handelt es sich aber um bloße Bauernopfer, mit denen Mohammed bin Salman, genannt MBS, aus der Schusslinie gebracht werden soll. Die Befehlsgeber müssten genannt werden, fordert Außenminister Mevlüt Cavusoglu – und meint damit den 33-jährigen Thronfolger, einen erklärten Gegner der Türkei.
Den vermutet auch der US-Geheimdienst CIA hinter der Tötung Khashoggis. Wie die „Washington Post“ berichtet, stützt sich die CIA unter anderem auf ein Telefonat zwischen dem Bruder des Kronprinzen und Khashoggi selbst. Khalid bin Salman, saudischer Botschafter in den USA, habe dem Regierungskritiker in dem Gespräch gesagt, dass er in das Konsulat nach Istanbul gehen soll, um Dokumente abzuholen, schrieb die Zeitung. Dies sei sicher, habe er Khashoggi zugesichert. Den Anruf des Botschafters soll sein Bruder, der Kronprinz, angeordnet haben. Unklar ist aber, ob der Botschafter davon wusste, dass Khashoggi ermordet werden würde.
Khalid bin Salman selbst schrieb auf Twitter, er habe nicht mit Khashoggi am Telefon gesprochen und er habe ihm auch nicht empfohlen, in die Türkei zu reisen. Sein letzter Kontakt mit dem Journalisten sei am 26. Oktober 2017 per Textnachricht gewesen. Die „Washington Post“ schrieb, der Anruf sei von US-Geheimdiensten abgehört worden. Auch das „Wall Street Journal“ berichtete über die Einschätzung der CIA. Die Zeitung zitierte eine Quelle mit den Worten, die Tötung des Journalisten sei ohne die Beteiligung des Kronprinzen nicht möglich gewesen.
USA prüfen offenbar Gülen-Auslieferung an die Türkei
Ankara will den Thronfolger weiter unter Druck setzen. Die Zeitung "Hürriyet" meldet, ein bisher unbekannter Audiomitschnitt belege, dass die saudischen Agenten mit der festen Absicht nach Istanbul kamen, den Journalisten zu töten. Saudi-Arabien spricht dagegen von einem Entführungsversuch, der bedauerlicherweise mit Khashoggis Tod endete. Da die Türkei bei ihrer harten Linie bleibt, prüft die US-Regierung, die Sanktionen gegen 17 verdächtige Saudis verhängt hat, nach Medienberichten eine Auslieferung des Erdogan-Erzfeindes Fethullah Gülen an die Türkei für den Fall, dass Ankara den Kronprinzen in Ruhe lässt. Die Erdogan-Regierung lehne einen solchen Deal jedoch ab, hieß es in der türkischen Hauptstadt.
US-Vizepräsident Mike Pence verschärfte am Samstag den Ton gegenüber den Saudis. „Die USA sind entschlossen, alle zur Rechenschaft zu ziehen, die für diesen Mord verantwortlich sind“, sagte er am Rande des Asien-Pazifik-Gipfels in Papua-Neuguinea. Pence sprach von einer „Gräueltat“, die auch ein Affront gegen die Presse- und Meinungsfreiheit gewesen sei. Die USA würden sich in ihrer Beurteilung „an die Fakten halten“. Zu den Berichten über die Einschätzung der CIA wollte sich Donald Trumps zweiter Mann jedoch nicht äußern.
Die harten Worte stehen im Gegensatz zu den tatsächlichen Handlungen der US-Regierung. Die bislang verhängten Sanktionen richten sich weder gegen den Kronprinzen noch dessen nächste Umgebung. Die „New York Times“ hält dem Präsidenten deshalb vor, er akzeptiere die neueste Geschichte der saudischen Führung, wonach hochrangige Regierungsmitarbeiter ein 15-köpfiges Spezialteam zur Ausführung der Tat auf eigene Faust losgeschickt hätten. Trump hatte zur Kritik, er wolle MBS schützen, gesagt, jeder gelte als unschuldig, bis ihm die Tat nachgewiesen sei.
Auch wenn die türkische Regierung weitere Vorwürfe gegen ihn erheben sollte, ist kaum zu erwarten, dass der Thronfolger wegen der Khashoggi-Affäre zurücktreten muss. Innenpolitisch verfügt der Prinz als Verteidigungsminister und Oberaufseher über die Geheimdienste über eine beträchtliche Machtbasis. Außenpolitisch kann MBS ebenfalls trotz aller Kritik an seinem Verhalten auf Unterstützung zählen. Partner wie die Vereinigten Arabischen Emirate, Bahrain und Ägypten stehen zu ihm. Im Westen fürchten nicht nur die USA und Israel, sondern auch andere Staaten, dass Saudi-Arabien bei einer Ablösung des Kronprinzen erheblich destabilisiert werden könnte, mit schweren Folgen für die Region und die Ölpreise.
