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Die belarussische Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja traf am Brandenburger Tor ihre Unterstützer.
© Hannibal Hanschke/Reuters

Belarussische Oppositionsführerin Tichanowskaja: „Auch bei uns wird die Mauer fallen“

Swetlana Tichanowskaja, Oppositionsführerin in Belarus, spricht im Interview über den Wandel in ihrem Land, die Protestbewegung und ihren Umgang mit der Angst.

Es ist ein Programm, wie es in Berlin normalerweise nur Staatsgäste absolvieren: Gespräch mit der Kanzlerin, Treffen mit dem Außenminister, Vortrag und Diskussion vor Vertretern von Thinktanks, Wissenschaft und Wirtschaft sowie Interviews im Viertelstundentakt. Doch Swetlana Tichanowskaja ist offiziell gar kein Staatsgast, sondern belarussische Oppositionsführerin. Allerdings spricht viel dafür, dass die 38-Jährige die von Fälschungsvorwürfen begleitete Präsidentenwahl gegen den autoritär regierenden bisherigen Amtsinhaber Alexander Lukaschenko eigentlich gewonnen hat. Und so ist es mehr als eine Geste, dass Kanzlerin Angela Merkel sie nun nach Berlin eingeladen hat. Obwohl Tichanowskaja bis zu ihrer Kandidatur keine politische Erfahrung hatte, tritt sie nicht wie eine Aktivistin auf, sondern wie eine Repräsentantin ihres Landes.

Frau Tichanowskaja, Sie sind zum ersten Mal in Berlin. Was bedeutet diese Stadt für Sie?
Die Berliner Mauer ist ein Symbol für den Wandel, für den auch wir gerade in Belarus kämpfen. Es gibt hier in Berlin ein Mauerstück, das in Weiß-Rot-Weiß, den Farben von Belarus, bemalt ist. Das hat für mich eine große symbolische Bedeutung. Ich habe mir auch ein Foto von den Menschen angesehen, die damals auf der Mauer standen. In ihren Augen waren Hoffnung und Glück.

Für mich gibt es eine Parallele zwischen diesem Bild und der Situation in meinem Land. Die Menschen in Belarus stehen bereits auf der Mauer, und diese Mauer wird niedergerissen werden.

Aber als Ostdeutsche am 9. November 1989 auf die Mauer kletterten, hatte das DDR-Regime bereits verloren.
Wir stehen schon auf der Mauer, und es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis sie auch bei uns fällt. Wir brauchen nur noch ein bisschen mehr Druck. Aber der Wandel hat begonnen. Die Menschen in Belarus sind glücklich, dass sie das tun.

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Sie haben einmal gesagt, wenn Sie Ihre Angst überwinden konnten, dann könne das jeder schaffen. Wie ist Ihnen das denn gelungen?
Wissen Sie, meine Angst hat sich verändert. Während des Wahlkampfs fürchtete ich um meine Sicherheit und um die Sicherheit meiner Kinder. Ich hatte Angst, allein auf die Straße zu gehen. In Belarus ist es leider normal, dass du in einen Polizeiwagen gezerrt wirst und verschwindest. Ich hatte Angst, dass niemand wissen würde, wo ich bin. Aber heute bin ich an einem sicheren Ort.

Jetzt ist es meine Verantwortung, die mich erschreckt. Es ist so wichtig, dass ich keine Fehler mache, denn jeder Fehler kann die Situation in Belarus beeinflussen. Für mich sind die Menschen in Belarus das Wichtigste, und diese Menschen leiden und sind im Gefängnis. Deswegen ist jede Entscheidung so schwer zu treffen.

„Wenn die Menschen ein Symbol der Freiheit in mir sehen, kann ich nicht aufgeben“

Sie hatten eigentlich nie vor, in die Politik zu gehen. Was hat Sie dazu bewogen, am Ende doch gegen Lukaschenko anzutreten?
Ich wollte nicht für das Präsidentenamt kandidieren. Den ersten Schritt habe ich nur aus Liebe gemacht. Mein Mann ist in die Politik gegangen, nicht ich. Dann kam er ins Gefängnis, und ich wusste, wie wichtig es für ihn war, etwas in seinem Land zu verändern. Also bin ich ihm zuliebe angetreten, aber ich war mir sicher, dass meine Kandidatur nicht zugelassen würde. Als ich dann doch als Kandidatin registriert wurde, wollte ich zurücktreten. Es war schwierig, ich habe mir das nicht ausgesucht.