Allerdings wird MBS künftig möglicherweise nicht mehr so frei schalten und walten können wie bisher. Im Königspalast steht der Prinz offenbar unter Beobachtung von Aufpassern, besonders seines Onkels Ahmed bin Abdulaziz, der kürzlich aus dem Londoner Exil nach Saudi-Arabien zurückkehrte. Auch andere Vertreter der älteren Generation der Königsfamilie, darunter König Salman selbst, hätten sich entschlossen, das Heft des Handelns wieder mehr in die eigenen Hände zu nehmen, berichtet der britische "Guardian".
Weitere Tonaufnahme aus dem Konsulat aufgetaucht
Dass die alte Garde sich zu dem Schritt genötigt sieht, liegt auch daran, dass Mohammed bin Salman nicht erst seit dem Mordfall Khashoggi als "Prinz Gnadenlos" gilt. Der 33-Jährige geht schon seit seinem Aufstieg an die Spitze des erzkonservativen Staates gegen jede Art von Opposition rigoros und brutal vor. Rivalen werden ebenso ausgeschaltet oder kaltgestellt wie Dissidenten, die es wagen, das Regime zu kritisieren. Berichten britischer und amerikanischer Medien zufolge gehören sogar Entführungen zur gängigen Praxis. Vor dem Zorn des Prinzen ist keiner sicher. Und sein Arm ist lang.
Wie weit bin Salman geht, weiß inzwischen auch die Elite des Landes. Anfang November 2017 ließ er, gerade von seinem Vater König Salman zum Kronprinzen gemacht, Dutzende hochrangige Mitglieder der weitverzweigten Königsfamilie sowie frühere und amtierende Minister festsetzen. Zuvor hatte es landesweit ein Startverbot für Privatjets gegeben. Keiner sollte sich dem Zugriff des Machthabers entziehen können. Die Festnahmen waren mit Korruptionsvorwürfen begründet worden. Die Inhaftierten, die sich bis dahin für unantastbar hielten, sollten für ihre Vergehen bezahlen.
Das Staatswohl mag zwar ein Grund für das politische Beben gewesen sein. Ausschlaggebend war allerdings Experten zufolge etwas anderes. Bin Salman wollte unmissverständlich klarmachen, wer im Land das Sagen hat – verbunden mit der Botschaft: Wage es keiner, sich meinem Willen zu widersetzen. Mehr noch. Das Vorgehen des Prinzen war ein offener Bruch mit einer Tradition. Bis dahin war es ein ungeschriebenes Gesetz, dass die Königsfamilie als Einheit auftritt und agiert. Nun zeigte bin Salman, dass er sich als absoluter Herrscher sieht.
Auch außerhalb Saudi-Arabiens wird offenbar versucht, diesen Machtanspruch durchzusetzen. Schon vor Khashoggis gewaltsamem Tod gab es Berichte über Kidnapping und spurloses Verschwinden von hochrangigen Saudis, zum Beispiel Prinz Sultan bin Turki. Er soll Anfang 2016 auf dem Flug von Paris nach Kairo überwältigt und nach Riad geflogen worden sein. Als bin Turki begriff, was vor sich ging, war es bereits zu spät. Nach der Landung holten ihn bewaffnete Soldaten aus dem Flugzeug und schafften ihn an einen unbekannten Ort. So schilderten es später einige seiner Begleiter. Seither ist Sultan bin Turki in der Öffentlichkeit nicht mehr gesehen worden.
Einer, der nach eigener Darstellung ebenfalls vom Regime als "Abtrünniger" verfolgt und bedroht wird, lebt heute in Deutschland. Prinz Chalid bin Farhan al Saud sagte der Deutschen Presse-Agentur vor einigen Wochen, Vertreter der Regierung in Riad hätten ihn in eine Falle locken und nach Saudi-Arabien verschleppen wollen, wenige Tage vor Khashoggis Verschwinden. Zum Glück habe er das fadenscheinige Angebot ausgeschlagen, in Kairo einen Scheck abzuholen. Anderenfalls, da ist sich der Prinz sicher, wäre es ihm ergangen wie Khashoggi.
US-Außenministerium: Noch keine finale Einschätzung zu Khashoggi
Die USA haben nach Darstellung des Außenministeriums noch keine abschließende Bewertung im Fall des getöteten saudischen Journalisten Jamal Khashoggi getroffen. „Die jüngsten Berichte, wonach die US-Regierung eine finale Schlussfolgerung gezogen hat, sind falsch“, erklärte die Sprecherin des Außenministeriums, Heather Nauert, am Samstag in einer Mitteilung. Es gebe in Bezug auf die Ermordung des Journalisten noch „zahlreiche unbeantwortete Fragen“. Man sei entschlossen, alle Beteiligten zur Verantwortung zu ziehen. (mit dpa)