Aber dann sah ich all diese Menschen, die aufgewacht sind, die auf die Straße gingen, die für meine Kandidatur unterschrieben und damit etwas riskiert haben. Sie haben an mich geglaubt. Ich habe kein Recht, ihre Hoffnungen zu enttäuschen. Ich wollte das Land nie führen. Aber wenn die Menschen ein Symbol der Freiheit in mir sehen, kann ich nicht aufgeben.

Anhänger warten am Montag vor dem Brandenburger Tor auf die belarussische Oppositionsführerin Tichanowskaja.
Anhänger warten am Montag vor dem Brandenburger Tor auf die belarussische Oppositionsführerin Tichanowskaja.
© dpa/Kay Nietfeld

Falls heute jemand sagen würde: Wir lassen deinen Mann frei, und dafür hörst du auf und gehst, würde ich nicht zustimmen. Es geht nicht allein um meinen Mann, sondern um die Menschen in Belarus.

Nach der Wahl wurden Sie von belarussischen Sicherheitskräften offenbar massiv unter Druck gesetzt. Was genau ist an dem Tag passiert, an dem Sie Belarus verlassen mussten – können Sie darüber reden?
Nein, immer noch nicht. Ich werde damit warten bis zu unserem Sieg.

Zehntausende Menschen wurden bei den Demonstrationen in Belarus festgenommen, viele wurden gefoltert. Aber selbst das hat sie nicht abschrecken können, die Taktik des Regimes, die Protestbewegung damit zu stoppen, hat nicht funktioniert. Woran liegt das?
Die Menschen sind dieses Regimes müde geworden. Es war der größte Fehler von Lukaschenko, dass so viele Menschen eingesperrt, gefoltert und vergewaltigt wurden. Damit hat er eine rote Linie überschritten. Wenn es „nur“ um Wahlfälschungen ginge, würde es nicht derart große Demonstrationen geben. Aber so gab es für uns kein Zurück mehr zu dem Staat, in dem wir vorher gelebt haben.

[Jetzt noch mehr wissen mit TPlus: Lesen Sie hier ein Interview mit der belarussischen Demokratie-Aktivistin Maria Kolesnikowa]

Die Protestbewegung wird vor allem von Frauen getragen. Wie ist das zu erklären?
Die Gewalt bei den ersten Demonstrationen nach der Wahl richtete sich vor allem gegen Männer, viele wurden gefoltert. Die Frauen, die ebenso Veränderungen wollen, konnten danach nicht abseitsstehen. Wir können an der Seite der Männer kämpfen, und wir können uns vor sie stellen und kämpfen. Dafür haben sich die Frauen in Belarus entschieden.

Gegen Lukaschenko: In Minsk gingen vergangenen Sonntag abermals tausende Menschen auf die Straße.
Gegen Lukaschenko: In Minsk gingen vergangenen Sonntag abermals tausende Menschen auf die Straße.
© AFP/STRINGER

Wie wollen Sie in den kommenden Wochen den Druck auf das Regime aufrechterhalten?
Solange das Wetter gut ist, werden die Demonstranten weiter auf die Straße gehen. Es gab kein Wochenende, an dem weniger als hunderttausend Menschen an den Protesten teilgenommen hätten. Außerdem gibt es andere, kleinere Protestformen, und auch Streiks gibt es weiterhin. Wir brauchen aber auch Druck von außen, damit Lukaschenko endlich versteht, dass an einem Dialog kein Weg vorbeigeht.

Sie waren auf Einladung von Kanzlerin Angela Merkel in Berlin und haben sie am Dienstag getroffen. Was sollten Deutschland und die EU aus Ihrer Sicht tun?
Angela Merkel ist eine der mächtigsten Frauen der Welt, sie hat großen Einfluss in Europa. Ich bin sicher, dass sie einen Vermittlungsprozess in Belarus in Gang setzen kann. Wir brauchen in Belarus einen Dialog, wir brauchen Verhandlungen. Dafür muss Druck auf Lukaschenko ausgeübt werden.

Lukaschenko weigert sich allerdings, ans Telefon zu gehen, wenn die Kanzlerin ihn sprechen will.
Aber es gibt einen, dessen Anruf er ganz sicher entgegennimmt.

Sie meinen den russischen Präsidenten Wladimir Putin. Sollte die EU also mehr Druck auf ihn ausüben, damit er Lukaschenko nicht weiter den Rücken stärkt?
Wie das genau funktionieren könnte, weiß ich nicht. Vielleicht bin ich da zu naiv, aber ich glaube, dass alles durch Dialog gelöst werden kann.

Vor einem Jahr hätten Sie sich wohl kaum vorstellen können, welche Rolle Sie heute für Ihr Land spielen würden. Wollen Sie wirklich die Politik verlassen, wenn Lukaschenko abtritt?
Ja. Ich werde ganz sicher nicht als Präsidentin kandidieren.

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